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Ich habe mich an die schwierige Aufgabe gewagt, im gastlichen
Hause der Zürcher Kunstgesellschaft ein Bild der Entwicklung der
Wiener Malerei in den letzten hundert Jahren zu geben, die Ent
wicklung unserer Malerei, wie ich sie sehe, beschränkt durch die
gegebenen Raumverhältnisse, durch die Schwierigkeiten des heutigen
Tages. Die Ausstellung soll unseren Gastfreunden einen Begriff geben,
was Wiener Kunst war, was sie sich heute zu sein bemüht. Wenn sie,
allen Schwierigkeiten derZeit, allen gegebenen und geschaffenenHinder-
nissen zum Trotze, gelungen sein sollte, so wäre der Beweis erbracht,
dass die Nachteile der Subjektivität gegen die Nachteile der offiziellen
Rücksichten das kleinere Uebel darstellen. §B
Wiener Kunst ist deutsche Kunst, den Einflüssen der südlichen und
östlichen Nachbarschaft unterworfen. Diese Einflüsse wirken eigen
artig gestaltend, so dass Wiener Kunst in deutscher Kunst ihre
eigene Note hat. Im 17. und 18. Jahrhundert wird sie von italie
nischen Einflüssen noch erdrückt; erst nach 1 800 befreit sie sich von
diesen Fesseln. Die nächsten Jahrzehnte bringen bereits eine
Blütezeit, und in Ferdinand Georg Waldmüller ersteht ein Meister
bodenständigster Kunst. Die Eigenart derselben, ihr deutscher Kern,
ist die Vorliebe für die Erzählung, für das liebevolle Versenken in
den sachlichen Reichtum der Natur. Die „Huflattichstudie“ Rudolf