Volltext: Wegleitung zur Allianz-Ausstellung 1947

Werktitel Beinahe alle Kunstwerke haben Titel. Diese Titel haben ver- 
schiedene Funktionen. Einmal sind sie aus rein praktischen 
Gründen entstanden, weil die Werke voneinander unterschieden 
werden müssen; es sind dann Bezeichnungen, die etwas im Bilde 
Typisches, doch ohne weiteres Erkennbares festhalten, zum 
Beispiel „Zürichseelandschaft am Abend‘“ oder „Stilleben mit 
roten Aepfeln“. Es mag auch ein Titel sein, wie zum Beispiel 
„Sechs gleich lange Linien“, der etwas ım Bild nicht ohne 
weiteres Feststellbares bezeichnet und damit den Betrachter 
auf ein wesentliches Merkmal des Werkes hinweist. Eine weitere 
Form des Titels drückt eine bestimmte Stimmung aus, oder der 
Titel wird zu einer poetischen Zutat, einer begleitenden poeti- 
schen Erfindung, wie wir ihr in der neueren Kunst öfter be- 
gegnen. Schließlich werden Werke als „Konstruktion‘, „Kom- 
position‘‘, „Konkretion‘ und ähnlich bezeichnet, Titel, die auf 
die Entstehungsmethode der Werke hinweisen. 
Aber über alle diese Fragen hinaus spielt der Titel für: die 
eigentliche Wirkung des Kunstwerkes keine Rolle oder doch 
eine sehr nebensächliche, denn das Werk muß für sich allein 
sprechen. 
Begrif;2: Wenn wir uns über irgend eine Erscheinung unterhalten wol- 
len, so ist die Voraussetzung dafür, daß wir dieselbe Sprache 
sprechen. Aber auch innerhalb ein- und derselben Sprache 
gibt es Verschiebungen und sind Mißverständnisse möglich, 
dann, wenn verschiedene Beteiligte verschiedene Auffassungen 
haben von bestimmten Worten und Begriffen, dann, wenn sich 
Wort und die damit bezeichnete Sache nicht decken. Ganz 
besonders gefährlich ist es nun, sich über Fragen der Philoso- 
phie, der Kunst, der Weltanschauungen zu unterhalten, wenn 
man von verschiedenen Begriffsdefinitionen ausgeht. Denken 
wir nur an die unterschiedlichen Interpretationen der Begriffe 
„Freiheit“, „Demokratie“ oder „Geist‘“; so ist es nicht ver- 
wunderlich, daß Begriffe in der Kunst, die weit weniger lebens- 
wichtig erscheinen für den Weiterbestand einer gesitteten 
Gesellschaft, auch weniger in ihrer präzisen Definition bekannt 
sind, und daß Konfusionen kaum zu umgehen sind wenn Un- 
befugte, in Dingen der gedanklichen Präzision nicht Geübte 
sich einmischen, oder solche die eine „andere“ Sprache sprechen. 
Es handelt sich also auch hier darum, Begriffe so anzuwenden 
wie sie durch die Jahrhunderte bis zum heutigen Tage geformt 
wurden. 
Vor einigen Jahren hat es viel Staub aufgewirbelt, als wir 
wieder einmal mit Nachdruck darauf hinwiesen, daß ein grund- 
sätzlicher Unterschied bestehe zwischen dem, was man abstrakte
	        
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