/ 59 t Urteilen gehört auch die Stimme IliaRjepins, dessen jüngsten Brief wir hier veröffentlichen. <Vgl. die Berliner russische Zeitung „Wremja" vom 22. II. 1920.) Die Ausführungen von Rjepin besitzen zwar keinen Informationswert und ver nachlässigen Tatsachen <Rjepin gibt sogar zu, daß er „die proletarische Kunst nicht kennt und nie mals gesehen hat"* *), sind aber von einem großen Interesse für jeden, der den Namen Ilia Rjepins mit einer gewissen Stilstufe der russischen Kunst identifizieren kann, auch für denjenigen, der den Aufbau der Proletkulte als eine aktuelle Kultur aufgabe betrachtet. Nicht nur als eine Stimme aus dem „weißen" Lager, sondern auch als ein Bei trag zur Charakteristik Rjepins Persönlichkeit ist dieser Brief sehr amüsant. Iliajefimowitz Rjepin ist bekanntlich derFührer der russischen naturalistischen Schule. Sein Schaf fen bestimmt die Entwicklung der russischen Kunst von den 80er Jahren und bis zur Schwelle des 20. Jahrhunderts. Sein Name bedeutet noch heute für jeden russischen Künstler und Kunst freund etwas bereits historisch Festgesetztes und ist Autorität und ideale Möglichkeit für die heutigen Epigonen jener Künstler <wie z. B. Kramskoj, Jaroschenko, Makowski, Ssurikow, Lebedew, Bogdanow-Bjelskij, Boljenow u. a.>, die in ihrem „Vereine für Wanderausstellungen" seit 1871 vergeblich gegen die andringenden jugendlichen Kräfte kämpften, aber auch eine revolutionäreRolleinderGeschichtederrussischen Kunst <der Kampf mit den klassizistischen Aka demien) gespielt haben. Nach wie vor steht heute Rjepin an der Spitze.dieser Gruppe und noch 1919 konnte man in der„PetersburgerStaatlichenKunst- schau i9i9"<im Winterpalais) eine neue Variante seiner berühmten „Schiffszieher an der Wolga" sehen, die 1873 wegen ihres tiefen sozialen Vor wurfes und der rein malerischen Vorzüge für das Hauptwerk der zeitgenössischen russischen Ma lerei erklärt wurden. Das Interesse Rjepins für dieEntwicklungderneuenKunstundseinefreund- schaftlichen Beziehungen zu den jungen Peters- • I# i ji • • 0 * Rjepin befindet sieb seit dem Ausbruch der Revo lution in Kuokala (Finnland), wo er in seiner berühmten Villa „Penaten" wohnt, also die russischen Ereignisse nur nach Gerüchten kennt. burger Malern ist in Rußland bekannt, und wir bemerkten mit Erstaunen in Rjepins Briefen eine etwas brummige und nicht begründete Kritik des „Kubismus". Was die proletarische Kunst betrifft, die für den 76jährigen Rjepin eine Vandalisierung der Kunst bedeutet, so ist den temperamentvollen <aber durchaus nicht objektiven) Ausführungen Rjepins noch folgendes beizufügen. Die Idee der proletarischen Kultur beruht bekanntlich auf der Überzeugung, daß in der Arbeiterklasse jungfräuliche schöpferische Kräfte schlummern, welche, durch eine revolutionäre Aktion erweckt, in überraschenden, vom Rhyth mus der Fabrik- und Maschinenwelt belebten Offenbarungen des proletarischen Geistes zutage treten würden. Das Kollektiv- und Organi sationsgefühl, die Harmonie, die rhythmische Regelmäßigkeit und Bündigkeit seien die Grund lagen dieser proletarischen Kunst. Der Proletarier müsse aber auch „von den in der Vergangenheit entstandenen Schätzen der Kunst Besitz nehmen und alles Große und Herrliche in ihnen sich zu eigen machen, ohne dabei dem in ihnen abge prägten Geist der feudalen oder bürgerlichen Ge sellschaftsordnung zu unterliegen" <Bogdanow: „Die Kunst und das Proletariat")durch eine kritische Umarbeitung dieser großen Erbschaft vom kollektivwerktätigen Standpunkte aus werde der proletarische Künstler an Stelle der verwesen den bürgerlichen Kultur seine neue Kultur und Kunst setzen. Wir wollen uns hüten, über die praktischen Experimente der „Proletkulte" ein erledigendes Urteil zu fällen, wenn wir uns auch der Hoffnung hingeben, daß die echten prole tarischen Begabungen, nachdem ihnen eine freie Entwicklung ermöglicht wurde, zum gesamten künstlerischen Fortschritt und zur Gesundung des modernen Kunstorganismus beitragen werden. Es muß aber betont werden, daß die heutige Arbeit des Proletkults sich noch in der Phase einer Auseinandersetzung mit der historischen Erbschaft befindet, und daß die jungen Arbeiter künstler noch nicht schöpferische Werte erzeugen können , um so mehr, dasie, ohne die elementarsten Stadien der technischen Ausbildung überschritten zu haben, sich bereits ihrer unreifen Errungen