Volltext: Die weissen Blätter : eine Monatsschrift (2(1915),7)

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Carf Stern heim • NapoCeon 
Es geschah, als er am freien Tage durch die Wege der Versailler 
Parks schritt, in der Einbildung, er habe gerade eine riesige Wurst 
mit den Höchstwerten menschlicher Nährstoffe gestopft und schnitte 
den Wartenden Scheiben herunter, daß aufschauend sein Auge zu 
einem jungen Weibe fiel, das am entblößten Busen ein Kind hängen 
hatte. Gebannt wurzelte Napoleon am Boden und prägte sich in 
aufgetane Sinne das Bild rosiger, geblähter Rundheiten an der Frau 
und dem Säugling ein. War das eine Apotheose seiner Träume 
von kraftvoller Nahrung und ihrem besten Verbrauch! Er hätte an 
die Nährende niederfallen und durch Umschlingung ihres und des 
Kindes Leibes an dem erhabenen Vorgang teilnehmen mögen. 
Das geschaute Bild verließ ihn nicht und veranlaßte ihn, flüssigen 
Stoffen gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken,* dann aber hob es 
den Wert der Frau, der bis heute ihrer geringen Lust zum Essen 
wegen für seine Welt nicht groß gewesen war, sich jetzt aber unter 
einem anderen Gesichtspunkt auf das beste ins große Tableau tafeln 
der Menschheit einordnete. Zum ersten Mal besah er das Mädchen 
an der Anrichte, dem er bisher nur den kräftigen Gliederbau hatte 
bestätigen müssen, und immer eindringlicher, als prüfe er es auf ge* 
wisse ihm nun einleuchtende Möglichkeiten. Er fand, sie nähme als 
^ V . 
Nahrung zu viel leichtes Zeug, belade sich mit Geblasenem und Auf* 
gerolltem, das im Magen zu einem Nichts zusammenfiele, warnte 
sie vor Klebrigkeit und Süßem und forderte sie eines Tages geradezu 
auf, mit ihm irgendwo ein Mahl zu nehmen, das bis ins Kleinste 
von ihm zusammengestellt, in seinem Wert für sie erörtert werden 
solle. Das Mädchen nahm des Mannes Kauderwelsch für einen 
Umschweif, willigte ein, und sie gingen an einem der nächsten Tage 
gemeinsam ein Stück über Land und traten in einen Gasthof ab. 
Dort verschwand Napoleon und erklärte zurückkommend der 
schmollenden Suzanne, er habe in der Küche selbst bis ins Kleinste 
vorgesorgt. Mit einem Ragout vom Hammel in einer Burgunder^ 
weinsauce beginne man und gehe, alle falschen Vorspiegelungen 
verschmähend, geradezu auf ein wundervolles, halbblutiges Rinds 
lendenstück zu, an das er englische Gurken und Zwiebeln habe braten 
assen. 
Als das Essen aufgetragen war, wies er sie, die Bissen langsam
	        
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