Die Schuld des Gottlob Schleicher Novelle pon Robert Jakob Lang. Co kam der Frühling fchon im Februar: die Sonne fchien warm ^ und freudig auf die kahlen Zweige. Die Finken fchlugen perwundert im Geäft; nur der Himmel war pon einem tückifchen blaffen ßlau. Hinter dem Dorf (treckte fleh eine breite, weiße Straße, an welcher Pappeln (landen. Zwilchen der fünften und fechsten Pappel lag ein Haus. Es war fo gewöhnlich, daß man feine befcheidene Häßlichkeit überfah und ihm eine Berechtigung in der Natur zuerkennen konnte wie jedem grauen Feldftein. Hinter dem Haus fing das Gewirr der Baumgärten an. Die Dächer lagen über den Kronen wie baumrote Pielgeftaltige Eier in einem Riefenneft. Unter der oberften Fenfterreihe des Haufes lief eine lange hölzerne Laube. Ueber dem Geländer war eine Schnur gefpannt, daran flatterten rote und weiße Windeln. An einer der hölzernen Stüftfäulen hing eine kleine Eifentafel, auf wel= eher die Roftflecken üppig wucherten, nur die Buchftaben der Auffchrift perfchonend. Von der Straße aus war nichts zu lefen und es hatte auch keine Not, denn daß da oben der Schneider* meifter Gottlob Schleicher feine Werkftatt hatte, das wußte ein jeder im Dorfe. Wenn man fleh aber über das Geländer der Laube lehnte, las man mit Befriedigung, daß der Schneider* meifter nicht ein gewöhnlicher Kleidungskünftler war, fondern ein „marchand=tailleur”. Ueber die Bedeutung diefes Ausdrucks war fleh der Meifter nicht im Klaren und dachte fleh die Sache fo, daß marchand wahrfcheinlich Schneider und tailleur demzu* folge Meifter bedeute. Es war da por einigen zehn Jahren ein fremder Gefelle beim Maler Pifcher untergekommen, der hatte ihm den Firmenfchild gemalt und als er damit fertig war, zeigte das Schneiderlein einen hellen Stolz über feinen neuen Titel, getraute fleh aber nicht aus der löblichen Furcht heraus unge* bildet zu erfcheinen, nach dem Sinn zu fragen. Er ahnte wohl deffen Herkunft aus der franzöflfehen Sprache und grämte fleh ein wenig, nicht Schangi oder Schaggi zu heißen. Mit einem folchen feinen Namen wäre die Tafel fein ganzes Glück gewefen