Volltext: Der Ararat : Glossen, Skizzen und Notizen zur Neuen Kunst (1(1920),11/12)

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UNGARN. 
Zar nachimpressionistischen Malerei in 
Ungarn. Von Ernst Källai. 
Vor zehn Jahren konnte man in Budapest die Aus* 
Stellung einer Künstlergruppe sehen, die sich »Nyol* 
cak« <die Acht) nannte und »an Stelle von ober* 
fiächlichen Eindrücken das Wesen der Natur« geben 
wollte. Ihre Abkehr vom Impressionismus war nicht 
besonders glücklich. Das Werk der Acht beruhte auf 
einem Mißverstehen moderner Franzosen. Vor allem 
wurden aus Cezanne ganz ungeheuerliche Dinge 
herausgefolgert. Man sprach von einer synthetischen 
Kunst und verlegte sich aufs Komponieren. Und 
zwar, da man das Wesen der Natur gestalten wollte, 
mußte die künstlerische Wahrheits* und Einheits* 
forderung jenseits von empirischen Wirklichkeits* 
Übereinstimmungen durch eine in sich abgeschlossene 
Bildmäßigkeit erfüllt werden. Die Natur war kein 
Ende mehr, keine Form, nur Stoff, der seine Ge* 
staltung.vom Künstler erhalten sollte. — Dies wäre 
ja dem Prinzip nach alles sehr schön gewesen. Aber 
man mißbrauchte die Freiheit des Komponierens zu 
einer ziemlich öden Art von malerischen Kontra* 
punktsübungen. Die Gestaltung war im besten Falle 
ein bloß deutendes Stilisieren. Das künstlerische 
Naturerlebnis drang noch nicht bis zur vollständigen 
Sich*selbst*Durchsetzung des Menschen, die Form 
noch nicht bis zur ausdrucksvollen Verinnerlichung 
ihrer selbst vor. 
Dieser letzte Schritt blieb einer jüngeren Generation 
Vorbehalten. Die jungungarische Malerei ist schon 
Ausdruckskunst. — Aber kein Expressionismus im 
Sinne der modernen Deutschen. 
Auch bei den Ungarn herrscht der Wille zur un* 
mittelbaren Selbstäußerung des Künstlermenschen* 
bewußtseins. Aber Form und Inhalt dieses Bewußt* 
seins haben hier eine ganz bestimmte psychologische 
Eigenart. Sie sind, von den vielfach reflektiven und 
transcendental angeregten Bestimmungen des deut* 
sehen Expressionismus abweichend, voluntaristisch, 
durchwegs auf das vollsäftige und weitausholende 
Beherrschen des physischen und irdischen Daseins 
gestellt und zeigen demnach eine gewisse, tempera* 
mentvolle geschmeidige oder stählerne Massivität. 
Dieses herrisch*selbstbewußte, um jede religiöse und 
ethische Problematik unbekümmerte, kräftig vegetative 
und männliche Lebensgefühl mag philosophischen und 
mystischen Unendlichkeiten gegenüber eine ideolo* 
gische Enge bedeuten — ein wesentlicher Vorteil und 
Wert ist ihm gewiß. Die Form, die als künstlerische 
Gestaltung dieses Lebensgefühls entsteht, ist viel 
weniger der Gefahr einer spekulativen Kompliziert* 
heit, viel weniger den verhängnisvollen Möglichkeiten 
subjektivistischer Zerrissenheit oder Auflösung,Ver* 
dünnung und Vieldeutigkeit ausgesetzt, als eine ner* 
venextatische Kunst der transzendentalenVersenkung. 
Die moderne ungarische Malerei ist psychologisch 
ausdrucksvoll, wie ein leidenschaftliches Bekenntnis, 
ohne ihre expressive Bedeutung durch einen Verlust 
an positiver, geschlossener Plastizität und machtvoll 
lebendiger Bewegungskraft erkaufen zu müssen. 
Aus dem positiven, erdgesättigten Voluntarismus 
der modernen ungarischen Malerei folgen notwen* 
digerweise ihre wesentlichen, formalen Bestimmungen, 
so das Streben nach restlos durchgeführter Konstruk* 
tion, die trotzdem nicht erdacht, sondern triebhaft er* 
lebt, daher einfach, klar und überzeugend ist. Die 
Gestaltung erfolgt entweder aus einem mächtigen 
Gefühl des Mehrdimensionalen oder bleibt in der 
Fläche. In beiden Fällen aber ist ihr Verhältnis zur 
räumlichen Tiefe nicht romantisch oder mystisch un* 
bestimmt,- der Raum hat immer in jeder Richtung eine 
feste und klare Begrenzung. Die Modellierung wirkt 
geschlossen und plastisch, das Lineare herrscht vor, 
jedoch nicht als vorgefaßtes, abstraktes Skelett unter 
einer draperiehaften Flächenumhüllung. Die primäre 
Entladung des psychologischen Ausdrucksbedürf* 
nisses und des künstlerischen Formgedankens geschieht 
auch bei den Ungarn in Flächen, die beharrend oder 
bewegungsvoll, in sich gesammelt oder höchst ex* 
pansiv erlebt, mit ihrem Wachstum sich gegenseitig 
ergänzend erweitern oder bekämpfend zusammen* 
schweissen und die künstlerische Vision zur technisch* 
räumlichen Erfüllung transponieren. Doch mag die 
Ausdrucksbewegung der Flächen noch so ungehemmt 
sein, der herrschende Trieb zum positiv Körperlichen 
ist stark genug im Erfassen und Erbauen der Form 
von allen Seiten her, um einem Zerflackern oder Zer* 
reissen derselben vorzubeugen. Ihre Bewegungs* 
tendenzen sind physisch machtvoll auch in der Ruhe 
und ihr Rythmus hat auch in der größten psycho* 
logischen Flüssigkeit noch immer eine feste Prägung. 
Die Farbe bleibt zurückhaltend, ist jedoch pulsierend 
und warm im Ton, oft bis zur sinnlichen Glut ge* 
waltsam beherrschter Leidenschaften. 
Eine besondere, stark persönlich differenzierte Prä* 
gung dieser Wesenheit moderner ungarischer Malerei
	        
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