Die mathematische Denkweise in der Kunst unserer Zeit
Unter mathematischer Denkweise in der Kunst soll hier nicht das verstanden
werden, was man landläufig vielleicht als «errechnete Kunst» bezeichnen
könnte. Jede bisherige Kunstäußerung hat mehr oder weniger rechnerische
Grundlagen gehabt in Form von geometrischen Einteilungen und Gliederun-
gen. Auch die moderne Kunst kennt eine Menge von Ausdrucksformen, die
sich solch rechnerisch «regulierender» Methoden bedienen; diese gehören,
neben den persönlich-gefühlsmäßigen Maßstäben, zum täglichen Rüstzeug
jeder vernünftigen Gestaltung, als objektive Maßbeziehungen, um einem Bild-
werk Gleichmaß und Harmonie zu verleihen. Immerhin stellen wir fest, daß
sich die Methoden wesentlich vergröbert haben seit jener Zeit, in der die
Mathematik noch Grundlage jeden künstlerischen Ausdrucks war, als geheime
Verbindung von Kosmos und Kult. Sie erfuhren eigentlich keine Erweiterung
seit dem alten Aegypten, ausgenommen die Perspektive, die in der Renais-
sance dazutrat, jenes System, das vermittels reiner Rechnung und Konstruk-
tion die Gegenstände sozusagen «naturgetreu» im vorgetäuschten Raum nach-
bilden kann. Die Perspektive brachte wohl ganz, wesentliche Neuerungen im
Bewußtsein der Menschen; aber diese Erweiterung der Gestaltungsmethoden
hatte im Gefolge, daß sich das Ur-Bild zum Ab-Bild wandelte und daß
damit der endgültige Verfall einer tektonischen und symbolischen Kunst
eintrat.
Der Impressionismus und in stärkerem Maße der Kubismus führten die
Malerei und Plastik wieder näher an ihre Urelemente heran; die Malerei im
Sinne farbiger Gestaltung auf der Fläche, die Plastik als Gestaltung des
Räumlichen. Der wesentliche Anstoß zu einer völlig neuen Auffassung ist
wahrscheinlich Kandinsky zuzuschreiben, der in seinem Buch «Ueber das
Geistige in der Kunst» schon 1912 einen Weg angedeutet hat, der in kon-
sequenter Folgerung dazu führen müßte, an Stelle der Phantasie die mathe-
matische Denkweise zu setzen. Er selbst hat diesen Schritt nicht gemacht,
sondern für sich auf andere Weise eine Befreiung der malerischen Ausdrucks-
mittel gefunden.
Wenn wir untersuchen, was der «Gegenstand» eines Bildes von Klee, oder