75 Alfred Kubin: DER UNTERGANG DES TRAUMREICHES (Die Hölle) Es war rätselhaft, woher dieser überschwengliche Reichtum an Tieren kam. Sie waren die eigentlichen Herren der Stadt und hielten sich augenscheinlich auch dafür. Wenn ich im Bette lag, hörte ich ein Laufen und Hufe* klappern, als wäre ich in einer großen Stadt. Kamele und wilde Esel durchwanderten die Straßen,- es war gefährlich sie zu necken. Im Gegensatz zu diesem animalischen Reichtum schwand das Pflanzenleben immer mehr, alles war abgenagt, zerstampft, ohne Vegetation. Die Lindenalleen an der Landstraße und in der Richtung des Friedhofes bestanden nur noch aus kahlen Baumstümpfen. Die Erde dampfte, als wollte sie noch mehr Kreaturen ausspeien. Aus kleinen Löchern strömte ein warmer, sauerriechender Dunst. In eine ei* gentümlich, alles verwischende Däm* merung waren die Nächte gehüllt. Das Unheimlichste war ein rätselhafter Prozeß, der mit dem Überhandnehmen der Tiere begann,- unaufhaltsam und immer rascher zu* nahm und die Ur* sache zum völligen Untergange des Traumreiches wur* de. — Die Zerbrö* ckelung. — Sie er* griff alles. Die Bau* ten aus soverschie* denem Material, die in Jahren zusam* mengebrachten Ge* genstände, all das, wofür der Herr sein Gold hingegeben hatte, war der Ver* nichtung geweiht. Gleichzeitig traten in allen Mauern Nietzsdiesäule Sprünge auf, wurde das Holz morsch, rostete alles Eisen, trübte sich das Glas, zerfielen die Stoffe. Kostbare Kunst* schätze verfielen un* widerstehlich der in* neren Zerstörung, ohne daß sich ein zureichender Grund dafür angeben ließ. Eine Krankheit der leblosenMaterie. — Moder undSchim* mel gab es in den bestgehaltenenHäu» sern,- es mußte ein zersetzender, unbe* kannter Stoff in der Luft liegen, denn frische Speisen, Milch, Fleisch, spä* ter auch Eier wur den in einigen Stun* den sauer und faul. Viele Häuser bar* sten und mußten schleunigst von den Inwohnern verlas* sen werden. Dazu kamen die Ameisen! In jeder Ritze und Falte, in den Kleidern, im Portemonnaie und im Bette fand man sie. Man unterschied schwarze weiße und blutrote. Die schwarze, größte Art, fand sich in allen Mauersprüngen und im Freien, wohin immer man seinen Fuß setzte. Die weißen, weit gefährlicheren, verwandelten das Gebälk in Mehl. Die ärgsten waren ohne Frage die roten,- denn sie erkoren sich den menschlichen Körper zum Aufenthalt. Anfangs galt das Kratzen noch für unanständig, man machte das privat mit sich alleimab. Doch was will einer tun, wenn es ihn juckt? Im französischen Viertel kratzte schon längst jedermann. Wir lachten und taten bald dasselbe Die Gattin Sr. Exzellenz des Regierungspräsidenten ging gelegentlich einer Soiree mit kühnem Beispiel voran. Der Unrat der Tiere auf der Gasse und der Staub in den Wohnungen war nicht mehr zu entfernen. Es wurde immer mehr, so verzweifelfttian auch dagegen ankämpfte, Während desBürstens und Klopfens zerfielen die Kleider. Mich wunderte nur, woher die Traummenschen noch immer ihre gute Laune schöpften.