Volltext: Antoine Pevsner, Georges Vantongerloo, Max Bill

Die mathematische Denkweise in der Kunst unserer Zeit 
Unter mathematischer Denkweise in der Kunst soll hier nicht das verstanden 
werden, was man landläufig vielleicht als «errechnete Kunst» bezeichnen 
könnte. Jede bisherige Kunstäußerung hat mehr oder weniger rechnerische 
Grundlagen gehabt in Form von geometrischen Einteilungen und Gliederun- 
gen. Auch die moderne Kunst kennt eine Menge von Ausdrucksformen, die 
sich solch rechnerisch «regulierender» Methoden bedienen; diese gehören, 
neben den persönlich-gefühlsmäßigen Maßstäben, zum täglichen Rüstzeug 
jeder vernünftigen Gestaltung, als objektive Maßbeziehungen, um einem Bild- 
werk Gleichmaß und Harmonie zu verleihen. Immerhin stellen wir fest, daß 
sich die Methoden wesentlich vergröbert haben seit jener Zeit, in der die 
Mathematik noch Grundlage jeden künstlerischen Ausdrucks war, als geheime 
Verbindung von Kosmos und Kult. Sie erfuhren eigentlich keine Erweiterung 
seit dem alten Aegypten, ausgenommen die Perspektive, die in der Renais- 
sance dazutrat, jenes System, das vermittels reiner Rechnung und Konstruk- 
tion die Gegenstände sozusagen «naturgetreu» im vorgetäuschten Raum nach- 
bilden kann. Die Perspektive brachte wohl ganz, wesentliche Neuerungen im 
Bewußtsein der Menschen; aber diese Erweiterung der Gestaltungsmethoden 
hatte im Gefolge, daß sich das Ur-Bild zum Ab-Bild wandelte und daß 
damit der endgültige Verfall einer tektonischen und symbolischen Kunst 
eintrat. 
Der Impressionismus und in stärkerem Maße der Kubismus führten die 
Malerei und Plastik wieder näher an ihre Urelemente heran; die Malerei im 
Sinne farbiger Gestaltung auf der Fläche, die Plastik als Gestaltung des 
Räumlichen. Der wesentliche Anstoß zu einer völlig neuen Auffassung ist 
wahrscheinlich Kandinsky zuzuschreiben, der in seinem Buch «Ueber das 
Geistige in der Kunst» schon 1912 einen Weg angedeutet hat, der in kon- 
sequenter Folgerung dazu führen müßte, an Stelle der Phantasie die mathe- 
matische Denkweise zu setzen. Er selbst hat diesen Schritt nicht gemacht, 
sondern für sich auf andere Weise eine Befreiung der malerischen Ausdrucks- 
mittel gefunden. 
Wenn wir untersuchen, was der «Gegenstand» eines Bildes von Klee, oder
	        
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