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zum Erstaunen angebracht. Ein niederer Gesichtspunkt zeigt in der
Ferne einige mit Waldung gekrönte Hügel, die sich in angenehmen
Abwechslungen nähern. Ein Bach, der aus diesen Hügeln hervor*
kömmt, macht einen kleinen Fall in ein bezauberndes Thal, wo sich
das Wasser sammelt und ruhig wird. Oben, wo der Fall die Hügel
theilet, beleben im Schatten weidendes Vieh, nebst zween Männern,
die über einen kleinen Steg gehen, diese Parthie. In dem Thal, das
das den mittleren Grund ausmacht, und wo das Hauptlicht ruhet,
liegt ein angenehmer Wald von den schönsten Bäumen, durch welche
das Licht mit allmählig sich verlierendem Schimmer bricht, und wo
eine Heerde Schaafe theils weidet, theils im Schatten ruhet. Ein Schäfer
mit seiner Flöte, nebst drey Mädchen in einer schönen Gruppe, sind
in das Hauptlicht gesetzt. Der Vorgrund, welcher Weidenbäume ent*
hält, die vor Alter beynahe verfallen, und mit Moos und Laub fast völlig
überwachsen sind, ist voll wahrer Einfalt einer ungekünstelten Natur-
Diese zwo Zeichnungen zeigen eine ungemein leichte Hand. Sie
sind fast mit dem Pinsel ohne Feder getuscht,- nur in den nahen
Bäumen und Gründen sind Umrisse mit vieler Überlegung gezogen.
Diese Manier gibt ihnen ein ungemein sanftes Ansehn. Die erste
dieser Zeichnungen ist völlig in dem Geschmack des Caspar Poussins,
und die zwote in Claude Lorrains. — Man muss aber wissen, daß
Geßner zu sehr original ist, als daß er durch Nachahmung groß seyn,
und daß sein eigener Fand zu reich ist, als daß er von anderen Schön*
heiten borgen sollte. Sein glückliches und durch unablässiges Studieren
geübtes Gedächtnis bringt oft wider seinen Willen fremde Züge hin*
ein, die er für seine eigene hält.»
Die Beschreibung paßt Zug für Zug auf die zwei Zeichnungen,
die in der Ausstellung als Nr. 708 und 709 sich finden. Im Werk
von Geßner reihen sich von 1762 bis 1777 in Tusch lavierte Kom*
Positionen, für Geßner selber und einem ihm so nahen Freund wie
J. C. Füßli gewiß nicht weniger gehaltvoll und künstlerisch durch*
dacht als diese beiden Blätter von 1767 und 1768. Der Aufsatz von Füßli
beweist, daß solche Arbeiten so sehr gelesen als geschaut sein woll*
ten, und wenn sie gut sein sollten, sie Größe in Gelassenheit und
Fülle atmen mußten. Wir sehen in den spätem Bildern mehr und