Am unmittelbarsten von allen Ausdrucksmitteln spricht die Farbe zu uns. Hier ist eine nahe Verwandtschaft mit der Musik und ihren bannenden Tönen. Die Farbe ist das Instrument, das mit seinen lockenden Klängen eine unsagbare Wunderkraft auf die Seele ausüben kann: Die kalten Schauer des Leidens, der farbenglühende, wollüstige Taumel der Heiligen, die verzückte Glorie der Seligen im mystischen Dunkel einer Kirche können auf den Empfänglichen stärker wirken wie die mächtigste Predigt: Katholizismus und Protestantismus: Gegensatz zwischen Kultraum und Predigtraum. Huysmans kam nicht durch den Buchstaben, nicht durch das Wort, sondern ’W durch das farbige Wunder der alten Glasbilder in die Kirche. Nun ergeben natürlich ein paar farbige Flecken allein noch nicht Kunst. Erst die Notwendigkeit führt eine Bindung herbei, Wert verleiht erst eine innere und äußere Gesetzmäßigkeit. Wie beim Zeichnen die Gegensätze Hell-Dunkel, so beim Malen Kalt-Warm. Die Palette zeigt, daß Weiß und Gelb heller wie Rot und Grün, das letztere wieder heller als Blau ist etc., daß alle hellen Farben die wärmeren, die dunkleren die kalten sind. Welches Ausmaß für eine Gefühlsskala! Wirkung und Musik der Farbe: Rot, Blau, Gelb — Violett, Orange, Grün: hier Moll-, dort Dur-Akkord! Möglichkeiten, die verschiedensten Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Wundersame Macht der Farbe, die dem Impressionismus versagt bleiben muß. Gelb, dem Weiß am nächsten, ergibt neben dem kalten Weiß ein wärmeres Licht. Im all gemeinen ist der kalte Bildteil der kleinere, etwa 3: 5. Auch in der Gefühlswelt der Farbe herrscht Logik, Gesetzmäßigkeit: Warmes Licht — kalter Schatten usw. Schatten und Licht komplementär/ komplementäre Farben ergänzen sich zum Licht. Wie in der Musik gibt es auch bei der Farbe Klänge,- Zwei- und Drei-Klänge. Hell und Dunkel,-Kalt und Warm — Hell, Mittelton, Dunkel,- Kalt, Kühl, Warm. Ein Analoges: Purpur, Grün,- Karmin, Blaugrün,- Orange, Ultramarin, Gelb, Blauviolett. Ein reiches und verzweigtes Gebiet eröffnet sich aus den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb,- der von den alten Italienern bevorzugte Klang Karmin, Ultramarin, Gelbgrün kehrt auch heute vielfach wieder. Der Farbkreis bietet die Möglichkeit von weiteren Farbklängen. Gesetze lassen sich nicht unumstößlich festst eilen,- Erfahrung und einsetzendes Gefühl und Temperament geben den Ausschlag. Aber die Farbe als Kompositionsmittel ist wiedererstanden,- ungeahnte Melodien können ihrer Skala entlockt werden. Die Rückkehr zur farbigen Welt der alten Meister bleibt das Verdienst unserer Zeit. Aus dem reinen Hell-Dunkel und aus dem vergilbten Grau fand der suchende und untersuchende Geist des neuen Menschen den Weg zum Bruder durch die Jahr hunderte zurück. Denn auch die Alten, nicht zuletzt ein Grünewald, haben ihre Werke nicht nur aus einem Gefühlsausdruck heraus geschaffen,- sie hatten in gleichem Maße ein großes Wissen in der farbigen Bildgestaltung, bauten ihre Schöpfung, und ihre Farbe im Verein mit Erfahrung wurde Musik. Aus dem Zusammenklang von Natur, Geschmadc und Mathematik entsteht nach Rodin erst das Kunstwerk; nur wenn diese drei Faktoren Zusammentreffen, erfüllt sich das große Geheimnis. Wir sind nicht arm an großen W^egbahnern der Farbe. Welches stärkere und zwingendere Ausdrucksmittel hätte unsere leidenschaftliche und empfindungsstarke Zeit auch als die Farbe? Hier kann sie ihre Schmerzen und Nöte, ihre Zweifel und Ängste ausdrücken, hier ihre Trauer und Sehnsucht fließen lassen. ihrer reichen