145 steht. George Bernard Shaw jedoch scheint trotz der lockendsten Angebote diverser Vor* trags* Impressarien vorläufig die Absicht zu hegen, dereinst zu sterben, ohne die Freiheits* statue und ein paar Wolkenkratzer gesehen zu haben. Warum auch nicht? Sein »Heartbreak H ouse«, kürzlich von Augusta de Wit in der N. R. C. rezensiert, erzielt am Broadway Abend für Abend ausverkaufte Häuser, und weshalb sollte er, da der Mammon ihm in Strömen zu* fließt, sich selbst zur Quelle bemühen? William Archer brachte uns ein Melodram, die »Green Goddeß« und nahm die Gelegenheit seines Besuches wahr, um das amerikanische Theater zu studieren. Er hat seine Eindrücke in einer Reihe von Artikeln niedergelegt, deren erster gestern Abend in der »Evening Post« erschienen ist. Darin nennt er unsere dramatische Tätigkeit staunenerregend, spricht von New*York als der »ersten Theaterstadt der Welt«, und rühmt das Publikum um seiner »loftineß of frontal deve* lopment« willen — eine launige Umschreibung von »highrowneß« —• Beweis: der Erfolg von Heartbreak House, der, wie er meint, weder in London noch sonst einer Stadt Europas errungen worden wäre. Die jugendliche Witwe Frau Clara Sheri* dan, eine Nichte Winston Churchills, traf hier ein, begleitet von ihrem 5 jährigen Söhnchen, der ein richtiger Abkömmling vom Autor der » Mede* dingers« und »Schandaalschool« ist. Frau Sheri* dan überarbeitet zur Zeit ihre Tagebuchblätter aus Sowjetrußland, wo sie unlängst die Bolsche* wistenführer modelliert hat. Zu gleicher Zeit hat hat sie eine Ausstellung ihrer Skulpturen eröff* net, und in demselben Saal, wo man früher die Werke Trubetzkoys bewundern konnte, schaut einen heute Nicolai Lenin — oder ist's Olea* noff? — an, umringt von Trotzki — Braunstein, Sinowjeff — Apfelbaum, einigen anderen Bol* schewistenköpfen und —' Winston Churchill. Sir Philip Gibbs hält Vorlesungen über allgemeine Politik, wobei er neulich durch seine Sympathiekundgebung für Sinn Fein Anstoß erregte, so daß die Polizei einschreiten mußte. Doch verlor Sir Philip keinen Augenblick die Fassung und Ruhe, die auch ein Merkmal seiner journalistischen Arbeiten sind und ihm während des Krieges hier so viele Freunde gewonnen haben. Von allen englischen Gästen ist aber Gilbert K. Chesterton — »G.K.C.«, wie er schlecht* weg genannt wird — bis jetzt wohl der Gefei* ertste. Er hält in einer Reihe von Städten Vor* lesungen, die sich durch die Kürze ihrer Dauer auszuzeichnen pflegen. Es heißt, daß eine junge Dame am Schluß eines Chesterton*Vortrags zu ihrem Begleiter gesagt haben soll: »Ich hoffte, Sie würden mich in einen Vortrag bringen, von dem ich nichts verstehe, statt dessen habe ich alles begriffen. Mir ist der ganze Abend ver* pfuscht!« Chesterton selbst hat mehr als einmal ge* äußert, er begreife nicht, daß soviel Leute seine Vorlesungen besuchten, und erst recht nicht, daß sie dafür Geld übrig hätten. Chestertons Erscheinung — ein Riese von einem Mann mit einer äußerst hellen Stimme — wirkt entschieden malerisch. Von seiner Stimme sagte er einmal, sie sei die originelle kleine Maus, vom Berg geboren. Ein Vergleich, dessen Ko* mik uns alle lachen machte. Es liegt uns fern zu glauben, daß Chesterton auf die Popularität von Wells oder Shaw nei* disch sei, wie es die Outline of History hier in Zehntausenden von Exemplaren veröffentlicht hat. Er hat sich nur zuweilen einen Scherz mit ihnen erlaubt. So will er z. B. von Wells 7 Drang nach einem Weltenstaat nichts wissen und gibt zu verstehen, daß in Wells 7 Buch zuviel Pseudo* Wissenschaft stecke. Er nennt Wells Ausdruck »prähistorischer Mann« eine contradictio in ter* minis und würzt auch dessen übrige prähisto® rische Berichte mit mehr als einem Körnchen Salz. »Ich habe nie begreifen können«, sagte er, »weshalb der primitive Mann die primitive Frau mit einer Keule zu behandeln pflegte. War sie ihm so zuwider? Und woher das unnatürliche Zartgefühl ihrerseits? Falls der primitive Mann so 7 n roher Kerl war, wozu braucht die primi* tive Frau sich darum alles von ihm gefallen zu lassen?« Über G.B.S. tat Chesterton folgenden Aus* spruch: »Bernard Shaw kommt mir vor wie jene