7 bleme gewiß, aber sie müssen delikat behandelt werden, sodaß sie an die Nerven greifen — aber unverbindlich, zu nichts verpflichtend. Im Maße wie die Klassengegensätze sich verschärften, wurde die offizielle Kunst der Bourgeoisie wirklichkeitsfremder und -feind licher, aristokratischer, unverständlicher. Es wäre indessen falsch und ungerecht anzunehmen, die Künstler haben sich bewußt und zynisch auf Seiten der Bourgeoisie gestellt, weil sie die Macht hat, sich etwa mit Berechnung prostituiert. Es scheint vielmehr, daß ein großer Teil der „Anerkannten“ sich zunächst ehrlich und zäh mit den Problemen herumschlugen, die in ihren Gesichtskreis traten. Aber der Künstler stößt weniger auf Probleme als diese auf ihn; das schlimmste dabei ist, daß er dies fast nie zugeben will. Wie sich auf eine Frau die Ideologie ihres Mannes überträgt, so auf den Künstler in der Regel die der „Oeffentlichkeit“. Die Oeffentlichkeit ist das Angesicht der herrschenden Klasse. Sie muß dafür sorgen, daß auf dieser Welt alles in Ordnung er scheint, sie kann nicht dulden, daß die Ruhe gestört wird. Die Welt darf kompliziert dargestellt werden, das hebt das Selbstbe- wußtsein derjenigen, die sie lenken, relativ darf sie bewertet werden, denn das befreit von Verantwortung, raubt jeder Bewertung und Kontrolle des Weltgeschehens den Stachel. Demgemäß ist es keineswegs verwunderlich, daß die Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte alles andere anstrebte, als die Vermittlung eines klaren, scharf umrissenen Weltbildes an breite Massen oder auch nur an die Bevorzugten, die sich mit ihr befaßten. Der Schluß liegt nahe, daß die im allgemeinen recht nüchterne und unproblematische Großbourgeoisie, die verworrene, weltfremde und entnervende Tendenz der modernen Kunst nach anfänglichem Sträuben duldete, ja sogar unterstützte und züchtete als eine Art Selbstschutz vor der entwickelten Intelligenz der eigenen Nachkommenschaft, die unter dem Einfluß einer starken und klaren Ideenwelt nur zu leicht den Widersinn des Systems der Väter hätte durchschauen können. Mit den Klassikern allein ließ sich das nicht machen. Die ärmeren Schichten konnte man damit abfinden. Sie lebten ja in einer Welt, deren Reiz sowieso in Vergangenheit oder Zukunft lag. Dagegen die Jugend, welcher auf materiellem Gebiet nichts abging, ließ sich nicht mit den geschichtlichen Themata abspeisen, sie verlangte natürlicherweise auch den geistigen Extrakt der Gegenwart. In Rußland ward dies Verlangen in zahllosen Fällen das Verhängnis der älteren Generationen, denn dort existierte nicht, wie bei uns, eine Kunst, welche vom sozialen und geschichtlichen Geschehen isoliert. Die Frage taucht auf: Wie erklärt es sich, wie war es möglich, daß in Deutschland und auch in den westlichen Ländern im Gegen-