128 AH das zeigt an, daß es sich hier um die »kleine Wäscherin« handelt, die sich vor vier Jahren verheiratet hat und deren Geschichte fortzusetzen er sich vornimmt. Das Sujet dieses Bildes ist nicht ganz klar. Der Gedanke ist nicht genug charakteristisch herausgearbeitet: das kann entweder das verwöhnte Kind oder den verwöhnten Hund vorstellen. Es funkelt von kleinen Lichtern, die von allen Seiten her flimmern und das Auge blenden. Der Kopf der Mutter ist in der Farbe entzückend, aber ihre Frisur hält nicht auf dem Kopf, so daß die volle plastische Rundung nicht herauskommt. Die Kleider sind schwer, besonders die Wäsche. Der Kopf des Kindes erfüllt alle Ansprüche an Schönheit, aber an eine Schönheit, wie sie der Maler liebt,- das ist ein schönes Kind nach dem Herzen des Malers, aber nicht nach dem Herzen einer Mutter. Der Kopf zeigt feinste Pinselarbeit, die Haare sind viel leichter als er sie sonst wiederzugeben pflegt. Der Hund dagegen ist ein wirklicher Hund. Die Mutter hat einen undurchsichtigen Hals, ohne Transparenz, ja selbst ein wenig rot. Es gibt auch zuviel Nebensächliches, zuviel Kleinarbeit,- dadurch wird die Komposition schwerfällig und konfus. Die Mutter, das Kind, der Hund und einige Gerätschaften hätten eine größere Wirkung erzielt. Dann wäre die Ruhe erreicht worden, die jetzt fehlt. CH. BAUDELAIRE: DELACROIX <SALON 1846) Die diesjährigen Bilder von Delacroix sind: Die »Entführung der Rebekka« <aus »Ivanhoe«), der »Ab* schied von Romeo und Julia«, »Gretchen in der Kirche« und ein »Löwe« in Aquarell. Das Bewundernswerte bei der »Entführung der Rebekka« ist die vollkommene Harmonie der Töne, der intensiven konzentrierten, zusammengefaßten und logisch angewandten Töne, aus denen eine packende Wirkung resultiert. Bei fast allen Malern, die keine Koloristen sind, findet man stets leere Partien, d. h. große Löcher, die durch Töne, die gewissermaßen nicht Niveau halten, hervorgerufen werden. Delacroix' Malerei ist wie die Natur, sie verabscheut alles Leere. Romeo und Julia — auf dem Baikon —, im kühlen Morgenlicht, halten sich fromm mitten um den Leib geschlungen. Bei dieser heftigen Abschiedsumarmung wirft Julia, die Hände auf die Schultern ihres Geliebten legend, den Kopf zurück, wie um aufzuatmen oder in einer Anwandlung von Stolz und hoher Leidenschaft. Diese ungewohnte Haltung — fast alle Maler lassen die Verliebten Mund auf Mund pressen — ist gleich* wohl ungemein natürlich. Solch kräftige Bewegung des Nackens ist den Hunden und Katzen, die sich gern streicheln lassen, eigen. Der bläuliche Dunst der Dämmerung hüllt die Szene und die romantische Landschaft, die sie ergänzt, ein. Der allgemeine Erfolg, der diesem Bild beschieden ist und die Neugier, die es erregt, sind ein guter Beweis für das, was ich schon an anderer Stelle gesagt habe, nämlich das, daß Delacroix populär ist — was auch die Maler sagen mögen — und daß, wenn man nur das Publikum von seinen Werken nicht fern hält, er es in ebenso hohem Maße sein wird wie die schwächeren Maler. »Gretchen in der Kirche« gehört zu jener an Zahl schon reichen Gattung liebenswürdiger Genrebilder, mit denen Delacroix dem Publikum seine so scharf kritisierten Lithographien scheint erklären zu wollen. Der in Aquarell gemalte »Löwe« hat für mich neben der Schönheit der Zeichnung und der Bewegung einen großen Vorzug, den nämlich, daß er mit großer Ehrlichkeit gemalt ist. Dem Aquarell ist wieder seine be* scheidene Rolle eingeräumt. Es will sich nicht so wichtig machen wie das öl. »Eugen Delacroix« Benno Schwabe, Basel 1919. BÜRGER*THORE: COROT <SALON 1861) Corot besitzt nicht die üppige Mannigfaltigkeit Rousseaus,- er verfügt nur über eine einzige sehr beschränkte Tonleiter, und zwar in Moll, wie der Musiker sagen würde. Er kennt kaum mehr als eine einzige Stunde, des Morgens, und eine einzige Farbe, das bleiche Grau. Er gerade würde gewinnen, wenn man eins seiner Bilder aus dem Salon herausnähme — eins nur, denn sie gleichen einander alle nahezu — das Beste, das »Der See« betitelt ist, und es irgendwo absonderte im Halbschatten eines ruhigen Raumes. In diesem Bilde ist ein tiefgefühlter Eindruck, der sich auf uns überträgt, eine ganz einfache, harmonische und richtige Wirkung. Das Wasser, die Bäume, der Himmel, alles ist in einen fast undurchdringlichen Nebel gehüllt. Es würde einem gut tun, in dieser Morgenfeuchte spazieren zu gehen und sich den Träumen zu überlassen, die diese schwankenden, fast ununterscheidbaren Gebilde hervorlocken. Corot streift nur diese duftigen, fabelhaften Regionen und sieht darin auch nur Phantome erscheinen, flüssige Gestalten ohne festen Halt, wie der Nebel selber, der beim geringsten Strahl der wirklichen Sonne