<p>Wieland Herzfelde</p><p>Gesellschaft, Künstler und Kommunismus</p><p>Der Malik-Verlag / Berlin-Halensee</p>
KLEINE REVOLUTIONÄRE BIBLIOTHEK<br/><br/>Band I: N. LENIN. Sein Leben und seine Tätigkeit<br/><br/>von Georg Sinowjew.<br/><br/>Mit zwei Bildern und einer kurzen Arbeit Lenins<br/>sowie einem chronologischen Verzeichnis seiner<br/>Schriften........................2.50 Mk.<br/><br/>Band II/III: BREST - LITOWSK. Reden, Aufrufe, Manifeste<br/>der russischen Volkskommissare Trotzki, Lenin,<br/>Joffe, Radek u. a. m.<br/><br/>Nach russischen und anderen Quellen gesammelt<br/>und zusammengestellt von Ernst Drahn.<br/><br/>4.— Mk.<br/><br/>Band IV: DAS GESICHT DER HERRSCHENDEN KLASSE.<br/><br/>57 politische Zeichnungen. III. erweiterte Auflage,<br/>13.—25. Tausend. Preis broschiert 6.— M., in Halb-<br/>leinen, auf holzfreiem Papier . . Preis 18.— M.<br/><br/>Vorzugsausgabe: 50 Exemplare in Ganzleinen, Gold-<br/>prägung, numeriert und signiert . Preis 150.— M.<br/><br/>Band V: DIE ETHISCHEN ERGEBNISSE DER RUSSI-<br/>SCHEN SOWJETMACHT von Pierre Pascal.<br/>Uebersetzt von Hermynia Zur Mühlen.<br/><br/>Broschiert 2.— Mk.<br/><br/>Band VI: GESELLSCHAFT, KÜNSTLER UND KOMMU-<br/>NISMUS von Wieland Herzfelde.<br/><br/>Broschiert 2.50 Mk.<br/><br/>In Vorbereitung!<br/><br/>Band VII: BÜHNE UND REVOLUTION. Beiträge bekannter<br/>deutscher und ausländischer Autoren.<br/><br/>Die Sammlung wird fortgesetzt.<br/>
dADAl'-'tCS'<br/><br/>KLEINE REVOLUTIONÄRE BIBLIOTHEK<br/><br/>HERAUSGEBER: JULIAN GUMPERZ / BAND VI<br/><br/>%<br/><br/>GESELLSCHAFT,<br/>KÜNSTLER UND<br/>KOMMUNISMUS<br/><br/>von<br/><br/>WIELAND HERZFELDE<br/><br/>Preis 2 Mark<br/><br/>DER M A L I K-VE R LA G / BERLIN<br/><br/>*<br/><br/>!<br/>
Alleinauslieferung für die Schweiz: Buchhandlung CARL OSER, Zürich<br/><br/>INHALT:<br/><br/>Seite<br/><br/>Teil I: Die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Künstler 3<br/>Teil II: Der Weg des Künstlers zum Kommunismus ... 10<br/><br/>Teil III: Die Aufgaben des kommunistischen Künstlers in der<br/><br/>bürgerlichen Gesellschaft....................14<br/><br/>Teil IV: Der Künstler im kommunistischen Staat .... 21<br/><br/>Copyright by DER MALIK-VERLAG, BERLIN 1921.<br/>Alle Rechte, besonders die des Nachdrucks und der Uebersetzung<br/><br/>Vorbehalten<br/>
Gesellschaft, Künstler und<br/>Kommunismus<br/><br/>I. Die Beziehungen zwischen Gesellschaft<br/>und Künstler.<br/><br/>jegliche Kunstproduktion ist das Spiegelbild ihres Publikums<br/>oder umgekehrt. Die Kunst wird in verschiedenen Strömungen,<br/>Arten und Formen auftreten, analog den sozialen Schichtungen und<br/>Gegensätzen der Gesellschaft. Diese Spiegelung wird allerdings<br/>in Literatur, Malerei, Musik etc. unterschiedlich sein, je nachdem<br/>wie stark und eindeutig eine Verbindung mit den realen Existenz-<br/>bedingungen des Publikums besteht. Am intensivsten scheint sie<br/>bei der literarischen Kunstgattung.<br/><br/>Der Wert der gesamten Kunsterzeugung einer Epoche wird<br/>bestimmt durch das (vorhandene oder fehlende) Verhältnis zwischen<br/>dem wesentlichen Bestandteil der Gesellschaft, dem Proletariat, und<br/>den Schöpfern ihrer Kunstprodukte.<br/><br/>Dies Verhältnis ist davon abhängig, wie weit die Arbeiter sich<br/>mit künstlerischen Erzeugnissen befassen oder die Künstler sich mit<br/>der Welt des Arbeiters. Wenn man heute von solchen Beziehungen,<br/>solcher „Volkskunst“ überhaupt sprechen kann, so nur in Bezug<br/>auf die von Kunstverständigen als minderwertige Mache bezeicb-<br/>neten Werke, vor allem aber auf den vielerlei „Schund und<br/>Schmutz“, der in Kolportagehandlungen, Torfahrten, kleinen<br/>Schreibwarengeschäften, Ramschläden etc. vertrieben wird. Ich<br/>meine die vielen Erscheinungen in Lieferungen mit buntem Bild-<br/>umschlag, die Postkartenserien, die Abenteurer-, Detektiv-, Krimi-<br/>nal- und Sittenromane, die Engelhom-, Kronen- und Ullsteinbücher,<br/>kurz alles, was dem Kalturkenner verpönt ist. Diese Erzeugnisse<br/>sind ganz und gar auf breite Volksschichten eingestellt. Versuche,<br/>sie mit „guter Literatur“ in ähnlicher Aufmachung (z. B. „Welt-<br/>literatur“, der „Kleine Roman“, „Inselbücherei“), durch „Künstler-<br/>postkarten“ zu unterdrücken, sind vergebens. Uebrigens könnten<br/>sich unsere Künstler von Namen an diesen minderwertigen Erzeug-<br/>nissen in mancherlei Hinsicht bilden. Sie könnten ersehen, mit wie<br/>einfachen Mitteln sich das Interesse, die Aufmerksamkeit einfacher<br/>Menschen erwerben läßt, wie sinnlos es ist, diesen Menschen die<br/><br/>3<br/>
Welt von vornherein anders, komplizierter, problematischer, indivi-<br/>dueller darzustellen als sie sie seit Generationen wahrzunehmen ge-<br/>wohnt sind. Die Schund- und Konjunktur-Schreiber verfügen, ge-<br/>rade weil es ihnen meist auf nichts anderes ankommt als gekauft zu<br/>werden, über eine erstaunliche psychologische Anpassungs- und<br/>Einfühlungsfähigkeit und vor allem über die sehr bejahenswerte<br/>Kraft, ihre Privatperson und ihre subjektiven Weltprobleme aus dem<br/>Spiel zu lassen. Das ist reinste Fabrikarbeit, vielleicht darum<br/>gegenwärtig die einzige Kunst für Massen. Dennoch ist<br/>diese Produktion unproletarisch, ja auch aus-<br/>gesprochen proletarierfeindlich. Sie verklärt die<br/>Welt des Glanzes und des Reichtums, sie spricht zum Leser als Ein-<br/>zelnen statt als Glied seiner Klasse. Mit all den Schilderungen aus<br/>dem Leben der Grafen und Millionäre, der Abenteurer, Kokotten,<br/>durchgebrannten Bürgertöchter, der Verbrecher, Reisenden und Er-<br/>finder, kurz der machtlüsternen, exzentrischen, sozial entwurzelten<br/>Typen, die leben ohne zu produzieren — und daher Zeit zum<br/>„interessanten Leben“ haben — mit diesen Schilderungen wird der<br/>Leser abgelenkt von seiner Welt, werden seine Lebensenergien der<br/>Wirklichkeit entzogen und an fadenscheinige Illusionen vergeudet.<br/>Häufig spielt zwar irgendein armer Teufel mit oder ein bildschönes<br/>Mädchen (natürlich ohne Geld und Wohnung), aber immer und<br/>ausschließlich als Sologeschöpf gegenüber der begehrten Sphäre<br/>der Ausbeuter, in der man dann auf irgendeine romantische Art<br/>Eingang findet, oder aber daran zugrunde geht. Das ist<br/>dann Tragik — ein unerschöpfliches Thema für sentimentale Dar-<br/>stellungen. Es gibt da natürlich tausend Variationen, allen ge-<br/>meinsam ist jedoch die Tendenz: zu spekulieren auf die Armut der<br/>Leser an Geld, Zeit und Macht.<br/><br/>Diese inoffizielle Volkskunst lebt vom Bedürfnis der Arbeiten-<br/>den nach des Lebens Buntheit und Mannigfaltigkeit. Solange dies<br/>Bedürfnis real unbefriedigt bleibt, wird diese „Schundliteratur“<br/>unausrottbar sein, solange wird es auch jene sozial haltlosen<br/>Schichten geben, die, aus dem Proletariat kommend, von der Arbeit<br/>der „Dummen“ leben durch kleine Schiebungen, Diebstahl, Spiel,<br/>Wetten, Spekulationen, Vermittlungen u. s. f. Für diese Schichten<br/>ebenso wie für die „kleinen Mädchen“, die nach Ladenschluß das<br/>Glück suchen gehen, ist die genannte Kunst die tatsächliche ideo-<br/>logische Basis.<br/><br/>Ein unscheinbareres, doch sehr beachtenswertes Dasein, führt<br/>jene Literatur (und die ihr entsprechenden Kunstprodukte), die kein<br/>Wässerchen trübt, die in den Sonntagszeitungen, in Krankenhäusern,<br/>in den sozialen Fürsorgeorganisationen, in den pietistisch-frommen<br/>Familien aller Klassen, vor allem in der Provinz und auf dem Lande<br/><br/>4<br/>
verbreitet ist. Auch sie knüpft an beim Erlebensdrang des Lesers<br/>— aber von vornherein mit der Tendenz, diesen Drang zu ver-<br/>neinen, aufzuweisen die Sündhaftigkeit der lärmenden Welt, die<br/>Vergänglichkeiten aller Begierden und Berauschtheiten. Es ist so-<br/>zusagen die Kunst des moralischen Katzenjammers, der Abkehr von<br/>der großen Welt. Irgendein Himmel dient da sozusagen als er-<br/>lösendes Prinzip, ein Gärtchen, ein Weibchen, ein stilles blaues<br/>Bächlein. Oder Wolkenpaläste, vergilbte Briefe, schlichtweißes<br/>Haar. Solche Erzeugnisse sind vor allem auf Frauen, Kinder und<br/>schwache Intelligenzen wirksam; sie werden meist von Pastoren,<br/>älteren Jungfrauen und ähnlich impotenten Figuren hergestellt.<br/>Es gibt auch Klassiker dieses Schlages. So sind z. B. Geibel,<br/>Schwindt, Voß beliebte und hehre Vorbilder. Die ursprüngliche<br/>Basis der darin zum Ausdruck gelangenden Ideologie ist die christ-<br/>liche Kirche. Daß diese stark an Macht eingebüßt hat, verhindert<br/>indessen nicht, daß ihre psychologischen Einflüsse auf breite<br/>Schichten heute noch intensiv nachwirken.<br/><br/>Da, wo jene indirekt kirchlichen Produkte aufhören zu wirken,<br/>wo Skepsis am simplen Weltbild des pietistischen Träumers nagt,<br/>da entsteht der geeignete Boden für eine andere, eine mystisch-<br/>okkultistische Literatur (deren populärster Vertreter Rudolf Steiner<br/>ist). Auf diesem Gebiete gibt es umfangreiche Spezialliteraturen.<br/>Auch die Kunstgattungen der Malerei und Musik weisen ähnliche<br/>Tendenzen auf, doch schwächere, da in der Regel abstrakt-theore-<br/>tische Konfusionen vorherrschen (Gnosis, Kaballa, indische, chine-<br/>sische Geheimlehren), die sich auf die absoluteren Künste schwer<br/>übertragen lassen. Der Umfang des Einflusses ist schwer ab-<br/>zuschätzen, da den Schichten, die sich damit befassen, die Neigung<br/>zur Abgeschlossenheit und zur Geheimniskrämerei eigen ist. Die<br/>Produktion dieser Art, vor allem das Interesse dafür, ist gewisser-<br/>maßen Ausdruck einer sozialen Pathologie, sie wirkt verwirrend<br/>und sektenbildend, zeugt Größenwahn und andere fixe Ideen, zieht<br/>all die Menschen an, deren Intelligenz und Fassungsvermögen zu<br/>gering ist im Verhältnis zu ihrem Wissensdrang, der so zur Be-<br/>drückung wird und nach einem Auswege sucht.<br/><br/>Dies ist die Brutstätte aller Dilettanten, Charlatane und Quack-<br/>salber, das Eldorado psychologischer Hochstapler. Die Verhält-<br/>nisse der letzten Jahre, der allgemeine Drang nach Erlösung hat<br/>die Konjunktur derartiger Kreise und Spekulationen ungemein be-<br/>günstigt. Es handelt sich hier natürlich nicht mehr um prole-<br/>tarisches Publikum, sondern um exzentrische Bürgerliche aller<br/>Schattierungen, hauptsächlich um Hysteriker und Neurastheniker.<br/>Die Wichtigkeit und die Auswirkungen solcher Erzeugungen<br/>werden von ihren Konsumenten gerne überschätzt — wie es über-<br/><br/>5<br/>
haupt symptomatisch ist, daß die Kunst ebenso wie andere mensch-<br/>liche Liebhabereien und Leidenschaften um so wichtiger und welt-<br/>bewegender auftritt und tatsächlich von den Schichten, für die sie<br/>geschahen ist, entsprechend überschätzt wird je enger und exklu-<br/>siver ihr Wirkungskreis ist.<br/><br/>Dies gilt auch von der Kunst der Gebildeten, der bewußten<br/>Kulturträger. Sie ist, obwohl nur eine Minderheit der Bevölkerung<br/>sie in sich aufnimmt, tonangebend. Ihre Schöpfer wie ihr Publi-<br/>kum wissen von der Existenz obenerwähnter Gattungen wenig,<br/>halten sie für subaltern und belanglos. Die „führenden“ Zeit-<br/>schriften, Kritikspalten sind meist gefüllt mit erstklassiger, wahrer<br/>Kunst. Die liegt auch in den Schaufenstern, erzielt entsprechend<br/>ihrem Luxuscharakter riesige Umsätze, erhebt Anspruch auf die<br/>Ewigkeit, auf die diversen Schiller-, Kleist- und Nobelpreise und<br/>darauf, die geistige Achse der Gesellschaft, der Erde, ja des Kosmos<br/>zu sein. Tatsächlich ist sie bedingt und wurde erzeugt von den<br/>Bedürfnissen der kapitalistischen Oberschicht. Diese Schicht liest<br/>natürlich im wesentlichen ebenso gut wie die Ladenmädchen, die<br/>Offiziere und Heiratsvermittlerinnen am liebsten Tovote, Stratz<br/>und Hans Heinz Ewers. Sie weiß aber, daß diese Literatur „leichte<br/>Kost“ ist, die man in Stunden genießen kann, wo es nicht darauf<br/>ankommt seinen Mann zu stehen, sich seines Wertes bewußt zu<br/>sein. Die Kunst aber, die zu kennen oder gar zu fördern einem<br/>Verdienst gleichkommt, die hat bleibende Aufgaben — und wenn<br/>sie auch in sehr vielen Fällen nur im Bücherschrank steht; sie er-<br/>füllt auch da diese Aufgaben: Dem Reichen, dem Mächtigen eine<br/>Vorstellung vom Weltgeschehen zu vermitteln, die seine Existenz<br/>rechtfertigt, die ihn schützt vor seinen schlimmsten Feinden, der<br/>Leere, der Ratlosigkeit im eigenen Innern. Diese möglichst in<br/>Batik zu bindende, auf Auktionen zu erwerbende, fast nur in Privat-<br/>Konzerten erlauschbare Kunst muß also sein: Erhaben über<br/>plumpe Tendenzen, geistreich aber nicht klar, exzentrisch und<br/>differenziert aber dabei distanziert und harmonisch. Der Reiche,<br/>trainiert im Genuß, will seltenste Kost, stets neue Reize und vor<br/>allem — Sachen, die viel kosten. Daß er sie fast nie verstellt —<br/>das hebt ihn in den eigenen Augen und in denen seiner Klasse,<br/>darüber läßt sich viel und unkontrollierbar reden, das hebt hinaus<br/>über die banale Wirklichkeit, in der sich doch der Mensch in seinen<br/>reinsten innerlichsten Stunden nicht so recht wohl fühlt (nämlich<br/>wenn er keine Arbeit hat). Tendenz ist unter allen Umständen ab-<br/>zulehnen, welcher Richtung auch immer sie ist, denn sie belädt mit<br/>Verantwortung. Der Ausbeuter sieht die Welt lieber wie ein Ge-<br/>schenk an, er will ja bloß seine Freude an der Welt haben. Pro-<br/><br/>6<br/>
bleme gewiß, aber sie müssen delikat behandelt werden, sodaß sie<br/>an die Nerven greifen — aber unverbindlich, zu nichts verpflichtend.<br/><br/>Im Maße wie die Klassengegensätze sich verschärften, wurde<br/>die offizielle Kunst der Bourgeoisie wirklichkeitsfremder und -feind-<br/>licher, aristokratischer, unverständlicher. Es wäre indessen falsch<br/>und ungerecht anzunehmen, die Künstler haben sich bewußt und<br/>zynisch auf Seiten der Bourgeoisie gestellt, weil sie die Macht hat,<br/>sich etwa mit Berechnung prostituiert. Es scheint vielmehr, daß<br/>ein großer Teil der „Anerkannten“ sich zunächst ehrlich und zäh<br/>mit den Problemen herumschlugen, die in ihren Gesichtskreis<br/>traten. Aber der Künstler stößt weniger auf Probleme als diese<br/>auf ihn; das schlimmste dabei ist, daß er dies fast nie zugeben will.<br/>Wie sich auf eine Frau die Ideologie ihres Mannes überträgt, so<br/>auf den Künstler in der Regel die der „Oeffentlichkeit“.<br/><br/>Die Oeffentlichkeit ist das Angesicht der herrschenden Klasse.<br/>Sie muß dafür sorgen, daß auf dieser Welt alles in Ordnung er-<br/>scheint, sie kann nicht dulden, daß die Ruhe gestört wird. Die<br/>Welt darf kompliziert dargestellt werden, das hebt das Selbstbe-<br/>wußtsein derjenigen, die sie lenken, relativ darf sie bewertet werden,<br/>denn das befreit von Verantwortung, raubt jeder Bewertung und<br/>Kontrolle des Weltgeschehens den Stachel. Demgemäß ist es<br/>keineswegs verwunderlich, daß die Kunstentwicklung der letzten<br/>Jahrzehnte alles andere anstrebte, als die Vermittlung eines klaren,<br/>scharf umrissenen Weltbildes an breite Massen oder auch nur an<br/>die Bevorzugten, die sich mit ihr befaßten. Der Schluß liegt nahe,<br/>daß die im allgemeinen recht nüchterne und unproblematische<br/>Großbourgeoisie, die verworrene, weltfremde und entnervende<br/>Tendenz der modernen Kunst nach anfänglichem Sträuben duldete,<br/>ja sogar unterstützte und züchtete als eine Art Selbstschutz vor<br/>der entwickelten Intelligenz der eigenen Nachkommenschaft, die<br/>unter dem Einfluß einer starken und klaren Ideenwelt nur zu leicht<br/>den Widersinn des Systems der Väter hätte durchschauen können.<br/>Mit den Klassikern allein ließ sich das nicht machen. Die ärmeren<br/>Schichten konnte man damit abfinden. Sie lebten ja in einer Welt,<br/>deren Reiz sowieso in Vergangenheit oder Zukunft lag. Dagegen<br/>die Jugend, welcher auf materiellem Gebiet nichts abging, ließ sich<br/>nicht mit den geschichtlichen Themata abspeisen, sie verlangte<br/>natürlicherweise auch den geistigen Extrakt der Gegenwart. In<br/>Rußland ward dies Verlangen in zahllosen Fällen das Verhängnis<br/>der älteren Generationen, denn dort existierte nicht, wie bei uns,<br/>eine Kunst, welche vom sozialen und geschichtlichen Geschehen<br/>isoliert.<br/><br/>Die Frage taucht auf: Wie erklärt es sich, wie war es möglich,<br/>daß in Deutschland und auch in den westlichen Ländern im Gegen-<br/><br/>7<br/>
satz zu Rußland die Kunst der begabtesten und führendsten Geister<br/>ausgesprochen unrevolutionär, tendenzfeindlich und volksfremd<br/>war. Um die Antwort darauf zu finden, sei vorerst die soziale<br/>Basis untersucht, auf der ein Künstler vor und auch während des<br/>Krieges, ja sogar heute noch lebt:<br/><br/>Der Künstler kann ebensogut im proletarischen wie im bürger-<br/>lichen Milieu geboren werden. Gewisse Fähigkeiten (Beweglich-<br/>keit der Sprache, Feinnervigkeit, Bildung und Hemmungslosigkeit)<br/>werden in der Regel dem Sohn der Bourgeoisie den Vorsprung in<br/>der Gesellschaft ermöglichen. Die wesentliche Bedingung für<br/>künstlerische Wirksamkeit, Produktivität wird dafür im Proletarier-<br/>kind häufiger und ursprünglicher vorhanden sein, sodaß, wie es<br/>die Wirklichkeit ja auch zeigt, tatsächlich aus beiden Lagern an-<br/>erkannte Künstler kommen. Dies ist jedoch kaum von Bedeutung.<br/>Die sozialen Verhältnisse für die meisten Künstler sind zunächst<br/>die gleichen. Sie haben nichts als die Hoffnung auf Ruhm, Reich-<br/>tum und ein buntes Leben. Sofern elterlicherseits finanzielle Unter-<br/>stützung gewährt wird, kommt es meist zum „Künstlerleben“, zur<br/>Arbeit in der Regel erst dann, wenn die Unterstützung entzogen<br/>wird. Somit wäre der Künstler wie jeder andere, der arbeitet um<br/>existieren zu können, ein Ausbeutungsobjekt des Kapitals. Tat-<br/>sächlich ist er es auch. (Abgesehen von den Fällen, wo ungewöhn-<br/>liche Zufälle es ihm ermöglichen, in irgendeiner Form den gesell-<br/>schaftlichen Ehrgeiz oder sonstige unbefriedigte Bedürfnisse Be-<br/>güterter auszunützen.) Die Ausbeutung des Künstlers gleicht in-<br/>dessen nicht der des Arbeiters, erstens weil er als Schaffender zu<br/>eng mit dem Produkt seiner Arbeit verwachsen ist, als daß man ihn<br/>über den Ertrag derselben unorientiert lassen könnte, vor allem aber,<br/>weil das Kunstgeschäft mit solch unerhörtem Risiko arbeitet, daß<br/>der Unternehmer es nicht allein tragen will und kann. Der Kunst-<br/>händler, welcher die Künstler ausbeutet, kann sich in der Regel<br/>nicht darauf einlassen, diese seine Arbeiter einigermaßen gleich-<br/>mäßig und ohne Rücksicht auf die Konjunktur zu unterhalten. Die<br/>Gründe hierfür sind selbstverständlich. Demzufolge beteiligt sich<br/>der Künstler an der Spekulation und am Risiko des Kunsthändlers<br/>(man arbeitet mit Prozenten) und so wird er selbst zum Bourgeois<br/>— zum Kleinbürger, der zwar arbeitet, aber nicht für Lohn, nicht<br/>sein Leben lang, sondern für Gewinn und, sobald wie nur mög-<br/>lich, nach Belieben. Damit ist zunächst seine politische Rolle ge-<br/>geben. Er ist bestenfalls unpolitisch, wenn er Farbe bekennen<br/>muß: arbeiterfeindlich. Dafür sorgt außerdem sein Publikum, das<br/>ihn ähnlich wie Prostituierte verwöhnt und umschmeichelt. Ge-<br/>wisse anarchistische Neigungen sind sozial bedingt durch seine<br/>Soloarbeit, die den Gemeinschaftssinn untergräbt, auch durch den<br/><br/>8<br/>
Druck des kapitalistischen Großbürgertums, von dessen Launen er,<br/>besonders am Anfang seiner Laufbahn, abhängig ist wie der Bauer<br/>vom Wetter, das er haßt und dem er dient zugleich. Die Atmo-<br/>sphäre individueller Vergottung, mit der ihn zunächst sein eigener<br/>Ehrgeiz, später vielleicht die Umwelt umgibt, erstickt jedes Soli-<br/>daritäts- und Klassenbewußtsein im Keime. Zuzugeben ist, daß<br/>die Vielseitigkeit und Freizügigkeit, die der Künstlerberuf mehr wie<br/>jeder andere gestattet, gewisse ursprüngliche und schlechtweg<br/>menschliche, auch zuweilen kritische Qualitäten gedeihen läßt.<br/>Eben aus diesem Grunde sind es auch oft triebstarke und somit<br/>gesetzwidrige Naturen, die sich ihm widmen. Daher findet man<br/>hier mehr als bei anderen Berufsarten Ausnahmen, welche<br/>den sozialen Einflüssen und der Existenzform, die ihre Arbeit mit<br/>sich bringt, kritische Ueberlegenheit und Eigenwillen entgegenzu-<br/>setzen imstande sind. Wenn dies im Deutschland der letzten fünf-<br/>zig Jahre weniger als irgendwo sonst der Fall war, so liegt das<br/>daran, daß die industrielle Entwicklung und die kapitalistische Or-<br/>ganisation in Deutschland intensiver, lückenloser und allumfassen-<br/>der gewesen ist als wohl in irgendeinem anderen europäischen<br/>Lande; wodurch für die Künstlerberufe nur solche Charaktere<br/>übrigblieben, die die geringste Fähigkeit und Neigung zu sozialer<br/>Eingliederung und politischer oder ökonomischer Entfaltung be-<br/>saßen.<br/><br/>Der Spielraum künstlerischer Entfaltungsmöglichkeiten war<br/>somit bei uns besonders eng und fast ausschließlich auf individuelle<br/>Gebiete beschränkt. Die Macht des Künstlers in Bezug auf gesell-<br/>schaftliche und soziale Fragen war geringer als irgendwo. Die<br/>ökonomische oder politische Bedeutung der Künstler insgesamt<br/>gleich Null. Sie haben es noch nicht einmal fertig gebracht etwa<br/>wie jene unvergeßlichen dreiundneunzig deutschen Intellektuellen,<br/>laut und aller Welt vernehmlich ihr (wenn auch borniertes) poli-<br/>tisches Glaubensbekenntnis zu manifestieren.<br/><br/>Man darf darüber aber nicht den psychologischen und kultu-<br/>rellen Einfluß der Künstlerschaft auf ihr Publikum und sogar<br/>darüber hinaus vergessen. Ich meine nicht jene Wirksamkeit, von<br/>der sie selbst soviel und oft und selbstherrlich reden, sondern jene,<br/>die sie ganz unwissentlich und unwillentlich ausüben: die Durch-<br/>dringung aller Klassen mit der Ideologie, der Moral, der Welt-<br/>anschauung der herrschenden Klassen. Es handelt sich hier um<br/>ein eigentümliches Wechselspiel. Jede Kunst verkörpert gewisser-<br/>maßen die herrschende Ideologie ihres Zeitalters. Diese Ideologie<br/>jedoch wird dadurch zu jener, welche der herrschenden Klasse ihr<br/>Bestehen ermöglicht und garantiert, daß diese Klasse es einfach in<br/>der Hand hat, jede andere auftauchende Geistesäußerung von vorn-<br/><br/>9<br/>
herein zu isolieren. Es ist ja auch selbstverständlich, daß sie An-<br/>schauungen und Tendenzen, die ihr zur Gefahr werden könnten,<br/>die ihr kritisch oder gar feindlich gegenüberstehen, unterdrückt und,<br/>wenn nötig, auch vernichtet; daß sie jedoch Bestrebungen, die ihre<br/>Macht stützen, bejahen oder wenigstens nicht in Frage stellen,<br/>fördert und züchtet. Dies ist umso leichter möglich, als der Kunst-<br/>schaffende stets dazu neigt, seine höchstens indirekt wirksame und<br/>unter allen Umständen an sich machtlose Tätigkeit in Verbindung<br/>mit jenen Kreisen zu bringen, die im Besitz der Macht sind, damit<br/>er sich und sein Tun für wichtig, für weltverändernd und unent-<br/>behrlich halten kann. Mit Eifersucht erfüllt ihn jeder Versuch, ohne<br/>seine Hilfe auf dieser Welt etwas zu ändern. Er behauptet z. B.<br/>(wenn es ihm schlecht geht), eine Revolution, die sich seiner<br/>Werke nicht annimmt, das sei gar keine, oder (wenn es ihm gut<br/>geht): diese Welt mit Schuhsohlen, Schaufenstern, Feld-, Industrie-<br/>und Büroarbeit, das sei gar nicht die richtige Welt, die sich aus<br/>Ansichten, Auffassungen, Psychologien und Philosophien, Abstrak-<br/>tionen und Problemen zusammensetze, die es wahrhaft zu revo-<br/>lutionieren gelte.<br/><br/>Zusammenfassend läßt sich sagen: Für welche Klasse auch<br/>immer, mit wie lauteren oder spekulativen Absichten auch immer<br/>der Künstler sich heute betätigt, er spielt eine Rolle, die im kläg-<br/>lichsten Verhältnis zu den erzieherischen und vorwärtstreibenden<br/>Möglichkeiten steht, die sein Beruf mehr als irgendein anderer<br/>in sich schließt, und so erklärt sich, daß die stärksten und ehr-<br/>lichsten Vertreter heutiger Kunst sich mit den Problemen der Selbst-<br/>verachtung und der Fragwürdigkeit des Wertes künstlerischer Pro-<br/>duktion überhaupt auseinandersetzen. Diese Auseinandersetzungen<br/>führten zunächst und werden immer wieder zu negativen Ergeb-<br/>nissen führen, bis die Erkenntnis sich einstellt, daß heute jedes und<br/>alle Probleme im Negativen enden — solange Herz und Hirn sich<br/>dem einzig positiven Inhalt unserer Geschichtsepoche verschließt:<br/>Der Idee des Kommunismus.<br/><br/>II. Der Weg des Künstlers zum Kommunismus.<br/><br/>Der Künstler ist ein Arbeiter, und er wird wie andere aus-<br/>gebeutet. Trotzdem ist er kein Proletarier, denn seine Freuden und<br/>Leiden, seine Niederlagen und Erfolge sind nicht so wie beim Pro-<br/>letarier diejenigen seiner Kameraden. Er hat keine Kameraden, son-<br/>dern Rivalen und Konkurrenten; seine Existenz ist bürgerlich.<br/>Darum kann nicht gesprochen werden vom Weg „der Künstler“<br/>zum Kommunismus (etwa wie bei den Fabrikarbeitern,<br/>den Landarbeitern oder auch den Angestellten und Beam-<br/><br/>10<br/>
teil), sondern nur vom Weg „des Künstlers“ zum Kommunismus.<br/>Darum werden kommunistische Künstler nicht nur Minderheiten,<br/>sondern Ausnahmen sein — solange nicht völlig neue Gesell-<br/>schaftsbeziehungen geschaffen sind.*)<br/><br/>Der bisherige Verlauf der russischen Revolution hat uns unter<br/>anderem gelehrt, wie wichtig für das revolutionäre Proletariat es<br/>ist, seine Propaganda überall dorthin za tragen, wo gesellschaftlich<br/>notwendige Arbeit geleistet wird — wenn auch diese Arbeit Bür-<br/>gerprivileg ist (wie z. B. die auf medizinischen, technischen, organi-<br/>satorischen Gebieten). Da keine Gemeinschaft oder Nation von<br/>heute auf morgen ihre ästhetischen Gewohnheiten, ihren Ver-<br/>gnügungs- und Unterhaltungsbetrieb ablegt, ist die Kioistproduk-<br/>tion notwendig. (Es wäre unverständlich optimistisch zu glauben,<br/>sie würde jemals überflüssig.) Zweifellos wird das Proletariat<br/>diese wie so viele andere bürgerliche Arbeiten selbst leisten müssen.<br/>Zunächst wird es indessen auch die geeigneten bürgerlichen Ele-<br/>mente heranziehen, denn wenn die proletarische Macht auch prole-<br/>tarischer Kunst und Kultur den Weg öffnet — es dauert lange, bis<br/>er zurückgelegt ist. Während dieser Uebergangszeit (Jahre?, Jahr-<br/>zehnte?) muß ein großer Teil der ursprünglich für die Bourgeoisie<br/>arbeitenden Künstler in den Dienst des Kommunismus gestellt<br/>werden.<br/><br/>Die anarchischen Neigungen des Künstlers machen es vielen<br/>unter ihnen leichter als anderen Existenzen, die Ideologie des Bür-<br/>gertums abzulegen und sich, von der Phantasie unterstützt, mit den<br/>Ideen des revolutionären Proletariats zu befassen. Meist bleibt es<br/>indessen bei dem platonischen Akt der Kenntnisnahme, bestenfalls<br/>des wohlwollenden Verständnisses — denn weiterzugehen müßte<br/>zum Bruch mit den bürgerlichen Kunsthändlern und -kaufern,<br/>mit den Instanzen der Öffentlichkeit führen, hieße den Ast ab-<br/>sägen, auf dem man sitzt oder zu sitzen gedenkt. Die Revolution<br/>wird aber von Menschen getragen, die von vornherein auf keinen<br/>Ast sitzen oder zu sitzen erhoffen. So bekennen sich vorläufig, weil<br/>es nicht opportun ist, nur verhältnismäßig wenige Künstler, denen<br/>Erkenntnis gleichbedeutend ist mit der Pflicht zum Bekenntnis, zur<br/>revolutionären Arbeiterschaft und bemühen sich, die proletarische<br/>Ideologie zur Basis ihres Wirkens werden zu lassen.<br/><br/>*) Wenn hier vom Künstler gesprochen wird, so ist stets der pro-<br/>duzierende Typus gemeint. Der reproduzierende Künstler wird mehr oder<br/>weniger den hier angeführten Verhältnissen oder aber den Gesetzen unter-<br/>worfen sein, die für die politische Entwicklung der Saison-Arbeiter aller<br/>Kategorien gelten. Der Leser wird unschwer beurteilen können, wie weit<br/>auf die verschiedenen Schichten der reproduktiven Künstler sich vorliegende<br/>Ausführungen anwenden lassen.<br/><br/>11<br/>
Diese wenigen merken es schnell, daß sie in der Schale der<br/>Revolution mehr zu lernen als zu lehren haben. Enttäuschend für<br/>Leute, die sich an ein Milieu gewöhnt haben, in dem es als Tugend<br/>gilt, in sich verliebt zu sein. Mancher kehrt denn auch bald aus<br/>der „oberflächlichen Welt“ der politischen Revolutionäre zurück in<br/>die unergründlichen Tiefen des reinen Geistes, oder geht „noch<br/>weiter nach links“, wo Partei und Politik verblassen neben dem<br/>glühenden Antlitz des absoluten Revolutionärs (z. B. Rühle), —<br/>der bei Tageslicht besehen dem Sonntagsjäger gleicht, der schießt,<br/>damit die wilden Tiere kommen. Die wenigsten Künstler werden<br/>sich damit befreunden, ihr Tun und Denken bewußt und nüchtern<br/>in den Dienst einer Klasse zu stellen, deren höchstes Prinzip die<br/>Ueberwindung des egozentrischen Materialismus, des separa-<br/>tistischen Individualismus ist.<br/><br/>Von der Absicht zur Ausführung ist ein weiter Weg besonders<br/>dann, wenn alle Maße, die man besitzt, unbrauchbar geworden<br/>sind, wenn man, zu differenziert, um unreflektiv zu schaffen, die ge-<br/>wöhnliche Art über die Dinge und über die Beziehungen des Da-<br/>seins nachzudenken, umstoßen muß; wenn man seine gesamte Welt-<br/>anschauung neu auf bauen, ja gewissermaßen das Denken neu er-<br/>lernen muß. Es heißt diese Notwendigkeiten verkennen, wenn man<br/>glaubt, der Künstler könne als Kommunist sein Handwerk weiter-<br/>treiben, etwa wie der Bäcker stets Brot backen wird, unabhängig<br/>davon, was er politisch denkt. Gerade weil der Künstler —<br/>ob er will oder nicht, ob es ihm schlecht geht oder gut<br/>— kein Proletarier ist, hat er ganz andere und wesentlichere<br/>Widerstände zu überwinden (um sich und vor allem in sich)<br/>als jener, damit er eine brauchbare Kraft im Befreiungs-<br/>kampf der unterdrückten Klassen werde. Sein Weg zum Kom-<br/>munismus hat zwei Phasen: die erste hat er durchlaufen, wenn er<br/>seinen Platz in der kommunistsichen Partei, seine Pflichten im<br/>Kampf gegen das Ausbeutertum, in der Solidarität mit den Ge-<br/>nossen erkannt hat. Dieser Weg ist verhältnismäßig leicht zurück-<br/>zulegen. Die zweite Phase setzt mit der Erkenntnis ein, daß die<br/>Fortsetzung seiner Berufstätigkeit in gewohnter Weise ähnlich un-<br/>möglich ist, wie etwa für den kommunistischen Journalisten die<br/>Arbeit in einer bürgerlichen Redaktion. Die Kommunisten haben<br/>ihre Presse, der Journalist sieht also ohne weiteres einen Ausweg.<br/>Die Kommunisten haben aber (vor Eroberung der politischen<br/>Macht) weder Museen noch Bühnen, weder Zeit noch Geld. Der<br/>Künstler sieht daher keinen Ausweg; er fühlt sich plötzlich in der<br/>Luft hängen: für die Bourgeoisie kann er und will er nicht wie<br/>bisher arbeiten — das Proletariat ist psychisch und ökonomisch so<br/><br/>12<br/>
gut wie anfällig, Künstler zu beschäftigen. Die revolutionären Par-<br/>teien Deutschlands (ob ausländische ist mir unbekannt) haben nicht<br/>nur keinen Versuch gemacht, diese Lage des kommunistischen<br/>Künstlers zu erkennen und ihn auf Grund ihrer marxistisch ge-<br/>schulten Intelligenz zur Lösung seines Dilemmas zu verhelfen, sie<br/>haben sich begreiflicherweise, da es sich um keine Massenerschei-<br/>nungen handelte, nicht darum gekümmert, sie haben sich jedoch<br/>des öfteren mit einer für revolutionäre Marxisten beschämenden<br/>Verständnislosigkeit in ihren Kritiken über die verschiedensten<br/>„ . . . ismen“ und sonstige künstlerische Versuche ergangen, deren<br/>A und O die bequeme Behauptung war, alles dies sei, weil er ver-<br/>worren, unreif und unverständlich ist, ein Produkt bürgerlicher<br/>Dekadenz. In vielen Fällen handelt es sich jedoch um das, wenn<br/>auch vielleicht erfolglose Bemühen kommunistischer Künstler, die<br/>zweite Phase ihres Weges zum Kommunismus, die revolutionäre<br/>Umstellung ihrer Produktion vorzunehmen.<br/><br/>,.Wissen Sie“, klagte mir kürzlich ein Genosse, „der Künstler,<br/>er mag ein noch so zuverlässiger Kamerad sein, sich noch so sehr<br/>unserer Sache hingeben, in der Partei wird er noch Jahre hindurch<br/>nicht voll angesehen, da er früher einmal vielleicht Expressionist,<br/>Anarchist, Dadaist, Nihilist oder sowas gewesen sein mag —<br/>wissen Sie, das tragen die Genossen einem nach, so wie der brave<br/>Bürger einer Dirne, die heiratete und; sich seitdem auch nicht das<br/>Geringste zuschulden kommen ließ, niemals ihr „Vorleben“ ver-<br/>gessen und verzeihen kann.“<br/><br/>Dies Verhalten hat seine Gründe: Künstler können mit ihrer<br/>überladenen Individualität, wenn sie es auch ehrlich meinen, in<br/>einer Partei, die Einsicht, Disziplin und Tatkraft anstrebt, mehr<br/>schaden als nützen. Dies ist ohne weiteres zuzugeben, aber den-<br/>noch ist es unbedingt falsch, Probleme, und seien es die nebensäch-<br/>lichsten, zu umgehen statt sie zu lösen. Revolutionäre haben ge-<br/>fährliche Sektieremeigungen! Leute ablehnen, sie boykottieren, links<br/>liegen lassen, überlegen abtun, weil sie einem nicht gleichen, weil<br/>sie Fehler begingen, oder weil sie unbequeme Probleme aufrollen<br/>— das ist weder revolutionär noch proletarisch.<br/><br/>Es ist eben historisch ganz unmöglich, daß ein Künstler eben<br/>so rasch und verhältnismäßig reibungslos die sozialen Bedingt-<br/>heiten seiner in der bürgerlichen Welt erworbenen Berufsauffassung<br/>überwindet, wie er sich politisch von hergebrachten Vorstellungen<br/>befreien kann. Denn politisch bemüht man sich um ihn, denkt man,<br/>schreibt und spricht für ihn, dringt auf ihn ein, führt ihn und läßt<br/>ihn niemals rat- und richtungslos allein. Beruflich ist der Künstler<br/><br/>13<br/>
indessen auf die wenigen Fachzeitschriften und auf seinen intellek-<br/>tuell meist eng und anders orientierten Bekanntenkreis angewiesen.<br/>Mit der Frage: Wie und was soll ich arbeiten? läßt man ihn allein.<br/><br/>Teil III.<br/><br/>Die Aufgaben des kommunistischen Künstlers<br/>in der bürgerlichen Gesellschaft.<br/><br/>Auf Grund seiner sozialen Stellung in der Gesellschaft und der<br/>Eigenheiten seines Berufes kann sich der Künstler nicht darauf be-<br/>schränken, kommunistisch organisiert zu sein und die Aufgaben,<br/>die ihm als Parteimitglied zufallen, gewissenhaft auszuführen.<br/>Selbstverständlich ist dies seine erste und absolute Pflicht wie die<br/>eines jeden Kommunisten. Um dieser Pflicht aber auch tatsächlich<br/>nachkommen zu können, muß der Künstler seine ganze Art zu<br/>produzieren, zu fühlen und zu denken von Grund auf ändern, weil<br/>er als Einzelner, als bourgeoiser Splitter nicht wie die Proletarier<br/>eigentlicher Soldat des Klassenkampfes ist, sondern Deserteur der<br/>bourgeoisen Front. Ganz natürlich wird man von ihm daher, und<br/>wenn man es nicht tut, er selbst von sich verlangen müssen, daß er<br/>unverkennbar und aus innerstem Drang mit der Klasse, aus der er<br/>kam, gebrochen hat, ehe er tauglich gilt, in der proletarischen Front<br/>mitzukämpfen.<br/><br/>Bevor wir darauf eingehen, wie der Künstler als Kommunist<br/>sich und damit seine Produktion ändern muß, sei kurz ein Thema<br/>berührt, das zu nahe liegt, um übergangen zu werden: die Rolle<br/>der Intellektuellen in der Revolution. Es bedarf keines Beweises,<br/>daß der Intellektuelle seinem Wesen und seiner traditionellen Welt-<br/>anschauung nach zur Bourgeoisie gehört. Wenn er trotzdem (vor<br/>allem Journalisten, Philologen, Rechtsanwälte usw.) meist leicht<br/>Eingang in die revolutionären Parteien findet, ja sogar maßgeb-<br/>liche Funktionen darin ausübt, so liegt es daran, daß man im<br/>Kampf mit der Bourgeoisie eben alle Kriegsinstrumente braucht,<br/>die diese anwendet — also auch die Fähigkeiten der Intellektuellen.<br/>Der Klassenkampf ist ja keine Hauerei, sondern so vielgestaltig und<br/>kompliziert, wie nur je ein moderner Krieg. Unbegreiflich bleibt<br/>aber, wieso man den Intellektuellen weniger Skepsis entgegenbringt<br/>als etwa den Militärs und den Beamten der Bourgeoisie. Sie sind<br/>doch in gleicher Weise Repräsentanten der herrschenden Klasse<br/>(wenn auch abhängig von ihr und häufig recht schlecht bezahlt).<br/>Es gibt nur eine Erklärung dafür: Die westeuropäische Revolution<br/><br/>14<br/>
befindet sich zurzeit in einem Stadium, wo mehr mit Worten als<br/>mit Waffen gekämpft wird (weshalb z. B. die kommunistische Presse<br/>sich selbst als „Waffe für die Rote Armee“ zu bezeichnen pflegt).<br/>In der Not frißt der Teufel Fliegen — das westliche Proletariat In-<br/>tellektuelle, wie das russische Spezialisten und Offiziere. Das<br/>ist kein Unglück, wenn scharf darauf gesehen wird, daß diese wie<br/>jene nur die strategische, nicht aber die geistigle und politische<br/>Führung ausüben. Sonst werden „Berufsführer“ daraus, die in der<br/>Luft über dem Proletariat und dem historischen Geschehen schwe-<br/>ben. Während der Klassenkampf Führer braucht, die vom Ver-<br/>trauen der revolutionären Massen nach vorne gestellt wurden, weil<br/>sie unbeirrbar kämpften und litten, tausendmal erprobt sind und<br/>sich in einem Leben der Hingebung und Entbehrung als tapfer,<br/>klar und kraftvoll genug erwiesen haben, um über das wertvollste<br/>Leben und Blut, das es gibt, das der revolutionären Proletarier,<br/>zu bestimmen. Wer auch solche „Führer“ ablehnt, der überlege<br/>sich den Satz aus einem der Briefe Rosa Luxemburgs: „Die ganze<br/>Kulturgeschichte der Menschheit, die nach bescheidenen Schätzun-<br/>gen einige Jahrtausende dauert, basiert auf der Entscheidung von<br/>Menschen über andere Menschen, was in den materiellen Lebens-<br/>bedingungen tiefe Wurzeln hat.“<br/><br/>„Führer“ überhaupt ablehnen, heißt dieses Gesetz über Nacht<br/>abschaffen wollen. Diese Nacht dürfte leider sehr lange dauern —<br/>wenn’s gut geht, einige hundert Jahre.<br/><br/>Was von den Intellektuellen gilt, trifft auch auf den Künstler<br/>zu: er muß sich das Recht, mit Proletariern Schulter an Schulter<br/>zu kämpfen, erst erwirken!<br/><br/>Das geben die, welche es ehrlich meinen, ohne weiteres zu —<br/>was aber tun sie? Sie reden und reden, voriges Jahr, dies Jahr<br/>und nächstes Jahr darüber, was zu tun sei — weil sie zu individu-<br/>alistisch sind, um ihre Aufgaben naiv, fast unbewußt aus den Ge-<br/>sichtern der Proletarier zu lesen. Oder sie halten diesen unfrucht-<br/>baren Zustand nicht mehr aus und gehen lieber „aufs Ganze“. Sie<br/>lassen Pinsel und Feder liegen, konspirieren, sind heute da, mor-<br/>gen dort, haben sechs Namen, blicken geringlschätzig auf alles,<br/>was nicht illegal lebt, leben selbst sehr schlecht und kleiden sich<br/>ärmlich, brechen tatsächlich die Brücken hinter sich ab (je nach<br/>Charakter ans politischem oder romantischem Bedürfnis). Sie<br/>gehen ins Proletariat.<br/><br/>Einen äußerlich ähnlichen Weg gingen viele Russen. Lewine<br/>z. B. war zwei Jahre lang Bauarbeiter. Aber nicht um der hero-<br/>ischen Geste willen oder um die bourgeoise Tradition in sich zu<br/>tilgen, sondern um das Proletariat, seine Arbeits- und Existenzbe-<br/><br/>15<br/>
dingungen aus nächster Nähe kennen zu lernen. Das könnte auch<br/>heute Intellektuellen wie Künstlern nur nützen. Es ist aber ledig-<br/>lich (wenn bei der bestehenden Arbeitslosigkeit technisch überhaupt<br/>durchführbar) einer Expedition oder Studie vergleichbar. Doch<br/>niemals macht man derart einen Proletarier aus sich, denn Prole-<br/>tarier sein heißt: Nichts andres sein können, durch die Gewalt der<br/>historischen und ökonomischen Entwicklung Sklave sein, bewußt<br/>oder unbewußt, voll unterdrückter, unentwickelter, abgestorbener<br/>und dumpfer Triebe, Kräfte, Anlagen. Um als Bourgeois den Ent-<br/>schluß zu fassen, ins Proletraiat zu gehen, muß man das Gegen-<br/>teil eines Proletariers, losgelöst von Tradition und Klassengebun-<br/>denheit, äußerst reflektiv und problembeladen, kurz ein Bourgeois<br/>im Stadium der Erkenntnis seiner historischen Ueberflüssigkeit sein.<br/><br/>Und so führt der Weg „ins Proletariat“ gemäß den unent-<br/>rinnbaren Gesetzen gesellschaftlicher Zugehörigkeit in ein anderes<br/>ebenso überflüssiges Milieu wie das, dem man entfloh: in die „pro-<br/>letarische Boheme“. Die setzt sich zusammen aus verfolgungs-<br/>wahnsinnigen Radikalen, aus Leuten, deren Ehrgeiz und Ungeduld<br/>sie vom Arbeitsplatz oder aus dem unerträglich gewordenen bür-<br/>gerlichen Heim trieb, aus Spitzeln, Scharlatanen und Hochstaplern,<br/>aus pathologischen, neurasthenischen, phantastischen Neulingen —<br/>unter ihnen die Künstler, welche nun glauben, der Klasse anzuge-<br/>hören, der die Zukunft gehört, die in Wirklichkeit aber auf die mei-<br/>sten jener Klasse wie auf Feinde blicken. „Kleinbürger“ ist ihr<br/>zweites Wort — und die Meinung, daß man den im westlichen Pro-<br/>letariat tatsächlich nur zu tief wurzelnden kleinbürgerlichen Geist<br/>nur durch Aufklärung und Propaganda, nur durch die Liebe, mit<br/>der man seinem verirrten Bruder naht, nicht aber durch Verachtung,<br/>Einschüchterung und Gewalt überwinden könne — diese Meinung<br/>nennen sie opportunistisch. Gewiß findet man in diesen Gruppen<br/>auch wirklich brauchbare Klassenkämpfer, aber nur vereinzelt,<br/>Kameraden, welche durch ihr illegales Leben gezwungen sind, wohl<br/>oder übel mit jenen isolierten Gruppen in Zusammenhang! zu stehen.<br/>Diese Gruppen kommen denn auch nur als Ausgangspunkt für<br/>Handlungen in Betracht, die eine Partei offiziell nicht decken kann<br/>und die naturgemäß sehr oft auch ohne Nutzen, wenn nicht schäd-<br/>lich für die Bewegung sein können. Falls also nicht ungewöhn-<br/>liche individuelle Eignung zum „Schrittmacher des Klassen-<br/>kampfes“, zum „Berufsrevolutionär“, wie sich diese Kameraden<br/>ohne jede Ironie selbst zu nennen pflegen, vorliegt, so lege der<br/>Künstler Pinsel und Feder nicht aus der Hand!<br/><br/>Nein — es gilt vielmehr, Pinsel und Feder in den Dienst der<br/>Sache zu stellen. Schon lachen einige geringschätzig: „Natürlich,<br/><br/>16<br/>
dabei kann einem nichts passieren, hübsch in der Schreibstube, da<br/>kann man den Krieg und die Revolution aushalten!“ Liebe Ge-<br/>nossen, wenn einem nichts passiert, so ist das vielleicht ein Beweis<br/>dafür, daß die Feder nicht scharf genug, der Pinsel nicht rück-<br/>sichtslos genug war, um die Bourgeoisie zu treffen; dann ist euer<br/>Vorwurf gerechtfertigt. Das ist aber kein Grund, um aufzuhören<br/>mit Schreiben, Zeichnen oder Malen — sondern nur Grund, es<br/>künftig besser zu machen. Wenn einem (sei es am Schreibtisch<br/>oder in „vorderster Front“) etwas passiert, so mag das ehrend sein<br/>— ein Verdienst ist es nicht. Es kommt nicht auf das Schicksal an,<br/>sondern auf die Leistung. Wer an der roten Front gewesen ist,<br/>wird nicht behaupten, daß die Gefangenen und Toten bessere Sol-<br/>daten waren als die andern. Und die Wut der Bourgeoisie ist<br/>ebenso blind wie die Splitter der Granaten. Das beweisen die<br/>vielen, die sie noch nicht umbrachte und die vielen, die ins Gras<br/>beißen mußten und nicht wußten, warum.<br/><br/>Konflikt mit den Gesetzen ist als Ziel lächerlich, als Begleit-<br/>erscheinung des Kampfes ganz selbstverständlich, aber nicht viel<br/>besagend. Es ist leicht und braucht keine revolutionäre Tat zu<br/>sein, den Staatsanwalt oder die Kugel eines Weißgardisten heraus-<br/>zufordern, es ist unendlich viel schwerer und geschieht daher viel<br/>seltener, die Bourgeoisie und ihr System so nackt, so eindeutig,<br/>zwingend und unwiderlegbar, so deutlich, jedem verständlich und<br/>wahrnehmbar zu demaskieren, daß ein jeder sie erkennt als das,<br/>was sie ist: als Zerstörerin allen Glücks, aller Gerechtigkeit und<br/>Freiheit, als Blutsaugerin an der Gegenwart jedes einzelnen, als<br/>Meuchelmörderin an der Zukunft aller Generationen!<br/><br/>Das zu tun und nichts anderes, ist die historische Aufgabe, die<br/>revolutionäre Pflicht derjenigen, welche die Befähigung! dazu in<br/>sich tragen, der kommunistischen Künstler!<br/><br/>Wenn irgend eine Aufgabe während der deutschen Revolution<br/>liegen blieb, ja überhaupt kaum als solche erkannt worden ist,<br/>so ist es diese. Wo sind die Romane, die Erzählungen, Theater-<br/>stücke und Gedichte, die dem politisch Gleichgültigen, Verkleister-<br/>ten oder Mutlosen die Zusammenhänge aufzeigen? Die ihn ge-<br/>fühlsmäßig dahin führen, daß die politischen Begriffe aus den ver-<br/>schiedenen Lagern für ihn überhaupt erst einmal realen Inhalt be-<br/>kommen, daß er aufnahmefähig wird für die kommunistische Idee,<br/>daß er die nötige Einsicht gjewinnt, um sich gegen das tägliche<br/>Gift der bourgeoisen Presse und der durch sie gezüchteten Ansich-<br/>ten in und um sich zu wehren. Wo sind die Schriftsteller, die wie<br/>mit Scheinwerfern hinter die Kulissen der Banken, der Großindu-<br/>strie, der Börse, der Diplomatie und des Handels leuchten, auf daß<br/><br/>17<br/>
der kleine Mann endlich aufhöre, nur die Fassade dieser Dinge zu<br/>sehen, während ihr v/ahres Wesen ihm verhüllt bleibt vom Nebel<br/>abstrakter Urteile für und wider sie. All die Zahlen, Statistiken,<br/>Polemiken, herausgegriffenen Einzelfälle, die die Presse bringt, —<br/>sie können nur von denjenigen richtig gewertet werden, die die Zu-<br/>sammenhänge zwischen sich und diesen trockenen Angaben — die<br/>nebenbei in jeder Zeitung anders lauten — bereits erfaßt haben.<br/><br/>Wer schildert mit der Ueberzeugungskraft, die nur dem wah-<br/>ren Kunstwerk innewohnt, die Vorgänge in Fabriken und Berg-<br/>werken, in Gefängnissen, beim Kapp-Putsch, den Märzunruhen, in<br/>Oberschlesien oder im besetzten Gebiet, in der Reichswehr, im<br/>Schoß der Parteien, bei Holz, in den Krankenhäusern, in den See-<br/>bädern, Mörder- und Spitzelzentralen, in den Armen- und Waisen-<br/>häusern?<br/><br/>Wo sind die Bilder, die aufzeigen, wie schön die Welt ist und<br/>wie Mßlich die Menschen sie sich gegenseitig machen, die dich<br/>lesen lehren in jeder Falte deines eigenen Gesichts und dem des<br/>Nächsten, ob du oder er Vertrauen verdient oder Mißtrauen. Wer<br/>verewigt, was der Mensch nur zu leicht vergißt, alles Grauen und<br/>Elend, Verbrechen und Niedertracht, Lüge und Feigheit, womit die<br/>Gier nach Besitz das Dasein verseucht hat.<br/><br/>Wo sind die Lieder, welche den ökonomischen und politischen<br/>Kampf der proletarischen Klasse schildern und befeuern (so wie die<br/>Couplets und Schlager und tausend Operetten das erotische Niveau<br/>der heutigen Gesellschaft spiegeln, ihre geschlechtlichen Tendenzen<br/>propagieren und fortpflanzen). Wer komponiert den Klagege-<br/>sang des gefangenen Rotgardisten, das bittere, doch gläubige Weh<br/>der Kommunistenwitwe, wer singt unsem Jubel über Rußlands<br/>Standhaftigkeit, wer unsere Freude, daß eine Idee, eine unerschütter-<br/>liche Zuversicht unser Leben ausfüllt, daß wir nicht mehr durch<br/>die Jahre laufen müssen, einsam und ohne Glauben, nur an uns<br/>selbst denkend, von allen möglichen kleinlichen Leiden abgestumpft<br/>und blind gegen das furchtbare Leid der Klasse, der Gesellschaft.<br/><br/>Hier gibt es kein Ende. Und kaum der Anfang ist gemacht!<br/>Wie kann es da — und gerade unter Kommunisten — Künstler<br/>geben, die die ganze Kunst für überflüssig, für bürgerlich halten<br/>und darum lieber als Politikanten oder Konspirative figurieren?<br/><br/>Mit Recht wird vielleicht eingewandt, es sei nicht jeder Künst-<br/>ler befähigt, so tiefe und überzeugende gesellschaftskritische<br/>Werke zu produzieren. Dann steht ihm das weite Feld der journa-<br/>listischen Arbeit offen! Dann ordne er sich den Anforderungen<br/>der Wort- und Bildpropaganda unter. Das ist gleichzeitig die<br/>beste, vielleicht die einzig'e Schule, um die Vereinzelung, den in-<br/><br/>18<br/>
dividuellen Snobismus, abzutöten, der heute im Künstler nur zu tief<br/>wurzelt; auch in dem, der geistig und willentlich längst darüber<br/>hinaus ist.<br/><br/>. • . /<br/><br/>Ein Widerspruch wird hier — sogar von Genossen — gerne<br/><br/>geltend gemacht: Kunst sei keine Propaganda. Wahre Künstler-<br/>schaft sei zuinnerst unparteiisch und wahrhaftig, den Gesetzen von<br/>Ziel und Zweck, jeder Absicht und Tendenz feindlich, dem Alltag<br/>entrückt, zeitlos und souverän. Diese Anschauung läuft in ihrer<br/>Konsequenz darauf hinaus, im Künstler einen Gott zu sehen: tat-<br/>sächlich spielt er heute dieselbe überflüssige lächerliche und trotz-<br/>dem offiziell anerkannte und verehrte Rolle wie jener erhabene<br/>Mann in den Wolken.<br/><br/>Der kommunistische Künstler aber ist kein überlegenes Lebe-<br/>wesen, er ist eine unter tausend Kräften, und gewiß nicht die wich-<br/>tigste, die den Bau der Menschheit, der Internationale, in Angriff<br/>genommen haben — wissend, daß sie die Vollendung; nicht erleben<br/>werden, — berufen, in den Brüdern das Bild der Vollendung zu<br/>wecken, es zu gestalten, und sei es nur dadurch, daß die Unvoll-<br/>kommenheit dieser Welt bis ins Letzte aufgezeigt und angefochten<br/>wird. Dies war die innere Tendenz wahrer Kunst seit je, dies war<br/>ihr Inhalt und Wert seit je, darum wird diese eigentlich nutzlose<br/>Erscheinung nie überflüssig. Nur wurde diese treibende Kraft in<br/>der Kunst: Kampf gegen die unvollkommene, Streben nach einer<br/>noch unwirklichen, menschenwürdigen Welt, — den wenigsten be-<br/>wußt und blieb daher fast nebensächlich in Anbetracht des Um-<br/>standes, daß diese Kraft immer und immer wieder dazu miß-<br/>braucht wurde, eine schlechte Sache, ein menschenfeindliches Tun<br/>als gut, wahr und ideal auszugeben (Kirche, Krieg, Reichtum usw.).<br/>Der Künstler ist ja, wie kein anderer Mensch, leicht zu berauschen<br/>und zu betrügen. So kommt es, daß er, von Generation zu Gene-<br/>ration mißtrauischer geworden, dazu neigt, Tendenz an sich als<br/>schädlich, Propaganda an sich als verlogen einzuschätzen. Das ist<br/>ein geistiger Degenerationsprozeß, der letztlich auf Selbstmord<br/>hinausläuft. Er hat sich auch auf die vielen kunstliebenden Typen der<br/>Bourgeoisie und auf manchen nachdenklichen bürgerlich infizierten<br/>Proletarier übertragen. Darum können gar nicht genug Hebel an-<br/>gesetzt werden, die bleierne Skepsis und Müdigkeit (kennzeichnend<br/>die Boheme, welche als Gegengewicht vollendete Indifferenz und<br/>harmlos-anarchistische Prinzipienlosigkeit anstrebt) aus dem Herzen<br/>derer zu entfernen, für die die Kunst autoritative Bedeutung hat.<br/>Das sind viele, mehr als man vielleicht gemeinhin glaubt, viel mehr<br/>als die, welche sich dessen bewußt sind.<br/><br/>19<br/>
Man kann die Künstler, welche diese Tatsachen und die ge-<br/>folgerten Notwendigkeiten und Aufgaben erkannt haben und dem-<br/>gemäß handeln, noch an den Fingern herzählen. Das liegt nicht<br/>zuletzt an den trostlosen ökonomischen Folgen, die revolutionäres<br/>Handeln hier noch mehr als in den kapitalfeindlich organisierten<br/>Berufen mit sich bringt. Wenn sich einer nicht schon vorher einen<br/>„Namen“ gemacht hat — wird er auf Ruhm und einen vollen<br/>Magen verzichten müssen. Zwar müssen das die meisten bürger-<br/>lichen Künstler auch. Doch zehren sie in Form von Hofinungen<br/>und Zukunftsträumen am herrlichen Dasein der „Sterne“ verschie-<br/>dener Größe. Hier gedeiht das Strebertum, das unempfindlich<br/>macht gegen Not, Ungerechtigkeit und Fußtritte. Es blüht vor<br/>allem in den künstlerischen Berufsorganisationen, die meist ganz<br/>jung sind und eher als mit Gewerkschaften mit Gymnasialklassen<br/>oder professionellen Sportklubs vergleichbar sind. Es setzt eine<br/>gründliche Kenntnis der verschiedenen Organisationen voraus, zu<br/>entscheiden, ob man dieselben als Kommunist verlassen soll, oder<br/>aber ob man im Rahmen dieser Verbände Propaganda treiben soll<br/>und kann. Vielleicht ist die Möglichkeit gegeben, alle kommunisti-<br/>schen Künstler gesondert in einer roten Berufsorganisation zu-<br/>sammenzufassen. Vielleicht kann man diesen Plan aus propagan-<br/>distischen Gründen aber auch ablehnen. Es wäre unbedingt wün-<br/>schenswert, daß die revolutionären Parteien zu diesen Fragen Stel-<br/>lung nehmen. Voraussetzung dafür ist das Auftreten kommunisti-<br/>scher Opposition in den Verbänden.*) Jedenfalls handelt es sich<br/>hier um eine Fülle von Fragen und Aufgaben, denen man sich als<br/>kommunistischer Künstler ebensowenig verschließen darf wie<br/>irgendwelchen andern revolutionären und beruflichen Problemen.<br/><br/>Während auf literarischem Gebiet die Diskussion über Form-<br/>fragen, welche die letzten Jahrzehnte fast völlig beherrschte, allmäh-<br/>lich versiegt ist und heute wieder jeder schreibt wie er will und kann,<br/>spielt dieses Problem für die bildenden Künstler nach wie vor<br/>eine große Rolle. Auf die verschiedenen „Ismen“ einzugehen, liegt<br/>uns zu fern. Es genügt wohl, sie alle als Produkte mangelnden<br/>Kontaktes mit dem Leben zu charakterisieren. Deshalb kann man<br/>nicht leugnen, daß das Streben nach neuen Gestaltnngsmöglich-<br/>keiten und Ansdrucksmitteln, nach Ueberwindung der traditionellen<br/>Vorstellungen und Urteile, die sich mit gewissen hergebrachten<br/>Formen verbinden, aus einem Gefühl der Auflehnung herans ge-<br/>boren, also in gewissem Sinne revolutionär ist. Bleibt die Frage:<br/>Wogegen revolutionär, wofür? Offenbar gegen Symptome einer<br/><br/>• VVergl. den „Offenen Brief an die Novembergruppe“ in Heft 8/9, Jahr-<br/>gang II „Der Gegner“.<br/><br/>20<br/>
alten für Ergebnisse einer neuen Gesellschaftsordnung. Nicht<br/>aber gegen die Ursachen der alten und für die Geburt der neuen<br/>Ordnung. Sicher sind manche, welche sich mit diesen absoluten<br/>Problemen abquälen, sehr gute Genossen — doch ändert dies nichts<br/>daran, daß ihr berufliches Streben schädlich, wenn nicht wirkungs-<br/>los sein muß, in ähnlichem Sinn wie das Tun von Genossen, die<br/>die Frage, „wie lebe ich als Kommunist in der bürgerlichen Ge-<br/>sellschaft?“, beantworten: „indem ich sie meide oder so tue, als<br/>ob sie nicht da sei“ und folgerichtig eine Siedlung gründen. Die<br/>Künstlerkolonie Worpswede etwa ist ein Schulbeispiel dafür. Dort<br/>kann man sich Kommunisten ansehen wie Edelwild im Zoo, das<br/>Gitter bauen sie sich selber, und weh tun sie niemandem. Die<br/>Probleme, die sie naturnotwendig fruchtlos behandeln, sind viel-<br/>leicht spruchreif, wenn der Kampf mit der Bourgeoisie, mit Kapital<br/>und Militarismus endgültig vorüber ist. Die Mittel im Kampf<br/>haben nichts zu tun mit seinen Früchten: Mittel zu sein für den<br/>Kommunismus, einzig das ist das Gebot der Gegenwart, Kommu-<br/>nist sein zu wollen mitten im Kapitalismus, Kunst über den Klassen<br/>produzieren zu wollen, ist — wenn auch liebenswert-kindliche —<br/>Vermessenheit. Eine ganz andere Frage ist es, inwieweit die Kunst<br/>der Gegenwart Ansätze und Keime birgt, Nährboden ist für die<br/>Kunst der kommunistischen Proletariergemeinschaft. Diese Frage<br/>zu untersuchen ist jedoch nicht Aufgabe des kommunistischen<br/>Künstlers (das Grübeln müßte seine Phantasie zersetzen), sondern<br/>die des Kulturforschers. Ein Unterschied wie zwischen Mutter<br/>und Hebamme. „Proletkult“, das Embryo der kommenden klassen-<br/>losen Kultur, hat noch kein Bewußtsein, kann also kein Programm<br/>usw. haben; untersucht kann lediglich werden, ob das Proletariat<br/>mit ihm schwanger geht, die Symptome können genannt und er-<br/>kundet werden, man kann sich darüber streiten, was dem Proletariat<br/>nottut, damit sein Kindlein wächst und gesund zur Welt kommt.<br/>Der kommunistische Künstler aber kann dazu nichts anderes tun,<br/>als seine Kräfte ganz und rückhaltslos in den Dienst der revolutio-<br/>nären Gegenwart zu stellen. Dann und nur dann dient er wahrhaft<br/>der Zukunft.<br/><br/>Teil IV<br/><br/>Der Künstler im kommunistischen Staat.<br/><br/>Mit Eroberung der staatlichen Macht eines Landes durch das<br/>Proletariat ist eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Ueber-<br/>windung des Bürgertums erfüllt: seihe antisoziale, privatkapitali-<br/><br/>21<br/>
stische Ideologie ist in die Defensive gedrängt, ihrer stärksten or-<br/>ganisatorischen Stützen beraubt. Nicht aber ist diese Ideologie<br/>damit schon besiegt. Die Gesellschaft ist noch lange nicht revo-<br/>lutioniert, wenn ihr politischer und wirtschaftlicher Organismus in<br/>die Hände der revolutionären Klasse übergegangen ist. Dann be-<br/>ginnt erst der Prozeß der sozialen Umwandlung. Er stellt die<br/>alsdann herrschende Klasse vor unendlich schwierige Aufgaben<br/>der Selbsterziehung sowie der Einwirkung auf die gleichgültigen<br/>und noch zum Teil feindlichen Massen, vor Aufgaben, die sich<br/>über Generationen erstrecken dürften, die aber trotzdem von der<br/>Stunde des Siegs an sofort mit Energie und Zielklarheit begonnen<br/>werden müssen.<br/><br/>Um dies zu können, muß sich der Kommunist bereits vor dem<br/>Sieg mit diesen Problemen beschäftigen. Ein gefährlicher Aber-<br/>glaube, dem man nicht selten begegnet, ist es zu meinen, daß solche<br/>zur Zeit noch theoretischen Erwägungen sinnlos und überflüssig<br/>seien, denn zur rechten Zeit stehe der rechte Mann schon am<br/>rechten Fleck —« dank der schöpferischen Kräfte der Revolution.<br/>Das Gegenteil lehren die Erfahrungen, die wir aus russischen Ver-<br/>hältnissen während der Diktatur gewonnen haben: daß man im<br/>Kampf nie und nirgends auf Wunder rechnen darf, daß Augen-<br/>blickserfolge durch die ungeheure konservative Stabilität des Ges-<br/>sellschaftskörpers nur allzu leicht rückläufig werden, und daß Ge-<br/>walt daher nur dann fruchtbar sein kann, wenn sie sich paart mit<br/>intensiver Kenntnis der Struktur und der Funktionen all der ver-<br/>schiedenartigen gesellschaftlichen Zellen, mit wahrhaft universeller<br/>Einsicht in die realen Zustände und mit der produktiven Kraft,<br/>diese bis in alle Einzelheiten im Sinne der kommunistischen Ent-<br/>wicklung zu beeinflussen.<br/><br/>Unter dieser Perspektive soll hier zunächst versucht werden,<br/>die soziale Lage des Künstlers unmittelbar nach dem Sturz der<br/>bourgeoisen Staatsmacht zu erörtern sowie die Aufgaben, die dann<br/>der Künstler der Gesellschaft gegenüber hat und umgekehrt diese<br/>bezw. die dann herrschende Klasse, dem Künstler gegenüber.<br/>Nicht soll behandelt werden die Frage: Wie wohl das werktätige<br/>Leben die Existenz des Künstlers in der erträumten klassenlosen<br/>kommunistischen Gesellschaft der fernen Zukunft abrollen wird —<br/>eine Frage, die recht müßig ist, und die, wenn überhaupt, nur<br/>ganz subjektiv etwa in Form einer utopischen Erzählung beant-<br/>wortet werden könnte . . .<br/><br/>Rote Fahnen wehen auf Ministerien, Parlamenten und Fabri-<br/>ken, fieberhaft wird an der Schaffung einer roten Armee, an der<br/>ökonomischen und politischen Neuorganisierung des in zerrütte-<br/><br/>22<br/>
tem Zustand übernommenen und durch den Kampf erschütterten<br/>Staatsapparates gearbeitet, unabsehbare Kräfte werden aufgesaugt<br/>vom Kampf gegen die offene und versteckte Konterrevolution,<br/>gegen anarchistische, dilettantische und kleinbürgerliche Tenden-<br/>zen in den eigenen Reihen, gegen Korruption und Sabotage —<br/>wer wird da an die Künstler denken? Natürlich kein Mensch<br/>außer ihnen selbst. So der eigenen Regsamkeit überlassen wie all<br/>die andern Schichten, die, ökonomisch zwischen den Klassen<br/>schwankend, bisher ein mehr oder minder kleines Dasein führten<br/>und politisch in der Regel passiv blieben, wird die Künstlerschaft<br/>plötzlich gezwungen sein, als sozialer, selbständiger Organismus<br/>aufzutreten.<br/><br/>Gewiß: Wo die Macht ist — ist auch die Legion der Klein-<br/>bürger; also werden auch die Künstler „auf dem Boden der ge-<br/>gebenen Tatsachen“ der Sowjet - Regierung „zur Verfügung“<br/>stehen, sobald diese sich einigermaßen konsolidiert hat. Sie sind<br/>ja übrigens von jeher daran gewöhnt, mit der herrschenden Klasse<br/>die besten Beziehungen zu pflegen. Aber die proletarische Klasse<br/>ist ganz und gar nicht daran gewöhnt, sich sonderlich mit Künst-<br/>lern abzugeben. Sie wird sich zunächst wohl darauf beschränken,<br/>sie wie auch andere Berufe gewerkschaftlich zu organisieren, wird<br/>ihnen Mittel und Vollmachten geben, die den ökonomischen Zu-<br/>sammenbruch dieser Schicht verhindern oder wenigstens verhin-<br/>dern sollen, und als Gegenleistung verlangen, daß diese Organi-<br/>sation die politische Einordnung der Künstler überwacht und sie<br/>zur proletarischen Propaganda heranzieht. Dies wird nur möglich<br/>sein, wenn geeignete, zuverlässige Kräfte an der Spitze der Organi-<br/>sationen stehen, die einerseits fähig sind, diese der Diktatur drin-<br/>gend bedürftigen Kreise der Sache unterzuordnen, die vor allem<br/>aber einige Klarheit darüber erlangt haben, wie überhaupt die vor-<br/>handenen künstlerischen Kräfte im proletarischen Sinne beeinflußt<br/>und nutzbar gemacht werden können.<br/><br/>Als erste Schwierigkeit wird sich folgender, in der „Künstler-<br/>natur“ wurzelnder Widerspruch ergeben: Es wird ungemein<br/><br/>schwer sein, die Künstler auch nur ein und derselben Fakultät<br/>(also die Schriftsteller, Maler, Musiker, Architekten) zu gemein-<br/>samer organisatorischer Arbeit zu bewegen. Denn es werden die<br/>vielen „Richtungen“ versuchen, möglichst selbständig zu bleiben,<br/>ja sich gegenseitig kalt zu stellen. Kein Expressionist wird die An-<br/>ordnungen eines Impressionisten ernst nehmen und umgekehrt,<br/>der Dramatiker wird den Filmschriftsteller, der Feuilletonist den<br/>Lyriker überhaupt nicht als Kollegen anerkennen, genau wie heute.<br/>Hinzu kommt, daß diese Gegensätze, die zunächst lediglich die<br/><br/>23<br/>
Organisierung dieser Schichten erschweren, auch lähmend auf die<br/>künstlerische Produktion einwirken müssen: falls der an der Spitze<br/>der Organisation stehende Künstler zum Maßstab seiner Tätigkeit<br/>seine individuelle künstlerische Anschauung macht. Es würden<br/>so die andern Anschauungen ausgeschaltet und die Oeffentlichkeit<br/>fast ausschließlich mit den Produkten einer zufälligen „Richtung“<br/>vorlieb nehmen müssen. Das hieße aber, alle andern Richtungen<br/>ihrer Arbeitsmöglichkeit berauben, und müßte als Folgeerschei-<br/>nung viele Künstler dazu bewegen, nur um zu leben, völlig ober-<br/>flächliche durch keine Entwicklung und Erkenntnis bedingte Ar-<br/>beiten der jeweiligen Konjunktur entsprechend herzustellen. Na-<br/>türlich würden Qualität und Mannigfaltigkeit der künstlerischen<br/>Erzeugnisse dadurch sinken und so der Existenz- und Schaffens-<br/>trieb der Künstlerschaft als Gesamtheit unbefriedigt bleiben. Das<br/>Ergebnis solcher Zustände wäre: Die Künstlerschaft und der künst-<br/>lerisch orientierte Teil der Bevölkerung würde im Sowjet-Staat in<br/>seiner konterrevolutionären, kleinbürgerlich anarchistischen Stei-<br/>lung beharren, ja bestärkt werden.<br/><br/>Daß dies verhindert werden muß, ist klar, wenn man bedenkt,<br/>welch ungeheure Macht die Kunst im weitesten Sinn des Wortes<br/>z. B. im Weltkrieg darstellte. Die ganze Kriegsromantik der<br/>Jugend von 1914, ein gut Teil des weltpolitischen Größenwahns<br/>der verschiedenen Nationen, die ganze Glorifizierung des „Helden-<br/>todes“, der „Mannestreue“, des „Seemannsloses“, all die nationali-<br/>stische Verhetzung und Ueberheblichkeit wurde — wenn auch<br/>nicht verursacht — so doch genährt und gezüchtet von den Lie-<br/>dern und Erzählungen, Bildern und Zeichnungen, Märchen und<br/>Gedichten, Romanen und Theaterstücken, womit man vor und<br/>während des Krieges die verschiedenen Nationen überschwemmte<br/>Daß bis heute die Revolution nur in ganz schwachen Ansätzen da-<br/>zu fähig ist — in ihrem Sinne natürlich —, es ebenso zu machen,<br/>daß die revolutionäre Propaganda sich im wesentlichen beschränkt<br/>auf wissenschaftliche Beweisführung und kritisch-polemische Fol-<br/>gerungen, das ist sicherlich ein Hauptgrund dafür, daß der kom-<br/>munistische Gedanke sich so schwer in den breiten Massen festsetzt.<br/><br/>Es wurde bereits (auf Seite 13) kurz erwähnt, wie un-<br/>angebracht die Ueberlegenheitsgeste unserer Politiker ist gegen-<br/>über den tastenden und unreifen Versuchen junger Künstler, ihre<br/>bürgerliche Arbeits- und Betrachtungsweise zu überwinden. Aber<br/>diese Tendenz ist nicht nur ungerecht, sie ist äußerst schädlich für<br/>die ganze heutige Bewegung und in den Weiterungen auch für die<br/>Entwicklung einer proletarischen Kultur. Es handelt sich hier um<br/>eine Art akademischen Intellektualismus, eine in den marxistischen<br/><br/>24<br/>
Parteien geradezu krankhaft wuchernde Erscheinung. Hier soll<br/>nicht etwa verteidigt werden eine intuitive und mystische GefüMs-<br/>und Instinktpolitik. Im Gegenteil: Gerade die Verletzung aller<br/>propagandistischen Logik und sachlichen Psychologie durch<br/>unsere „geschulten Theoretiker“ von Kautsky bis Thalheimer wird<br/>angegriffen. Klugheit gebietet, mit Laien nicht gelehrt zu sprechen,<br/>erwachsene Menschen nicht wie Schulkinder zu unterrichten. Es<br/>geht nicht an, daß die Organe aller Unterdrückten und Ausgebeu-<br/>teten mit Ausdrücken um sich werfen, von denen nur einige, kei-<br/>neswegs gesammelte oder lang herausgesuchte, zufällig, wie sie<br/>kamen, hier zitiert seien: Avantgarde, Desorientation, Terminolo-<br/>gie, Destruktion, Kriterien, Auguren, Antipoden, intransingent, tar-<br/>peische Felsen, dialektisch, modus vivendi, Observanz, Fazit usw.<br/>Ob zu Marxens Zeiten dieser Reichtum an „Bildung“ vonnöten<br/>war, um sich verständlich zu machen, bleibe dahingestellt, heute<br/>ist er jedenfalls ein Zeichen der Unfähigkeit oder Gedankenlosig-<br/>keit. Wie sollte man es sich sonst erklären, daß z. B. ein Propa-<br/>gandist der VKPD. auf die Frage, warum die Parteipresse nicht<br/>(nach amerikanischem und französischem Muster) regelmäßig Bil-<br/>der und Zeichnungen in vernünftiger Größe an auffälliger Stelle<br/>veröffentliche — antwortet, der Platz fehle, auch seien die Partei-<br/>organe keine Witzblätter. Vielleicht wäre das immer noch ange-<br/>brachter, als daß sie zu Mitteilungsblättern für Studenten der Revo-<br/>lution und Abladestätten für den Geist ihrer Theoretiker ausarten.<br/><br/>Von diesen Dingen mußte hier gesprochen werden, weil das<br/>Verhältnis der Sowjet-Macht eines Landes zu ihrer Künstlerschaft<br/>im großen und ganzen resultieren dürfte aus den Beziehungen der<br/>führenden revolutionären Partei zum Künstler und seiner Arbeit<br/>bereits vor Eroberung der Macht. Die diesbezüglichen Maß-<br/>nahmen eines jungen proletarischen Staates werden eine Erweite-<br/>rung und Umstellung der bis dahin unternommenen Schritte<br/>zur propagandistischen Ausnutzung der vorhandenen künstleri-<br/>schen Kräfte und zur Belebung des sozialen Rhythmus sein.<br/><br/>Wer beurteilen kann, wie aussichtslos die Hoffnung auf eine<br/>fruchtbare Entwicklung der bestehenden jämmerlichen Beziehun-<br/>gen zwischen revolutionären Politikern und kommunistischen<br/>Künstlern ist, der muß sich sagen, daß ein Wandel zum Besseren<br/>falls überhaupt, erst dann eintreten kann, wenn unter dem gewal-<br/>tigen Anprall der sozialen Katastrophe die Künstler wie auch die<br/>Politiker aus ihren ideologischen Wolkenreichen auf die bewegten<br/>Wogen der Wirklichkeit fallen. Die sozialen Wehen der Gesell-<br/>schaft werden dann auch der Kunst ihre Merkmale aufprägen; die<br/>Jugend, vor allem die proletarische, wird in die von Mißtrauen<br/><br/>25<br/>
und Müdigkeit erfüllte Welt einen Sturm der Begeisterung und<br/>Tatenfreudigkeit, der Zukunftshoffnungen, des Gemeinschaftsglau-<br/>bens tragen. Dieser jugendliche Atem wird auch die Künstler<br/>erfassen. Einen Teil von ihnen; der andere wird, erschreckt von der<br/>Unerbittlichkeit, von den Schmerzen und Härten des geschichtlichen<br/>Ablaufs auftreten als Apostel des Vergangenen und Sterbenden,<br/>als gefährliche Anwälte der Güte und Gerechtigkeit. Auch sie<br/>werden politisiert ihre Kräfte der Wirklichkeit zukehren, aber im<br/>unerwünschten Sinne: nährend die Erinnerung an ach! entschwun-<br/>dene Zeiten, da alles so ruhig, ordentlich und friedlich war.<br/><br/>Besonders schwer wird es sein, diese letztgenannte Tendenz<br/>zu unterdrücken, da sie sich vielleicht ganz harmlos geltend macht,<br/>indem sie lediglich die vom Bürgerdasein her gewohnten Lieder<br/>und Spiele, Bücher und Gedanken, Bilder und Schriften weiterver-<br/>breitet und produziert wie früher. Mit Gewalt wird nur vorüber-<br/>gehend dieses Gift, die „lieben alten Gewohnheiten“ dem Gesell-<br/>schaftskörper zu entziehen sein, dauernd wirksame Waffen dagegen<br/>kann nur die neue, vom Geist der Revolution erfüllte künstlerische<br/>Produktion liefern. Denn alte Bedürfnisse können nicht getötet<br/>werden. Sie können nur mit neuen Inhalten erfüllt und so in Har-<br/>monie mit dem neuen System gebracht werden.<br/><br/>Die Frage taucht auf: An welchen Erinnerungswerten und<br/>Komplexen, Vorstellungen, Empfindungen und Sehnsüchten der<br/>breiten, vor allem der noch indifferenten Massen kann die künstle-<br/>rische Propaganda im Sinne des Kommunismus anknüpfen? Und<br/>wie sind sie, die Künstler, von Staats wegen, am ehesten dafür zu<br/>gewinnen ?<br/><br/>Begeisterung und neuer Gemeinschaftsglaube sind wohl die<br/>innerlichen Voraussetzungen, den Künstler für die Mitarbeit am<br/>neuen Aufbau zu gewinnen. Aber wie jede andere ist auch die<br/>Produktion des Künstlers an noch andere als ethische Voraus-<br/>setzungen gebunden, nämlich an seine Gewißheit der sozialen An-<br/>erkennung und der daraus sich ergebenden Existenzmöglichkeit.<br/><br/>Der Sowjet-Staat muß demgemäß handeln: Das alte Vor-<br/><br/>urteil des Künstlers, daß seine Produktion gottgewollt (wenn auch<br/>verkäuflich), unabhängig (abgesehen von Mode und Händleran-<br/>sprüchen), erlesen und differenziert (wenn auch für die Salons der<br/>Dickbäuche) sein müsse — daß sie für die oberen gebildeten<br/>Schichten und nicht für die Plebejer und den kleinen Mann ohne<br/>Anstand und Verständnis bestimmt sei — und daß sie eine freie<br/>Entfaltung geistiger Gaben bleiben müsse, die nicht degradiert<br/>werden dürfe zu tendenziöser und zielstrebiger Mache im Dienste<br/>utilaristischer Kreise — dies Vorurteil kann nicht von einem zum<br/><br/>26<br/>
anderen Tag schwinden; vielleicht aus dem Bewußtsein, nicht aber<br/>aus der Wesensart. Man wird dem Künstler also den subjektiven<br/>Glauben an seine Eigenmächtigkeit zunächst am besten belassen.<br/>(Objektiv ist er ja heute ebenso abhängig, wenn nicht intensiver,<br/>als unter der zukünftigen Diktatur des Proletariats.) Ein wichti-<br/>ges Mittel, diesen Glauben nicht zu zerstören, ist öffentliche An-<br/>erkennung, Kritik in der Presse, Veranstaltung von Preisaus-<br/>schreiben und Ausstellungen, Vorlesungen usw. Hinzuziehung<br/>von Künstlern zu allerlei begrenzten Fragen, wo sie dann ruhig<br/>tonangebend sein können und so ähnlich. Die Meinung, irgend<br/>eine Rolle zu spielen, ist von großer Bedeutung für das Wohlgefühl<br/>grade dieser Kreise und die ist bei einiger Geschicklichkeit un-<br/>gemein leicht zu erzielen.<br/><br/>Damit ist zunächst nur soviel erreicht, daß die Künstler zur<br/>Verfügung stehen, d. h. in ihren Augen, daß die Sowjet-Macht<br/>ihnen zur Verfügung steht.<br/><br/>Der gute Wille, im Sinne des proletarischen Gedankens zu<br/>produzieren, wird sich einstellen, sobald es sich zeigt, daß man<br/>dann Aussichten hat auf Anerkennung von Seiten maßgeblicher<br/>Instanzen, auf öffentliche Bekanntheit und dergleichen. So wird<br/>die sattsam bekannte individualistische Eitelkeit des Künstlers und<br/>der jedem Menschen natürliche Trieb, sein Tun bejaht zu fühlen,<br/>befriedigt. Es empfiehlt sich also, so weit es ökonomisch angeht,<br/>und natürlich nur in der Uebergangszeit wo dem Bestand der Pro-<br/>letariermacht noch Gefahren drohen, möglichst allen Richtungen<br/>und Fakultäten vom Panoptikum-Modelleur bis zur Primadonna,<br/>vom Blitzdichter bis zu Tagore öffentliche Betätigungsmöglich-<br/>keiten zu gewähren, selbst auf die Gefahr hin, daß nicht alles kon-<br/>trolliert werden kann und manches Wertlose oder Schädliche er-<br/>zeugt wird.<br/><br/>Bejahung erzeugt Bejahung. — Nach kurzer Zeit wird sich<br/>die Kunst mit den gegebenen Verhältnissen abfinden, sich wie einst<br/>tausendmal wichtiger und bedeutsamer fühlen, als sie ist und jeder<br/>wird wieder seinem Trieb nach Anerkennung derjenigen Kreise, die<br/>er hochschätzt, leben. Sollten einige wenige konsequente Anhän-<br/>ger des Kapitalismus konterrevolutionäre Propaganda treiben, so<br/>wird die Diktatur schon Mittel finden, um sie zu nützlicherem Tun<br/>zu bewegen. Das Wichtigste bleibt, daß man nicht durch Aner-<br/>kennung nur einer Gruppe die übrigen kaltstellt, sie so zusammen-<br/>schweißt und fast wider Willen zu Feinden macht, und außerdem<br/>auf diese Weise im größten Teil der Bevölkerung zu allen ökonomi-<br/>schen, moralischen und politischen auch noch ästhetische Wider-<br/>sprüche hervorruft.<br/><br/>27<br/>
Sache der kommunistischen Künstler ist es nun, heute be-<br/>reits mit aller Intensität daran zu arbeiten, daß die Möglichkeiten,<br/>dem Kommunismus mit ihren Mitteln Eingang und Verständnis<br/>in alle Volksschichten zu verschaffen, praktisch erprobt werden.<br/>In Teil III ist bereits darauf eingegangen worden, was zu tun ist,<br/>solange die Bourgeoisie noch herrscht: Die Wirklichkeit ist im<br/>Sinn des Klassenkampfes grell und unverhüllt zu verdeutlichen,<br/>die Mora! und Ideologie der Gegenseite ist zu mißkreditieren, für<br/>die eigene Ideenwelt ist zu werben. Darüber hinaus müssen die<br/>kommunistischen Künstler untereinander Fühlung nehmen, wo-<br/>möglich Fraktionen im Sinne der Partei bilden, um als Angehörige<br/>der Roten Gewerkschaftsinternationale in ihren Verbänden die kom-<br/>munistische Pflicht zu erfüllen, indem sie dort den Kampf und die<br/>Propaganda führen und darüber hinaus sich klar werden über die<br/>Maßnahmen, welche sie treffen müssen, so bald das Proletariat im<br/>Besitz der Regierungsgewalt ist. Es wäre kindlich, alle Arbeit, noch<br/>dazu solche abseitige, allein den Zentralinstanzen der Partei zu<br/>überlassen — diese könnte nichts weiter, als auf gut Glück irgend<br/>einen gerade erreichbaren Genossen mit Vollmachten versehen.<br/>Und so entsteht dann der Bürokratismus, nicht eben die harm-<br/>loseste Kinderkrankheit einer Sowjet-Macht. Dem kann und muß<br/>vorgebeugt werden, dadurch, daß sich die kommunistischen Künst-<br/>ler heute bereits nach Möglichkeit organisieren, daß sie ihre Ini-<br/>tiativkraft ausbilden, und nach klarer Erkenntnis ihrer kommenden<br/>Aufgaben bis in die Einzelheiten streben. Als Basis und Funda-<br/>ment dieser Erkenntnis kann wohl die Forderung gelten: Erst die<br/>kommunistischen Interessen, dann die künstlerischen; in künstle-<br/>rischen Fragen aber nicht Zwang (gesetzlicher oder ökonomischer<br/>Art) sondern Beispiel, nicht Diktatur, sondern Demokratie. Es<br/>versteht sich, daß solch demokratische Kunstjury nicht endgültiger,<br/>sondern nur vorübergehend taktischer Natur sein kann.<br/><br/>Welcher Art wird nun das Beispiel der kommunistischen<br/>Künstler sein? Politische und organisatorische Schulung und<br/>Disziplin, freudiges Aufgeben des „Privatlebens“ und Einordnen<br/>in die werktätigen Bedürfnisse der Gesellschaft, d. h. Verzicht auf<br/>das Luxusgepräge, auf das Prestige der Zeitlosigkeit, das heute den<br/>Künstlerberuf kennzeichnet, sind nichts als Voraussetzungen; es ge-<br/>nügt nicht, Beispiel zu sein in menschlicher, politischer, organisa-<br/>torischer und moralischer Hinsicht, notwendig sind produktive Vor-<br/>bilder. Leider gibt es für die vielerlei Fakultäten und zahl-<br/>reichen Richtungen, in die sie zerfallen, wohl überhaupt keine<br/>gleichbleibenden Beispiele und außerdem hat man hier theoretisch<br/>und erfahrungsgemäß fast kein Rüstzeug. Während man politisch,<br/><br/>28<br/>
ökonomisch eine fast hundert Jahre alte Praxis wie Theorie des<br/>Sozialismus zur Verfügung hat, ergänzt durch die Erfahrungen des<br/>russischen Staats, die allein eine fast unübersehbare Literatur aus-<br/>machen — sind die Fragen kommunistischer Kunst, d. h. zunächst:<br/>von kommunistischer Weltanschauung erfüllter Kunst nur in<br/>einigen wenigen Broschüren erörtert worden, die Künstler sind<br/>sich selbst überlassen und ihren individual begrenzten Anschau-<br/>ungen.<br/><br/>Es soll daher hier auch nicht der Versuch gemacht werden,<br/>erschöpfend und systematisch die Fragen zu untersuchen: Welche<br/>Rolle hat die Kunst bei gesellschaftlichen Revolutionen bisher ge-<br/>spielt, welche massenpsychologischen Gesetze machten ihre Wir-<br/>kung aus und welche standen ihr im Wege — hat die Kunst gene-<br/>relle revolutionäre Tendenzen oder ist sie verschieden wie nur je<br/>Völker, Klassen, Schichten, Kreise und Individuen usf. Diese<br/>Fragen gehen ins Uferlose, es erscheint fast ungewiß, ob sie ähn-<br/>lich exakt behandelt werden können wie politische, soziale, wirt-<br/>schaftliche, taktische Probleme. Ohne Beweisführung, ohne Be-<br/>gründung ende daher diese Abhandlung mit den subjek-<br/>tiv-empirischen Folgerungen:<br/><br/>Die Bevölkerung im Sowjet-Staat wird auch in ihrer revolutio-<br/>nären Masse ausgesprochen traditionell-konservative künstlerische<br/>Bedürfnisse äußern, der Schrei nach Sensation und Emotion beim<br/>Niedergang der bürgerlichen Diktatur wird rasch abgelöst werden<br/>vom Verlangen nach einem „geklärten“ Weltbild, nach allgemein-<br/>gültigen, kulturellen, nicht nach ästhetischen, sensiblen, differenzier-<br/>ten Inhalten. Die Künstlerschaft wird die technischen Fragen zu-<br/>rückstellen hinter propagandistische, religiöse, ethische, satirische,<br/>sozialpsychologische Probleme und Versuche; Aufgabe der jungen<br/>proletarischen Kräfte muß es sein, vor allem die Gestaltung<br/>diesseitiger Ideen und Forderungen zu betreiben, etwa der Er-<br/>höhung des materiellen Lebensstandards, der Entfaltung des sozialen<br/>Organismus und seiner Hilfsmittel, der Technik, Pädagogik und<br/>Hygiene, ferner soll der kommunistische Nachwuchs durch Ethos<br/>und Satire bekämpfen die menschliche Tendenz, in Erinnerung zu<br/>schwelgen, der Zukunft zu mißtrauen, in Konventionen zu er-<br/>starren, einsiedlerisch ins Individuelle, Mystische, Exzentrische zu<br/>flüchten; er wird die Befreiung des Weibes, die Lösung sexueller<br/>Fragen im sozialen Sinne, kurz alles, was der menschlichen Ent-<br/>wicklung dient, aufzurollen haben. Der kommunistische Künstler<br/>wird die Verantwortung auf sich nehmen müssen, daß der Kom-<br/>munismus vom Staats- und E^istenzprinzip zum Prinzip des leben-<br/>digen Bewußtseins wird; daß die Glücksmöglichkeiten, die eine<br/><br/>29<br/>
gerechtere soziale Ordnung gewähren wird, erkannt und erfaßt wer-<br/>den, daß die Gesellschaft nicht — so wie heute der einzelne Mensch<br/>allzuoft — von einer abergläubischen Furcht, einem zersetzen-<br/>den Gefühl der Impotenz befallen wird im Augenblick der Er-<br/>füllung; im Augenblick, da ihr entschlossenster Teil den Mut ge-<br/>habt, die Fesseln zu sprengen, die Binde von den Augen zu reißen,<br/>die Kandare aus den Zähnen zu nehmen und die Krücken jenseitiger<br/>Ideologien zu zerbrechen.<br/><br/>Man sagt, die Pferde der Bergwerke, ins Licht geführt, sind<br/>schon blind oder erblinden unmittelbar. Kommunistische Künstler,<br/>an euch ist es, die aus dem dunklen Labyrinth jahrtausendealter Ver-<br/>sklavung geführte Menschheit zu hüten vor dem grellen Wahn anar-<br/>chischer Freiheit, zu heilen ihre knechtische Blindheit, indem<br/>ihr diese Welt zeigt nicht mehr als erträumtes oder als verlorenes<br/>Paradies, als Hölle, Wüste oder goldene Kugel, sondern als das,<br/>was sie in Wahrheit ist: ein Quell des Lebens und des Werdens,<br/>ein Ruf zur Arbeit und zum Kampf, ein Weg mit Schönheiten und<br/>Schrecken, mit Lust und Qual, der, wie er immer sei, wert ist, ge-<br/>gangen zu werden, wenn nicht die Peitsche überm Rücken pfeift<br/>und nicht die Ketten an den Gliedern zerren.<br/><br/>Ende,.<br/><br/>30<br/>
TRAGIGROTESKEN<br/>DER NACHT<br/><br/>18 Träume von<br/><br/>WIELAND HERZ FELDE<br/><br/>Mit 24 Illustrationen von<br/><br/>GEORGE GROSZ<br/><br/>Inhalt:<br/><br/>Die Löwengrube<br/><br/>Die Cholera<br/><br/>Leichtathletik<br/><br/>Der Mord bei Klarenthal<br/><br/>Das Begräbnis<br/><br/>Die Nationalhymne<br/><br/>Versteigerung<br/><br/>Der Deserteur<br/><br/>Tortentraum<br/><br/>Auf der Totenbahre<br/>Der Grizzlybär<br/>Die Schlüsselblume<br/>Zinnoberrote Larven<br/>Der Granattrichter<br/>Stellungskrieg in Bayern<br/>Die Sowjetwoike<br/>Treibjagd<br/><br/>Strenge aus Leipzig.<br/><br/>-------------------------------------------------------------------t<br/><br/>Traumschilderungen sind schriftstellerisch immer dankbar. Aber Herzfelde gibt mehr als<br/>wirres Gestrüpp angsigepeiischten Fieberwahns - er gibt die Wahrheit im Traum äußert mehr als<br/>Freude am Unsinn, empfindet mehr als Sehnsucht, um Gegensätze aufzuheben, schafft Erkenntnis, in-<br/>dem er alle Zusammenhänge auflöst und Gegensätze paart, er vermeidet üble Symbolik, die nahelag,<br/>er gibt das Leben im Traum, läßt Kettenglieder weg, wählt aus, setzt Lichter - ihr wißt nicht mehr,<br/>wo das Leben beginnt; der Träumende — ihr seufzt verzweifelt: ist dies das Leben? - Und dann<br/>sagt ihr nicht: wohlan noch einmal - sondern: wohlan zertrümmern wir, fangen wir von neuem<br/>an ... . G r o s z hat Zeichnungen dazu gemacht - in seiner bekannten primitiven Art ... . Diese<br/>Zeichnungen bleiben bestehen ....<br/><br/>Kurt Kersien in den „Neuen Blättern für sozialistische Literatur".<br/><br/>Preis in Glanzkarton 8,25 Mk., fest gebunden 10,50 Mk., Vorzugs-<br/>ausgabe: 30 signierte Exemplare auf Bütten ä 70,— Mk.<br/><br/>DER MALIK-VERLAG / BERLIN<br/>
DER GEGNER<br/><br/>ILLUSTRIERTE POLITISCHE MONATSSCHRIFT<br/><br/>Herausgeber:<br/><br/>JULIAN GUMPERZ und WIELAND HERZFELDE<br/><br/>„DER GEGNER“ erscheint<br/>monatlich. Jedes Heft enthält u. a.<br/>mehrere ganzseitige politische Zeich-<br/>nungen von GEORGE GROSZ.<br/>„DER GEGNER“ enthält den<br/>satirischen Teil die „DIE PLEITE“.<br/>„DiePleite" erschien 1919/20, heraus-<br/>gegeben von GEORGE GROSZ<br/>und WIELAND HERZFELDE.<br/>Sie wurde verboten, beschlagnahmt<br/>und wieder verboten. Diese selbst-<br/>ständig erschienenen 6 Nummern,<br/>Format 36X48 cm, sind nur noch<br/>zusammen lieferbar. Preis komplett<br/>6 Mk. „Der Gegner“ erscheint<br/>ä Nr. (ca. 32—64 S.) zum Preise von<br/>2—3Mk. Abonnement: Halbjahr<br/>11.— Mk. Ganzjahr 21.— Mk.<br/>excl. Porto.<br/><br/>DER MALIK-VERLAG / BERLIN<br/><br/>Druck der Vereinsdruckerei G. m. b. H., Potsdam, Junkerstr. 36/37.<br/>
SAMMLUNG<br/><br/>REVOLUTIONÄRER BÜHNENWERKE<br/><br/>Band I: Upton Sinclair<br/><br/>PRINZ HAGEN<br/><br/>Phantastisches Schauspiel in vier Akten<br/>Aus dem Amerikanischen übertragen<br/>von Hermynia Zur Mühlen<br/><br/>Band II: Franz Jung<br/><br/>DIE KANAKER<br/>WIE LANGE NOCH?<br/><br/>Zwei Schauspiele<br/>Beide Stücke in einem Band.<br/><br/>Band III: Xaver<br/><br/>FREIE BAHN<br/>DEM TÜCHTIGEN<br/><br/>Eine Hanswurstiade in vier Akten<br/>Band IV: Erich Mühsam<br/><br/>JUDAS<br/><br/>Arbeiter-Drama in fünf Akten<br/>Band V: Karl August Wiltfogel<br/><br/>ROTE SOLDATEN<br/><br/>Politische Tragödie in fünf Akten<br/>Band VI: Upton Sinclair<br/><br/>DIE MASCHINE<br/><br/>Schauspiel in drei Aufzügen<br/>Band VII: Karl August Wittvogel<br/><br/>DER MANN, DER EINE IDEE HATTE<br/><br/>Erotisches Drama<br/><br/>Preis jedes Bandes biegsam gebunden 7.50 Mk.<br/><br/>BUHNENVERTRIEB: MALIK-VERLA G<br/>
DER MALIK-VERLAG / BERLIN<br/><br/>U PTO NS IN C LA I<br/><br/>337 Seiten Text und 10 Lithographien<br/><br/>Volksausgabe: Pappband Preis 16.50 Mark<br/><br/>Geschenkausgabe: Halbpergamentband auf holzfreiem<br/>Papier mit Goldschnitt etc. ::::::::::: Preis 33 Mark<br/>