57 FRANKREICH. Der Salon der Unabhängigen. Von einem Amateur. Die Vitalität der Kunst unserer Zeit offenbart sich nur im Salon der Unabhängigen. Hierher kommt der Freund moderner Malerei, die echte Kunst zu suchen. Die Maler der jungen Generation, die hier ausstellen: Le Segonzac, L. A. Moreau, Tobeen, Lhöte, Marchand, Favory, Lewitzka, Ramey, Lotiron, Simone Levy, Feder, Galanis, Uter, Gromaire, G i m m i, D u r e y stehen im Gegensatz zu den Impressionisten,- sie schließen sich unmittelbar an die Älteren ihrer Generation an, an die „fauves": Matisse, Viamink, Friesz, Dufy, ringen nach stärkerer Expression und streben nach einer fast monumentalen Kunst, wenn sie nach dem Beispiel Cezannes ein Gemälde als ein Schauspiel be- greifen, wo die Formen einer rhythmischen Stei gerung folgen. Sie nähern sich sogar den Kubisten durch die Dichtheit ihrer farbigen Substanz, den strengen Ernst ihrer Formen, aber sie verirren sich niemals in unleserliche Abstraktionen. Für diese Maler bildet Cezanne den Aus gangspunkt aller künstlerischen Wirksamkeit, ein logisches Vorbild und das Beispiel einer von den Impressionisten unbeachtet gelassenen Arbeits methode. Erst nachdem die neue Malergenera tion die Kunst Cezannes vollständig begriffen hatte, hat ihr Streben nach einem universellen Stil eingesetzt, in dem die Gesetze der Natur und die Elemente des Lebens einen tiefen, echten und mit dem Geist der Zeit übereinstimmenden Aus drude finden. Das ist die Kunst, in der die • * • neuen und reinen Expressionen der Formen im Raum über das Anekdotische, Genremäßige und Pittoreske triumphieren sollen. Derain hat am meisten beigetragen zur Ent wicklung dieser neuen Kunst, die den handfesten Materialismus der großen Realisten und die über triebene Sensibilität der Impressionisten zu über winden im Begriffe ist. Diese Kunstanschauung gewinnt immer mehr an Boden. Aber der Schatten Rousseaus schwebt über allem in diesem Salon. Rousseau, der Zöllner, dieser Imagier primitiver Formensprache, der mit Aufrichtigkeit Landschaften und menschliche Ge stalten einer so wahren Naivität malte und in der Ausführung eine größere Liebenswürdigkeit erreichte, als es den geschicktesten Kitschmalern der Akademie jemals gelungen ist. Es war jedenfalls notwendig, diesen treu herzigen Künstler zu entdecken, um uns wieder die Tatsache zum Bewußtsein zu bringen, daß der Instinkt in der Kunst ein sichererer Führer ist als mechanisch aufgehäuftes Wissen. Rousseau entlockte seiner Schalmei jene Melodien, welche für dieses Instrument paßten, während die Pseudoprimitiven von heute ihr zu muten, gregorianische Messen oder Oratorien von Bach wiederzugeben. Sein Primitivismus hat nichts Lügenhaftes,- er ist ebensowenig italienisch wie flämisch, sondern gehört wirklich diesem einfachen Zöllner, der in einer volkreichen Vorstadt Paris 7 lebte, mitten # . - * i • ■ • «* • unter kleinen Leuten, die er weder an Intelligenz noch an anderen Fähigkeiten übertraf. Was er an malerischem Wissen besaß, war in vollkom mener Übereinstimmung mit seiner Natur. Die Aufrichtigkeit seines mit den einfachsten Mitteln erreichten Ausdrucks hat es erlaubt, ihn mit den 0 alten, holländischen Meistern zu vergleichen,- man findet sogar in diesen mit der größten Ein fachheit komponierten Gemälden den Reiz, der den persischen Miniaturen eigentümlich ist. Aber seine Kunst ist am gerechtesten mit den Worten Andre Derains bestimmt worden: Das ist eine schöne Feldblume. Vergeblich suchen wir bei der gegenwärtigen Mechanisierung der Kunst in den interessanten Spekulationen moderner Maler eine ähnliche Aufrichtigkeit. Noch ist die Epoche der Spekulationen nicht abgeschlossen. Picasso und Braque, denen Gris, Metzinger und der ausgezeichnete Bildhauer L a u r e n s, wie auch L e g e r in seinen Versuchen einer absoluten Malerei folgen: alle streben nach dieser neuen Konvention, die die naturalistische Illusion der perspektivischen Mechanik durch den architektonischen Bildrhyth mus ersetzen will,wo dieOberflächen nichts sind als Funktionen, das Werk ins Abstrakte zu erheben.