5 in einzelnen Teilen von furchtbaren Hungerkatastrophen noch heute betroffen werden, aus dem Spiel und bleiben wir beim russischen Bauern. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts stand das russische Volkstum als Gegenstand von Lite ratur und Kunst in Blüte. Eine Anzahl großer russischer Schriftsteller, die die Liebe zum Volkte predigten, wuchs auf. Sie sind weniger berühmt geworden in der westeuropäischen Kultur, weil sie größtenteils vorzeitig den Verfolgungen des Zarentums erlagen. Ihr tragisches Schicksal ist eine Geschichte für sich. Heute beginnt man sich wieder ihrer zu erinnern, und bald werden ihre Schriften, die eine treffende Charakteristik des russischen Arbeiters und Bauern geben, auch Westeuropa zugänglich gemacht werden. Die bedeutendsten sind Rjetschetnikow und Uspenski, der erstere wurde eingesperrt und später in einem raffinierten Be wachungssystem zu Tode gequält, weil er als erster Schriftsteller es gewagt hatte, ein Bild von dem Leben der Bauern zu geben, wie es in Wirklichkeit ist. Seine Schilderung der Leute von Podlionaja stützt sich nicht auf irgend welche Hunger katastrophe, Mißernte oder Dürre. Die Bauern sind um den einen Ofen in der Stube zusammengedrängt, die Alten und die Familien der Kinder mit den zahl reichen Enkeln. Die Menschen haben nichts zu essen. Man wird das Vieh schlachten müssen. Seit dem Erntefest haben sie kein Brot mehr gegessen, aber sie hoffen, daß ihnen der Gutsherr etwas Mehl für die Weihnachtswoche geben wird. Sie leben von Baumrinde, sie wissen seit alter Zeit, daß der Weizen, den sie bebauen, dem „Herrn“ gehört, daran hat auch die Aufhebung der Leibeigenschaft nichts geändert. Früher nahm man es von Natur, jetzt nimmt man es durch Ge setz, — das ist die Grundauffassung der Bauern. Wenn sie die Landarbeiten be ginnen müssen, so wird sie der Verwalter mit Kohlsuppe durchfüttern und mit Prügeln. Die Ueberzähligen, die ganz jungen Menschen und die Greise und meistens auch die Frauen ziehen im Sommer die riesigen Lastkähne, die nach Holz und Getreide fahren, die Wolga stromaufwärts. Es ist eine grausige und ent setzliche Schilderung des Bauernlebens, erschütternd in seiner Wirklichkeit und verklärt von der Liebe des Dichters zum Volke, die Rjetschetnikow in dieser Novelle entwirft. Er wurde dafür von den Zarenschergen zu Tode gehetzt. Ich habe das so ausführlich erwähnt, weil im großen ganzen der russische Bauer, soweit er auf seiner Scholle noch sitzt, sich nicht verändert hat. Er hat damals die unermeßlichen Kornschätze sich von dem Herrn, später von der Speku. lationsgesellschaft in der nächsten Kreisstadt, vom Popen und dem Natschalnik des Dorfes aus den Händen winden lassen. Sie sind ihm sozusagen buchstäblich gestohlen worden, mit Schnaps und Prügeln hat man ihn abgespeisi Die Aufhebung der Leibeigenschaft hat darin nichts geändert. Als nach der Aufhebung einige Jahre nachher in denselben Bezirken wie heute um die Nord- und Mittel-Wolga herum eine furchtbare Dürre ausbrach, benutzten reaktionäre Agitatoren, Vorläufer der späteren Schwarzen Hundert die Verzweiflung der hungernden Bauernmassen dazu, einen Aufstand zugunsten der Wiedereinführung der Leibeigenschaft anzu- zetteln. Während die fanatisierten Bauern auf dem Lande die Gutshöfe der libe ralen Grundbesitzer in Brand steckten, entlud sich die Provokationsabsicht der Inspiratoren in einer wütenden Pogromhetze gegen die Arbeiterschaft, die damals begann, sich mit den Grundforderungen des Sozialismus vertraut zu machen. Das war die Zeit, von der die großen russischen Romandichter Turgeniew, Dostojewski und Korolenko berichten. Sie standen mitten in diesen Bewegungen drin, und besonders der letztere hat aus dem Wolga-Gebiet dieser Zeit