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schäften rühmen, ja sogar von Popularisierung
und Monumentalisierung träumen. Eine scharfe
Opposition gegen den „bürgerlichen" Express
sionismus ist für die Anfänge der proletarischen
Kunstbezeichnend,sodaßdieBehauptungRjepins,
der Proletarier habe „die unsinnigen sklavischen
Bemühungen des Kubismus vom jungen Künstler
leihweise erhalten", auf einem Irrtum beruht.
Der aussichtslose Eklektizismus und das Dilet-
%
tantentum der Proletkulte wurde im Laufe der
Zeit immer anschaulicher, so daß sogar im Juli
1919 ein Vorschlag der Regierung erging, der
autonomen Existenz des Proletkults ein Ende
zu machen und ihn in der gesamten Aufklärungs
arbeit zusammenzuschmelzen*.
Die proletarische Kunst.
<Aus einem Brief J. Rjepins.)
Bis zur Hymne hat sie sich nidit erhoben.
Man begnügte sich mit der Marseillaise, zog
singend herum, ja man fühlte sogar, daß unsere
„Soldatiki" dieses unsterbliche Aufleben des
blutsverwandten Volkes mitgerissen hatte. Vom
Schauplatz der Ereignisse entfernt, sah ich nicht
den Triumph der bolschewistischen Experimente
lch kenne nicht die proletarische Kunst,- was man
so nennt, hat sich nie mit der Volksseele ver
einigt, ja ist nicht einmal mit dem Bolschewismus
zusammengeflossen, hat diese Bewegung nicht
inspirieren können,- und wenn auch der Prole-
tarier den Kubisten und Futuristen ihre sinn
losen, sklavischen Wehen entliehen hat, so waren
diese unpersönlichen Kritzeleien nie von irgend
welchen Ideen erleuchtet gewesen, und es scheint
mir, daß sie für immer nur ein müßiger Kram
von Taugenichtsen, der auch nicht eine Spur von
Leben in sich trägt, bleiben werden.
Die Dekadenz sollte man mit dem allgemeinen
Kunstanarchismus nicht verwechseln. Sie ist eine
unwillkürliche Erscheinung, eine Folge der krank
haften Übermüdung der Sachverständigen, die
* Bibliographie: A. Bogdanow: , Die Kunst und das
Proletariat" (übersetzt: Kentaur«Verlag, Leipzig 1919),
S. Salewsky: „Die proletarische Kunst", Moskau 1919. —
Zeitschriften <Moskau=Petersburg 1917/19): „Die Schmiede«
esse", „Das Kommende", Die proletarische Kultur" u.
m. a. Vgl. auch „Aktion" Nr. 45/46: „Kunst im roten
Moskau".
an Großmannsucht und Originalitätshascherei
erkrankt sind. Der Kubismus ist ihr Kind.
Der Kubismus hat sich in einer unverschämten
Weise in Konventionen abgenutzter Farbab-
Stufungen — des Bräunlichen und des Grün
lichen — abgesperrt und wiederholt sich bis
zum Überdruß: immer dieselben Repliken eines
anonym gebliebenen Urbildes — Quadrate und
wieder Quadrate von einer unglaublichen Ein-
förmigkeit, eines unbestreitbaren Idiotismus,
der besonders dann triumphiert, wenn es dem
Künstler auf die hinteren Facetten des Kubus
anzuspielen gelingt. Die vierte Dimension?
Blödsinn!
\
Ich sah weder die roten Feste, noch die meter
langen Leinwände, die ganze Häuser und Peters
burgs Kreuzwege bedeckten: es bleibt mir nur
zu erraten, wie das war. Leider ist meine Vor
stellungsgabe verarmt und grob wie immer, —
sie stellt mir nur abscheuliche Bilder der Bolsche
wisten vor. Ist es denn möglich, sich auszumalen,
wie sich der dich gewordene Gänserich, der sich
von dem Schwarm getrennt hat, zusammen mit
den dicken Fettschwänzen überfrißt, die auf dem
Vaterlande sitzen und seinen Saft aussaugen,-
ist es denn möglich, sich auszumalen, daß dieser
Räuber, der sich hinter der Schuld der Bourgeoisie
verstecht hat, endlich wild zu tanzen anfängt und
seine diche Brieftasche mit falschen Nichtigkeiten
fest an sich preßt. Kann es Abscheulicheres
geben, wie wenn dieser Didcwanst eine Träne
vor Rührung über seine Sattheit verlieren würde.
Pfui! Ein Ekel! Welche Kunst kann dieser
Schoß gebären?
Nein das ist unmöglich, es muß doch eine
Evolution kommen. Sie wird nicht so bald er
scheinen. Man könnte aber eine andere Über
raschung erwarten,- eine Überraschung in ganz
anderer Art. Öfters hörte ich, daß es im Sowjet
land Schulen gäbe, wo man sogar die hungrigen
Kinder füttert, den Aufbau neuer Grundlagen
lehrt,- da ist es, von wo man das Entstehen der
proletarischen Kunst erwarten darf. Diese Kinder
werden ihren Eltern ganz unähnlich sein. Diese
mageren Kinder werden leidenschaftlich bestürmt
sein von Ideen, von wirklichen Ideen des Friedens,
der Liebe und Brüderschaft der Völker. Da