35 vermag. So Willibald über die Futuristen. Was an übrigen Gründen angeführt wird, dürfte selbst Genüg® same hungrig lassen. Immerhin sei hier angehakt. Be» sonders ärgert den Herrn Professor natürlich die Regel® losigkeit der neuen Musik. »Schlagt die Schulmeisterei mit ihrem Regelkram tot und schreibt, wie Euch der Geist treibt« sei das einzige Gezetz, das der Futurist anerkennt. Dadurch sei eine bewußte Lösung von dem »organisch Gewordenen« bedingt. Nur dürfte selbst akademisch Gebildeten bekannt sein, daß jeder große Mensch sich in seinem Schaffen, soweit es irgendwie stark ist, vom Geist treiben läßt. Dies leugnen mag nur wer keinen hat. Und daß Herr Nagel steh vom Ungeist treiben läßt, beweist noch nichts dagegen. Organisch werden, Herr Professor Dr., kann nur ein Kunstwerk, nie dis daraus abgeleitete Regel. Im übrigen ist hier organisch nichts als eine plump diplomatische Umschreibung für traditionell. Das vor® geblich Anorganische ärgert den Pseudokritizisten weniger denn das Antitraditionelle. Sonst wäre er nicht so anor® ganisch, sich selbst in gar possierlicher Weise in seinem Artikel zu widersprechen. Während nämlich das Gebaren der Futuristen zunächst ihm nur schrullig lächerlich, be® wußt, modetöricht, unlauter und spekulativ vorkommt, packt ihn hundert Zeilen weiter die Angst vor der Bla» mage und er begütigt: »den Ernst ihres Wollens mag und darf man wohl <!> den Futuristen nicht absprechen.« Die Resultate dieser »jeder künstlerischen Vorstellungs» und Denkweise widersprechenden Anschauungen« seien Gestaltungen, denen der herkömmliche Formbegriff ebenso abgehe, wie ein normaler Vorstellungskraft faßbarer In® halt. Sind unsre Anschauungen wirklich jeder künstle® rischen Denkweise diametral, dann, Herr Nagel, ziehe ich meine Konsequenzen und nehme an, Sie betrachten uns nicht als Künstler. Aber nicht einmal darin sind Sie ver® läßlich. Sie reden nämlich von uns als Künstlern. Daß der herkömmliche Formbegriff jedem (jedem .. !> wahren Kunstwerk fehlt, könnte selbst Nägeln faßbar sein. »Wer gegebenen Gesetzen folgt, hört, auf, ein Schaffender zu sein«, sagt Busoni. Und in der Tat, der Norm, deren Typus Nagel repräsentiert, faßbar zu sein, ergeizen wir mit nichten! Schließlich behauptet der bald Erledigte, die Neuest» töner seien dazu gekommen, dem Kapellmeister anheim® zustellen, wie und mit welchen Instrumenten er sein Orchesterwerk besetzen v^olle. Ob ein derartiger Fall vorliegt, weiß ich nicht. Zumindest aber ist das nirgend» wie typisch für unsre Musik. Am groteskesten jedoch wirkt das ethische Schmalz, mit dem der also Vernagelte seinen Expektorationen Nachdruck verleiht. Es ist immer komisch, wenn eine Kategorie, die den Geist schlechthin leugnet, aufs Ethische Gewicht legt. Was nun dieser angebliche Mangel mit Dissonanzistik und Aformalität zu tun hat, ahne ich nicht. Und die Tatsache, das unsre Generation, sei es nun Däubler, Schmidt »Rottluff oder Schönberg, gerade aufs Menschliche, d. h. aufs zutiefst Ethische, sich konzentriert wie noch nie eine zuvor, erledigt wohl diese Redereien von selbst. Womit auch der Nagel nun sich überlassen sei. Hans Heinz Stuckenschmidt. Eine Münchner »Kritik«. R.Braungart, der Unvermeidliche, entdeckte jüngst im ebenerdigen Hauptsaal der Galerie Caspari — »ein idealer Rahmen für Vorträge und Tanzunterhaltung«, bemerkt der Kritiker, anscheinend schon ganz im Banne des nahen Münchner Faschings — also er entdeckte in diesem Raum, der ihm wahrscheinlich als Schauplatz expressionistischer Kunstveranstaltungen in übler Erinnerung ist — er ent» deckte: Antiquitäten. »Vielleicht ist's nur ein Provisorium,« beginnt erfrisch® weg zu meditieren. »Mag sein. Aber das Definitivum dürfte früher oder später doch folgen: Das liegt so in der »Konjunktur«. Die ganz moderne Kunst scheint eben all» mählich nicht mehr recht zu ziehen. Da orientiert man sich rechtzeitig neu. (Hier entstünde nun für Caspari im be® sonderen und für die Kunsthändler im allgemeinen die Frage, wer oder was Herrn Braungart berechtigt, den Kunsthändler jeder Gesinnungsschäbigkeit für fähig zu halten.) »Oder ist's am Ende gar nicht so?« grübelt der Kritiker weiter. »Nun ja, man wird die Sache nicht wahr haben wollen.« »Aber was kann uns hindern, trotzdem daran zu glauben?« fragt er mit kühner Herausforderung und fährt dann munter — nicht ohne eine gewisse Selbst» Zufriedenheit — fort: »Ist doch nichts natürlicher als diese Entwicklung, die jeder Nichthypnotisierte längst voraus® gesehen hat.« Warum? »Denn,« lautet die Begründung, »auf die Dauer vertragen auch die abgestumpftesten Nerven den Kannibalismus der Expressionisten nicht.« Was Sie nicht alles sagen, ist's denn wirklich so schlimm? Der also Zweifelnde bekommt von Braungart den Rat, sich in einem der oberen Zimmer die Bilder und Zeichnungen von Kokoschka anzusehen. »Man müßte,« seufzt der Kritiker freilich, »vor diesen Arbeiten all die sattsam be® kannten Gegenargumente wiederholen, die schon hundert» und tausendmal gegen solche genialisch sich geberdende Impotenz vorgebracht werden wird.« Aber er resigniert: ».,. was nützte es? Die Gegenpartei ist nicht zu belehren und wir sind nicht blind und lassen uns keinen blauen Dunst vormachen, auch nicht von solchen höchst frag» würdigen ,Klassikern'. Am besten ist es, man läßt diesen Brand, der ja doch nur ein Strohfeuer gewesen ist, in sich ausbrennen. Es eilt auch gar nicht so sehr. Wir können warten.« Und wir — wir müssen warten, brennende Scham im Gesicht — müssen warten, bis endlich die Abonnenten aller »Münchner Zeitungen« deutscher Zunge diese hahne® büchenen Exzesse einer von Gott und Geist verlassenen Subalternität unerträglich finden werden. (Gott gebe uns ein langes Leben!) L. Z.