150 Von tiefgehender Bedeutung für die Buchillustration des ganzen 19. Jahrhunderts ist die Erfindung der Litho« graphie in Deutschland, der in England die Entdeckung des tonigen Holzschnittes durch Bewick folgte. Für den Holzschnitt eröffneten sich so neue malerische Wirkungs möglichkeiten, die indes in der Folge besonders in Frank« reich, wo das neue Verfahren weiter ausgebildet wurde, zum überspannten, den Aufgaben des Holzschnittes ganz zuwiderlaufenden Wettbewerb mit dem Stahl« und Kupfer« stich führten. Mit der alten Holzschneidekunst hat dieses Verfahren nur mehr das Material gemeinsam, umsomehr, als die vollkommen mechanisierte Ausführung geschickten Handwerkern überlassen werden konnte, die die Zeich» nungen der Meister auf die Platte übertrugen. Mit dem Tode Menzels, des geistreichen Schilderers der frederizia« nischen Zeit, folgte in Deutschland aufs neue eine tiefe Periode des Niedergangs der Buchillustration. Die Füh« rung ging nun abermals vollständig an die westlichen Länder über, vor allem an Frankreich, wo Doree, Bertall, Johannot u. a. die romantischen Traditionen weiterent« wickelt hatten. Aber auch in Frankreich wurden seit der Mitte des Jahr« hundertsdie rein malerischen, auf die Darstellung der durch Licht und Luft aufgelösten Erscheinungsformen zielenden Tendenzen des Impressionismus der Illustration verhäng« nisvoll, da die Meister der neuen Richtung, zugleich die einzigen Träger wirklicher Kunst, mit wenig Ausnahmen, die sich auf die Lithographie beschränkten, der Buchillu stration wenig Interesse entgegenbrachten, was ihrer Gleich gültigkeit für den Gegenstand, sofern es sich nicht um die Erscheinungsform handelte, entsprach. Der tonige Holzschnitt, dessen impressionistische Mög lichkeiten in unerfreulicher und ganz mechanischer Art noch weit über Menzel hinaus gesteigert wurden, beherrscht, von höchst mittelmäßigen Händen ausgeübt, die Buchkunst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Das impressionistische Dogma durchbrachen in Deutsch land, wo man auf das gedanklich Inhaltliche nie ganz ver zichten wollte (Klinger), vor allem Slevogt und Corinth. Besonders Slevogt hat, beeinflußt durch das dem Impres sionismus naheliegende Rokoko unvergängliche Werke der Buchillustration geschaffen. Die Wiederentdeckung der Wesensform im Erpressio nismus, die neuen dekorativen und bildverfestigenden Be strebungen in der Malerei haben zu Beginn unseres Jahr hunderts den alten Holzschnitt wieder zu Ehren gebracht und damit auch das Interesse der Künstler für die Buch illustration aufs neue geweckt. Nun, da wenigstens die ideellen Bedingungen für ein neues Aufblühen der Buch kunst gegeben sind, macht sich der Mangel einer fort laufenden Tradition, der durch Jahrzehnte verschüttete Sinn für die einheitliche Wirkung des Buches verhängnis voll geltend. Vor allem ist im Rahmen des Buches der Illustration in organischer und inhaltlicher Beziehung ein allzu selbst ständiges Interesse zugewandt worden, so daß in vielen Fällen die Bildbeigaben als das Wesentliche betrachtet wurden, während man sich besonders bei Neuausgaben älterer Werke daran gewöhnte, den Text als anregende, mehr oder weniger notwendige Beigabe zu betrachten. Die signierten Graphiken waren die Hauptsache und ver bürgten den Wert des Buches. Auf die harmonische Ein heit von Schrift, Satzspiegel und Illustration wurde wenig geachtet . . . Aber auch der innere Zusammenhang von Bild und Text wurde lockerer oder zumindest für den naiven Leser minder offensichtlich, da sich der Illustrator nicht mehr darauf beschränkte, Vorgänge bildlich darzu stellen, oder die sichtbare Welt als Mittel zum Ausdrucke seelischer Stimmungen zu verwenden, sondern es in vielen Fällen versuchte, Emotionen, die sich ihm beim Lesen des Buches ergaben, durch mehr oder weniger sekundär-ab strakte und daher meist höchst subjektiv gefärbte Reali sationen Ausdruck zu verleihen. Erst in der neuesten Zeit scheint sich wieder eine Wendung zur gegenständ lichen Illustration, die mitgelesen werden kann, vorzu bereiten und dies im Zusammenhang mit Bestrebungen, die dahin gehen, das Buch als solches, als Einheit, der sich auch die Bildbeigaben unterordnen müssen, die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden. Zu den erfreulichsten Erscheinungen der letzten Zeit gehört das wundervolle Stundenbuch von Frans Masereel. (Frans Masereel, Mein Stundenbuch. Kurt Wolff Verlag, München. 167 Holzschnitte bei Wolf 'S) Sohn, München, gedruckt in 700 Exemplaren, 1—50 auf kaiserl. Japan, vom Künstler signiert, 51—700 auf Deutsch-Bütten. Preis 770 Mk. und 165 Mk.) Wir kennen Masereel vor allem aus seiner Tätigkeit im Kreise der Genfer Pazifisten aus den politischen Holz schnitten in »La Feuille«, die kürzlich in einer Auswahl bei Erich Reiß, Berlin, erschienen sind (vgl. Ararat Nr. 1/II> Eine unendliche Güte und Liebe zur Kreatur, eine Sim plizität der Weltanschauung, aus der der Geist des Hei-, ligen von Assisi spricht, tritt uns in diesen einfachen und künstlerisch hervorragenden Holzschnitten des Stunden buchs entgegen, die uns mit unwiderstehlicher Kraft und unmittelbarer als es das geschriebene Wort vermöchte, zum seelischen Miterleben zwingen. Die kontinuierliche Darstellung dieser Konfessionen ist uralt und erinnert an die Ahnen des modernen Films, die Darstellungen auf den römischen Siegessäulen und den altchristlichen Rotulen. Die Ausstattung der Vorzugsausgabe ist einwandfrei, weniger gelungen ist der Einband der gewöhnlichen Aus gabe, bei der die Farbenzusammenstellung des Einbandes sehr unharmonisch wirkt. Jean Paul, Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht, mit 38 Lithographien von Paul Becker. Verlag von Richard Weißbach, Heidelberg 1920 (Drucke des Argonautenkreises, I. Druck in 225 Exem plaren). Dieses Buch bildet ein gutes Beispiel für den Mangel an Einheitlichkeit in der Ausstattung, an dem so viele neue Bücher leiden. Die Lithographien von Becker, die