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PROTHESENWIRTSCHAFT
Was ’ne Prothese is, weiß jedes Kind. Für den gemeinen
Mann so notwendig heute wie früher Berliner Weißbier. So’n
Proletenarm oder Bein wirkt erst vornehm, wenn ’ne Prothese
dransitzt. Der Prothetiker ist also ein besserer Mensch, sozusagen
durch das Verdienst des Weltkriegs klassengehoben. Sehen Sie, es
gibt noch ’ne andere Sorte, das sind die Leute, die ganz einfach
ohne jedes künstliche Glied auf’m Erdboden rumlungern, beispiels
weise. Das ist ein ekelhafter, proletarischer Anblick und sollte als
gemeine Bettelspekulation bestraft werden. Aber leider sind ja die
Menschen, besonders die aus den unteren Ständen, nie zufrieden
und so ist es auch mit den Prothetikern. Die müssen auch noch
protestieren in diesen verflucht schweren Zeiten. Immer feste mit
dem Knüppel müßte man der Blase Raison einbläuen, sie müssen
lernen, daß man ihnen ja gar keine Kunstglieder machen lassen
braucht, daß man sie gar nicht mit dem Dank des Vaterlandes be
lehnen braucht — denn wem nur beide Arme oder Beine fehlen,
der ist ja noch zu 50 Prozent erwerbsfähig und soll sich selbst
durch ehrliche Arbeit ernähren, oder er wird eben, falls er Kom-
muniste ist, ganz einfach aufs Straßenpflaster gesetzt. Es gibt
überhaupt nur so viele Verwundete, weil jeder von diesen Kerls
durchaus das E. K. haben wollte — und das ist auch ’ne Gemein
heit, denn wie hätte man dann die vielen Garnison-E. K.s austeilen
sollen? Wenn so’n Mensch, so’n Kriegsbeschädigter heute schimpft,
hat er kein Recht auf ’ne Prothese, oder Versorgung — denn da
hätte im Felde jeder, der ein Bein und beide Arme verloren hat,
oder der einen Bauch voll Granatsplitter hatte, oder einer, dem
alle Rippen und der Schädel durch Verschüttetsein eingedrückt
waren, auch schon ein Recht aufs E. K. gehabt, Nee, da mußte man
schon mehr leisten. Zum Beispiel kriegte ein Offizier das E. K.
nur, wenn bei seiner Kompagnie recht viele Leute gefallen waren,
so ein Offizier war dann einer Auszeichnung wert, weil er (etwas
hinter seinen Leuten) heil davon kam. Nur nicht vordrängeln.