Volltext: Jedermann sein eigener Fussball (1)

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volutionen sind die 
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UNSERE GEGNER 
Der nachträgliche Heldentod. 
wichtigsten politischen Faktoren der 
Gegenwart und nächsten Zukunft — 
ob nun Wilson, Lenin oder der Im 
perialismus die Welt erobert. 
Wahlen sollen der Ausdruck des freien 
Eines Abends erinnerte sich ein armer, alter Mann 
seines verslorbenen Jugendfreundes. Da klopfte es bescheiden 
an die Tür, und herein trat ganz offenbar dieser Freund. 
Aber Julian, lebst Du denn?“ fragte erschrocken der 
alte Mann. Julian verneinte das kopfschütlelnd. Er sagte 
mit einer Stimme, die schon lange nicht gebraucht worden 
zu sein schien: 
„Ich lebe nicht mehr, Marcus, ich kann das kein 
Leben nennen. Als ich vor nunmehr etwa 25 Jahren starb 
oder jedenfalls als tot begraben worden war, überkamen 
mich Ruhe und Vergessen. Zirka sechs Jahre lang dachte 
ich nur an das hellgrüne Tischluch meiner Mutter. Es ist 
unglaublich, eine Art Traum. Eigentlich hat es gar keine 
Dauer. Erst beim Erwachen scheinen es lange Jahre gewesen 
Warum, frage ich Dich, macht man die Gräber 
politischen Willens innerhalb einer Gemein 
schaft sein. Sind sie es? Nein! Können sie es 
denn nur verhältnismäßig wenige 
Menschen besitzen einen bewußten, in eigner Er 
sein ? Nein 
fahrung, Denkkraft und Kenntnis wurzelnden politischen 
Willen; und unter diesen Wenigen wiederum schenkt nur 
eine geringe Anzahl einem der zu wählenden Kandidaten 
tatsächlich Vertrauen; und schließlich dürfte sich bis zur Wieder 
kehr der Wahlen auch in diesen seltenen Fällen das gewährte 
Vertrauen nur ganz ausnahmsweise als wirklich berechtigt 
erweisen. Dies „Nicht-wissen-können wen man wählt“ 
bleibt jedoch relativ unwichtig, weil die Massen meist nicht 
wissen, wie der Träger ihres Vertrauens überhaupt be 
schaffen sein soll. Die Wahl ist in der Regel lediglich 
Instinkt-Angelegenheit. Das wäre wohl zu bejahen, wenn 
jene Urinstinkte, jener Witterungssinn der unausrottbar und 
unwandelbar im Menschen verankert ist dabei den Ausschlag 
gäben. Mitnichten: die zahllosen passiven Instinkte wider 
sprechendster Art, die durch äußere (d. h. vom Individuum 
nicht zu verhindernde und doch nicht kontrollierte) Ein 
wirkung umso stärker und bequemer ausgelöst werden, je 
(politisch) unentwickelter ein Mensch ist 
sind die treibende Kraft aller Wahlen. Um aber auf die 
dazu gehört 
Geld. Geld findet sich und bleibt am 
Bruchmüller sen., DezernentTim 
Auswärtigen Amt, (persönlicher Feind 
Radeks) versucht auf siderischer Basis 
mittels einer im Regenschirm verbor 
genen Wünschelrute geheime Spar- 
tecidische Waffen- und Munitionslager 
zu entdecken. 
zu sein. 
nicht schalldicht? Warum versfopft man die Ohren der 
Leichen nicht mit Watte? Nämlich seit etwa zwei Jahren 
begann midi in meinen monotonen Träumen irgend etwas 
zu stören. Auf ein Mal merke ich, es ist Artillerie. Er 
innerst Du Dich: ich habe doch als Kanonier gedient. Es 
bummt. Es poltert. Ich unterscheide mehr und mehr. 
Hölle und Teufel, das Geräusdi erkenne ich noch im Tode 
wieder. 
Ich befand mich bestimmt unter einer Kanone. 
Plößlich saust und zischt es um mich herum. Ich fühle mein 
Bett, meinen Sarg, hoch gehoben, fliegen, wieder auffallen. 
Der sorgfältig angelötete Deckel klappt auf, mein Leichnam, 
holferdipolter — rollt in eine Art Jauche — brrrr in Blut, in 
lauter Blut. Aber im nächsten Augenblick packten mich 
einige Leute. Ich verlor mein [ohnehin schwaches) Bewußtsein. 
Erwachen lat ich in einem Krankensaal. Ich hörte, wie der 
Arzt sagte: „stark unterernährt, deliriert, beste Pflege; Ab 
lenkung von diesen Leichenphantasien. Kerl bildet sich ein, 
aus dem Grabe zu kommen.“ Ich wandte mit schwacher 
Stimme ein: „Herr Stabsarzt, beim wunderbaren Gott, ich 
bin schon Anfang der 90 er Jahre begraben worden.“ — 
„Schnauze gehalten, Mann!“ war Alles, was ich zur Ant- 
, 
wort bekam. Sie pflegten mich nun soweit ganz ehrlich. 
Sie gaben mir dann Proviant, Kleider, eiwas Geld und 
entließen mich. Da, lieber Marcus, entsann ich mich Deiner. 
Hier bin ich. Du weißt, tch stand schon dazumalen allein 
Du warst mein einziger Verkehr, mein Halt. 
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diese Instinkte 
Millionen Willensarmer einwirken zu können 
Macht. Macht 
wenigsten im Besitz altruistisch handelnder Menschen und 
Gruppen: daher sind die Wahlen in Wahrheit Seismo 
graphen und Regulatoren der Machtschwankungen zwischen 
den undemokratischsten und unsozialsten, den egoistischsten 
Cliquen innerhalb einer Gemeinschaft. 
Da sich vorläufig unser Staatsgebilde ohne Wahlen 
nicht lenken lassen wird, lohnte es sich, den (übrigens inter 
nationalen) Wahlbetrug dadurdi einzudämmen, daß allen 
Parteien ihr ausschlaggebendstes und gleichzeitig imperia 
listischstes Machtmittel, der Parteifonds genommen würde. 
Die Parteifonds sollten in Händen einer exparlamentarischen 
Institution liegen, die völlig mechanisch jedem Staatsbürger 
(solange dies nationale Vorurteil noch herrscht) der seine 
Mitbürger parlamentarisch zu führen, d. h. eine Partei 
zu gründen oder zu vertreten wünscht, kostenlos die Ver 
öffentlichung seines Programms sichert. Aus der Vertriebs 
ziffer jedes (selbstverständlich zu gleich billigem Preis und 
durch gleiches System verbreiteten) Programms ließe sich 
leicht eine Skala der öffentlichen Anteilnahme aufstellen, 
da. 
Verlasse 
mich nicht! Und erkläre mir: was ist das für ein Krieg 
oder Manöver?“ 
Marcus war während der Rede seines verstorben ge- 
wesenen Freundes bemüht, es diesem behaglich zu machen. 
Er hatte ihn in einen weichen Sessel niedergezogen, ihm 
ein warmes Getränk und einige Speisen vorgesetzi. Er 
legte ihm jetzt die Hand auf die Schulter und beugte sich 
vertraulich zu ihm herab. 
der entsprechend die Geldmittel der vereinigten Parteifonds 
zu Propaganda-, Reklame- und Parteizwecken den einzelnen 
Parteien zugewiesen würden. 
Parteien, die durch irgendwelche Manöver die Vertriebs- 
Ziffer ihres Parteiprogramms zu erhöhen suchten, oder irgend- 
welcheOrganisation oder Propaganda mittels anderer als solcher 
zugewiesenen Geldmittel betrieben, würden rücksichtslos 
von der Wahl ausgeschlossen. 
Damit wäre noch lange kein idealer Zustand erreicht. 
Wir wissen indessen genug von den Zielen, zu wenig von 
den Wegen. Zweifellos wäre die „Sozialisierung“ der 
Parteifonds bejahenswert aus moralischen Gründen seitens 
ehrlicher Demokraten, aus realpolitischen seitens der Sozia 
listen und Kommunisten. Falls aber (was ich nicht be 
zweifle) die meisten Parteien der „Deutschen Republik“ 
sich krampfhaft gegen die Sozialisierung der Parteifonds 
wenden würden, erwiese sich aufs neue, daß n i ch t die 
berühmte „Ächtung vor jedes Staatsbürgers politischem 
Willen“ (für die außer den Kommunisten doch alle Parteien 
einzutreten behaupten) sondern Wille zur vielgeschmähten 
Julian“ sagte er, „so lebst Du 
Ich muß es ja glauben, obgleich mir der 
Es ist aber auch eine Zeit! Sie haben 
also wirklich! 
Verstand still steht. 
uns von allen Seiten überfallen: Russen, Franzosen, Japaner, 
Belgier, Rumänen, Montenegriner, Italiener, Portugiesen, 
Kanadier, aber allen voran die Engländer und Amerikaner.“ 
Julian sprang auf wie ein Dämon. „Siehst Du“, schrie 
/ 
er, „sogar Tote in ihren Gräbern spüren es doch, daß unser 
Deutschland in Gefahr ist. Glaube mir, die echte Vater 
landsliebe ist mit den Toten im Bunde wie mit Unsterblichen, 
wie mit der Auferstehung. Mir kroch es prickelnd bis 
ins Gebein. Aber mein Fall mag nicht vereinzelt sein; 
denn kein Fall ist jemals vereinzelt. Ich 
prophezeie Dir, daß Deutschland nicht untergehen kann, weil 
eher noch die Toten sich wieder beleben und die Waffen 
ergreifen werden. Ich melde mich gleich morgen bei meiner 
allen Kompagnie.“ Und so geschah es. Julian machte sein 
Wort am andern Tage wahr. Übrigens, so sehr sich beide 
Freunde auch Mühe gaben, die Welt von dem wunderbaren 
Ereignis zu überzeugen, so wenig glaubte man ihnen, so 
daß sie es schließlich aufgaben, es zu erweisen. Der wackere 
Julian focht an der Somme mit. Lange Wochen hörte sein 
Freund Marcus nicht das Geringste mehr von ihm. Endlich, 
eines Abends .... er war im Begriff, schlafen zu gehen, 
stand ein Schatten vor ihm, lichte Augen sahen sekunden 
lang strahlend in die seinigen .... die Gestalt zerging in 
Nebel. Mitten in der Nacht traf ein Telegramm ein, das 
den Heldentod Julians meldete. Mögen die prophe- 
# 
tischen Worte des doppelt Gestorbenen erfüllt werden! 
Gutsbesitzer Josef Bürr, aus^Stqlpj. P., w- i 
Mitglied der Nationalversammlung, (viel- v Mo 9 e der Ameronger 
facti prämiierter Mastviehzüditerj hielt in | |Hl|||||[||||||||||[|||||||||||||||Hinillllllllllllilllll!liinilllllllllllllM 
we ” ar ““ a " ,seh “ etcs I Stimme »eniiändier sä-ää 
76. (Meldungen bis 11 Uhr vormittags.) 
II. 
Bruchmüller jun., Oberprimaner, 
nahm erfolgreich an der Aktion gegen 
Liebknechts Sohn teil, gründete einen 
Schülerrat zur Bekämpfung kommu 
nistischer Umtriebe in den deutschen 
höheren Lehranstalten. 
um 
Diktatur“ ihre Begierde ist. 
Wieland Herzfelde. 
8 neoimpressionistische Holzschnitte von 
PAUL GANGOLF 
Vorzugs-Ausgabe mit 2 hand- 
M. 300 
kolorierten Blattern 
I 
M. 200 
M y n o n a. 
Einfache Ausgabe 
Selbstverlag Paul Gangolf 
die Wiedereinführung der Wehrpflicht und i 
Charlottenburg, Uhlandstraße 27; 
Gründung einer wendisch - kaschubischen 
Republik auf monarchischer^Grundlage. Halensee, Kurfürstenda: 
l.lll
	        
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