Volltext: 365 : aktivista folyóirat (10 (1925), 2/3)

Max Berg - Breslau 
In den letzten hiúidért Jahren schuf sich dér Mensch Hilfs- 
miittd, die seinen Radius me.hr erweiterten, als sonst in tausend 
Jahren geschah. Er wurde verwirrt und abhangig von áufíeren 
Ergebnissen. Die Menge des Sekundaren erdrückte das eine 
Primáre. 9. , 
Stehen wir im Anbruch, in dér Wiederkunft einer Frühzeit, 
einer Erhebung aus Untergehendem, eiiner Zurechtsetzung dér 
Lebenswerte nach ihrer nienschlichen Bedeutung? 
Friihzeiten ordnen die Beziehung des Menschen zum Ewigeii. 
Friihzeiten schöpfen Kraft, Werktátigkeit, neue Lebensform 
aus Loslösung, Geistreinigung, Geistsammlung. Ihr Meta- 
zentrum liegt im Glauben an den Geist, aus ihm Kraít, Liebe, 
Verbundensein. 
Zuriiok tritt: das Empirische, Fertige, Erstarrte, índividuelle, 
Trennende, Vielfaltige, Ausweichende, Berechnende. Das Ge- 
scheite. 
Voir tritt: das Intuitíve, Werdende, Lebendiige, Überpersön- 
liche, Einfáltige, Noiwendige, Ehrfürchtige. Die Ergriffenheit 
dér Seele. 
Die GröBe dér Frühzeiten ist ihre gesammelte Kraít und 
Einheit, die sie vöm Grund dér Seele holt. 
Wir zwischen den Zeiten Stehenden habén sie nicht. Wir 
sind zerissen. Doch kündet sie sich an. Es sind Ansátze zu 
spüren, Zeichen des Anbruchs. 
* 
Bergs Schaffen geht von den Impulsen des Friihzeltlichen 
aus, bedeutet reinern Ansatz. 
Üppigkeit und Fülle ist seinem Werk fremd. Frühwerk ist 
knapp und einíach. Mischwerk nimmt überall auf, ist üppig, hat 
Fülle oder táuscht sie vor. Spátzeit füllt. Frühzeit wirft alté 
Fülle ab. Sie könnte nicht füllen, auch wenn die áuBere Möglich- 
keit dazu da wáre. Sie setzt die Hautpunkte, umreiBt die GroB- 
form. Sie schafít ohne Symbole, rein tekto-nisch, neuen Rhythmus, 
Innen mit AuBen in Einheit. Will Klarheit in dér Anlage, Rem 
iiéit in dér Form, ist einíach, ungemischt, forint, vergeistigt die 
Notwendigkeit. Dér Rest ist Weglassen. 
Berg ist ein ernst aufs Ganzé Gehender. Eine groBe Tendenz 
hat ihm das Kleine, Nurgeiallige, Witzige, Motivische ausge- 
brannt. Er hat nichts mehr daniit zu tun. Er ist ernst bis zűr 
Humorlosigkeit. Doch kommt dér Eindruck des Düsteren 
nirgends auf. Die leichtschwingenden Glieder, die zárté Teilíorm, 
die Lichtílut, das Luítige gébén seinen Weriken dinen heiteren 
Ernst, eine einíach groBe Melodik, die an Hándel gemahnt. 
Weil seine Werke musikalisch schwingen, daruim sírahlen 
sie bei allém Ernst Heiterkeit aus. 
Er veríallt nie in Altmonumlentalitat, er dimensioiniert nach 
dem Matériái, er scheut nicht Dünne, er sucht Leichtigkeit, un- 
gebrochene Linie, seine Monumentalitát hasiért mehr auf Kühn- 
heit und Luftigkeit als auí Masse. Das gibt seinen Werken das 
Schnittige, Ingemeurnahe, die Überwindung dér Schwere, die 
Erhebung über das Stoífliche. 
Seine Teilíorm ist gothisch zárt, das steigert die GroBform, 
schafít MaB, macht Raum und Hülle licht und leicht. Seine Form 
wird oft als unsinnlich, nüchtern abgelehnt. Das vollsaítig Sinn- 
liche dér Form íehlt. Das ist ihm fremd. Er geht in dér Form 
auí Aulflösung, Vergeistigung aus und verlegt das sinnliche Ele 
ment in Plastik und Farbe als den geeigneteren Medien hier- 
für. Eine Zweiteilung, charakteristisch für die Impulse seines 
Schaffens. 
Er liebt nicht die Dammerung, er' liebt das Fluten des 
Lichts durch die Ráurne, die leuchtende Hellfarbe. Licht ist ihm 
tiefstes Bedürfnis. Er ist Orgiastiker des Lichts. 
Er liebt nicht die stimmungsvollen Winkel, die traulichen 
Ecken, er liebt die Weite, den stützenlosen, íreien Raum. Wenn 
schrág die Strahlen durch seine Hallen flieBen, Lichtnebel uen 
wéiten Raum in Zartheit, Leichtigkeit schwingen maciién, tritt 
das, was Berg wiil, am symbolhaítesten hervor. 
Bergs baumeisterlicher Ernst halt sein Werk íréi von allém 
Kuinstgewerblichen. Er ist ein reiner Tektone, ein ungebroohener 
Kubiker. Gleich weit entfernt von dér altén Romantík, die To.tes 
lebendig niachen will, wie von dér neuen, die mit dér Konstruk- 
tion kokettiert und die Form zum Ornament macht. Die Haltung 
seiner Werke ist so, daB sie jenseits von dem stehen, was mit 
einem Koníektionársausdruck modern genannt wiird. Durch die 
Echtheit und Zucht ihres Wesens werden sie zwingen und 
dauern. Sie können warten. 
Breslau hat zwei Seelen, eine norddeutsch-preuiBische und 
eine süddeutsch-österreiehische, die eine lebendig in. den goti- 
schen Backsteinkirchen, die andere in den Jesuitenbauten. Bergs 
Schaífen ist norddeutsch. PreuBisch. Jedoch nicht so boden- 
standig, daB seine Bauten nicht auich irgendwo in dér Ebene 
oder am Meer, in Holland, Danemark, Schweden, vielleicht sogar 
in lEngland oder Amerika stehen könnten. Sie sind national von 
Charakter und kosmopolitisch vöm Geist her. 
* 
Berg geht den Weg dessen, dér keine Kompromiisse macht. 
Solche Natúrén habén viele Gegner. Zwei Dinge kann ihm auch 
dér scharfste Gegner nicht absprechen. Das ist die Reinheiit seines 
Wollens und die GröBe seines Könnens. 
Seine Bauten habén Bedeutung, die dauern wird. Es sind 
Werke, die für die Loslösung vöm ErStarrten, für gnoiBempfun- 
dene Neuíorm, Klarheit, Reinheit, íür Rahmen und Hintergrund 
neuen Lebens richtungweisend sind. 
Paul Heim 
Auszüge aus einem Briefe von 
Max Berg an Paul Heim als Er- 
ganzung dér Ausführungen von 
Heim 
Ich bin dér Meinung, daB jeder Mensch seiner Pflicht voll- 
kommen genügt, wenn er in seinem Leben und seinem Wirken 
die Eigenart seines Wesens, seiner Persönlichkeit so klar, rein 
und einíach wie möglich zum Ausdruck bringt, unter Weglassung 
alles Fremden, nicht Eigenen, ohne Rücksicht darauf, ob er in 
allém Vollendung besitzt, auch ohne Rücksicht darauf, was die 
anderen Menschen von ihm erwarten und verlangen. Mán kann 
doch nur rein gébén, was mán in sich tragt, soll nicht gébén 
wollen, was andere besser gébén können. Dazu ist ja das 
schöne Wunder dér Vielgestaltigkeit dér nienschlichen Wesen- 
heit, die in unseren besten gothischen Dömén in dér Geistig- 
keit dér Architektur, dér Geistigkeit dér Sittlichkeit, dér Plastik 
und Maierei so herrlich reiche Symphonien erklingen laBt, wie 
sie in einem Menschen alléin garnicht zu erzeugen möglich, und 
das gilt nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch 
für die einzelnen Künste. 
Sie habén so viel von mir erkannt, dafi ich Ihnen zűr Er- 
ganzung Ihres Erkennens gern noch etwas, was mir wesentlich 
erscheint, mitteilen möchte. (Ich meine natürlich damit nicht, 
daB Sie solches noch Ihrem Aufsatz einflechten sollen, sondern 
nur Ihres eigenen Erkennens wegen.) 
Ich stehe vielleicht deswegen so einseitig auf dem rein 
Tektonischen in dér Architektur, weil ich in unserer Zeit überall 
(trotz dér oft entgegengesetzten Worte) so sehr den Selbstzweck des 
Motivischen, des Formalismus, des Geschmacklichen, des Ge- 
falligen, des Witzigen usw. herrschend sehe, daB mir all dieses 
zum Ekel geworden ist, weil ich den Verfall empfinde in dieser 
Frechheit und Vordringlichkeit dér Form ohne Inhalt, den be- 
zeichnenden Ausdruck unserer geist- und inhaltlosen, ober- 
flachlichen, dekorativen, verlogenen, rationalistischen, materialis- 
tischen und selbstsüchtigen Zeit, weil mir dies Wesen eine 
Gefahr für die Menschenentwicklung, den Aufstieg aus dem 
Tierischen bedeutet. Formalistisch nenne ich auch den, dér 
GrundriB plus AufriB plus Raum nicht in erster Linie nach 
Zweckerwagung gestaltet, die Zweckgestaltung dér Form- 
gestaltung unterordnet. Es ist in mir ein heiliger Eifer, daB die 
Menschheit auf den geistigen Weg, als Zweck ihres Daseins 
gebracht wird. Ich bin nicht Asketiker an sich. Ich bin nur für 
reinlichste Scheidung des Gehörigen vöm Ungehörigen; nach 
meiner festen Überzeugung gehört Nur-Sinnliches nicht zu dem, 
was durch Architektur darstellbar, oder vielmehr: es ist unge- 
hörig zűr Architektur, wie es ungehörig zűr Mathematik ist. 
Für mich. ist höchste Architektur kubistisch, mathematisch im 
Grunde (Ágypten, Byzanz, Ravenna, Hochgothik). Sie kann mir 
als im Sinnlichen stark empfindsamen und die höchsten An- 
sprüche stellenden Menschen Sinnliches nicht übermitteln. Ich 
lehne es als ihre Aufgabe ab, wo sie es versucht, habé ich das 
Gefühl dér Schwachlichkeit, Unvollkommenheit, ja des Kümmer- 
lichen, und ich halté allé Versuche dér Architektur auf diesem
	        
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