Vorrede
Von Alfred Stix
Vielleicht besitzt die Kunst deshalb eine so hohe
völkerverbindende Funktion, weil sie bei einem hohen
Maße allgemeiner Verständlichkeit doch den Betrachter
zwingt, sich in die nationale Eigenart jeder einzelnen
Volkskunst zu versenken, die ohne eine gewisse Kenntnis
der besonderen Bedingungen, unter denen sie entstanden
ist, nicht restlos zu würdigen wäre.
Man könnte auch die österreichische Kunst nur unvoll-
kommen verstehen, wenn man sich nicht die historischen
und geographischen Voraussetzungen, unter denen Oester-
reich entstanden ıst und sich entwickelte, vor Augen
hielte. Das Land hatte im Laufe seiner Geschichte zwei
Aufgaben zu erfüllen. Als Ostmark des Reiches Karls des
Großen war es gegründet worden und hatte den Ansturm
des Ostens auszuhalten, war sogar so weit überflutet
worden, daß man von einer zweiten Gründung sprechen
kann, diesmal als Mark des heiligen römischen Reiches
deutscher Nation. Aber schon mit der Christianisierung
Böhmens und Ungarns, mit der historischen Entscheidung,
die Ungarn in den Schoß der abendländischen nicht der
byzantinischen Kirche führte, beginnt die zweite wesent-
liche Aufgabe Oesterreichs: Herzstück und Kulturzentrum
des Donauraumes zu seın. Es ist eine zutiefst bedingte
Mission, die sich zuerst schüchtern, im 15. Jahrhundert
schon sehr deutlich, im historischen Geschehen des Ööst-
lichen Mitteleuropa abzeichnet. Noch einmal später, aller-