127 empfinden würde, wenn er den Vorgang selbst beschrieben,hätte, Erfindungsgabe in der mise en scene und sieht in irgend einem Detail edle Humanität, Mut, Bescheidenheit oder Tugend, lauter Gefühle, die das Bild ihm suggeriert. Und all diese Phantasien und all seine Begeisterung können bei ihm gewöhnlich <sagen wir ruhig meistens) durch ein reckt armseliges Bild erweckt werden. Und währenddem bleibt des Malers Poesie ihm ganz verborgen — der erstaunlichen Erfindung, die Form und Farbe zu so vollendeter Harmonie verschmolzen hat, daß die Schönheit daraus geboren wurde, steht er ohne Verständnis gegenüber,- der Adel des Gedankens, der dem Ganzen die hohe Würde des Künstlers eingehaucht hat, sagt ihm absolut nichts. So daß er uns in seinen Veröffentlichungen Vorzüge andichtet, über deren Besitz wir erröten müßten —- während die großen Qualitäten, die das eine Werk unter Tausenden auszeichnen, die das Meisterwerk zu einer Schönheitsölfenbarung macken — vollständig unbemerkt blieben. Von der Richtigkeit dieser Behauptung können wir uns überzeugen, wenn wir alte Kritiken über frühere Ausstellungen durchblättern und die schmeichelhaften Anerkennungen lesen, mit denen Künstler überhäuft werden, die inzwischen ganz vergessen sind — für deren Werke die Sprache aber nicht genug Ausdrücke des Entzückens fand — und die nichts für die Nationalgalerie zurückließen. Eine merkwürdige Einwirkung auf das Urteil dieser Herren übt der konventionelle poetisch*symbolistische Wortschatz aus, der ihnen ganz gewohnheitsmäßig hilft, sich mit der Natur abzufinden: Ein Berg ist ihnen gleichbedeutend mit Höhe — ein See mit Tiefe — der Ozean mit Unendlichkeit — die Sonne mit Strahlenpracht. So daß ein Bild mit einem Berg, einem See und dem Meer — sei es als Malerei noch so armselig — un fehlbar erhaben, unendlich und strahlend — auf dem Papier ist. Dann gibt es auch solche, die mit düsterer Miene und vollgepfropft mit Bücherweisheit die Museen be suchen und Krypten durchstöbern — sammeln — vergleichen — aufhäufen — klassifizieren und diskutieren Das sind die Sachverständigen, für die ein Datum Bildung, ein Name Erfolg bedeutet! Sorgsam im Erforschen und gewissenhaft im Urteil, stellen sie mit dem nötigen Nachdruck falsche Berühmt heiten auf, entdecken ein Bild durch einen Fleck auf der Rückseite, beurteilen den Torso nach dem Bein, das fehlt, füllen dicke Folianten mit Mutmaßungen über die Art jenes Gliedes, schreiben streitsüchtig und peremp torisch über den Geburtsort irgend eines minderwertigen Kunstwerks. Als wären sie in den Galerien als Schreiber angestellt, füllen sie in ihrem unersättlichen Ehrgeiz Memoranda aus, erniedrigen die Kunst zur Statistik, registrieren das 15. Jahrhundert und rubrizieren die Antike! Und nun gar der staatlich angestellte Kunstbonze! Ersteht auf hohem Platze, spricht zum Volke und hält Vorträge! Ein Gelehrter der Universitäten, hochgeehrt in vieler Beziehung, reich an Wissen in allen Fächern — außer in dem einen, worüber er hier spricht. Bald grimmig, bald ernsthaft ratend, drohend befehlend, mit Über* redungskraft und Sprachgewandtheit müht er sich ab, ein Nichts zu beweisen. Abgenutzt durch die lange Dozententätigkeit, hat er nichts Neues zu sagen. Alles ist Pathos, Wichtigtuerei, Hohlheit. Er wird agressiv, unglücklich, verzweifelt/ schreit laut und geißelt sich, doch die Götter hören ihn nicht. Schließlich ist er aber doch ein den Philistern wohlgefälliger Priester, denn zierlich tänzelt er durch viele Bände über alle streitigen Punkte, weicht jeder wissenschaftlichen Behauptung aus und »schwatzt von grünen Feldern«. <Aus M. N. Whistler: »Die artige Kunst sich Feinde zu machen«. Bruno Cassirer, Berlin 1909.) Beispiele französischer Kunstkritik aus drei Jahrhunderten DIDEROT: »DAS VERWÖHNTE KIND« VON GREUZE <SALON 1765) An dem Tisch sitzt eine Mutter, die mit Zufriedenheit ihren Sohn betrachtet, der seine Suppe einem Hund gibt. Das Kind reicht seine Suppe dem Hund mit seinem Löffel. Das ist der Kern des Geschehens. Es gibt noch Nebendinge, wie rechts einen Krug, eine Steingutschüssel, wo Wäsche eingeweicht ist/ darüber eine Art Schrank,- neben dem Schrank ein hängendes Bündel Zwiebel,- noch höher ein Käfig, der an der Schrankseite befestigt ist, und zwei oder drei Stangen, die an die Wand gelehnt sind. Von links nach rechts vom Schrank aus zieht sich eine Art Buffet, auf das der Künstler einen irdenen Topf gestellt hat, ferner ein Glas, halb gefüllt mit Wein,- daneben hängt Leinenzeug/ hinter dem Kind steht ein Strohsessel mit einer Terrine drauf.