157 B Die Leidenschaften, die Herz und Antlitz der Menschen verwüsten, verkörpern sich im Geschöpf. Die gelben Augen des stinkenden Bockes spielen geil, sein Maul grinst hämisch. Die Sau wälzt sich entsetzlich nackt, rosa und blond, ein Bild der Unzucht im Kote. Wahre Dämonen umgeben dich und selbst Bäume und Pflanzen starren in widernatürlichsten Formen. Doch wie durch Adams Fall dieser Schatten fiel auf alle Kreatur, so fällt durch den Erlöser ein neues Licht auf sie. In diesem erhebt sie sich zu neuer Bedeutung. Sie wird zum Sinnbild, zum Gleichnis. Ochs und Esel standen an der Wiege des Heilands: wer will nicht einen Glanz davon sehen um ihre geduldigen Stirnen, ihren gesenkten Nacken und ihr sanftes Schreiten? Die Schafheerde dort am Abhang, betreut von ihrem Hirten, der braune Acker im Frühling, wann er die goldenen Körner empfängt, die in weitem Schwung die Hand des Sämanns über ihn hinstreut,- das reife Korn, wenn es fällt unter der Sense des Schnitters und der Baum, erklingend unter der Axt des Holzfällers, der unfruchtbare Feigenbaum und der, welcher grün wird im Frühling und die Reb stöcke, deren Trauben reifen unter der pflegenden Hand des Winzers,- damit sie im Herbst unter Gesang in großen Bottichen der Kelter zugefahren werden: sind sie nicht alle Symbole, Gleichnisse, die immer von neuem, jedes Jahr, jene wiederholen, die aus des Herrn Mund gingen? In dieser Weise die Dinge zum Sprechen zu bringen, sie aus dem scheinbar zufälligen Sein zu erlösen und ihnen zu einem wesentlichen, sinnfälligen Sein zu verhelfen, ist mir Aufgabe des Künstlers, ist Expressionismus, wie ich ihn verstehe. So schreibt van Gogh: »Gefühl, selbst feines Gefühl, für die Schönheiten der Natur, ist nicht dasselbe wie ein gläubiges Gefühl«. (Aus: Richard Seewald »Tiere und Landschaften«. Fritz Gurlitt-Verlag, Berlin.) ERINNERUNGEN VON FRANCIS JAMMES Am 2. Dezember 1868, morgens 4 Uhr, erblickte ich das Licht der Welt. Ich wurde in Tournay, an der Flanke jenes steilen, ewig von luftigen W ogen bespülten Gestades, das man die Kette der Hochpyrenäen nennt, geboren. Meine Freistatt war keine Grotte, sondern eine alte Wohnung, deren Besitzer Monsieur Cazabat hieß. Er wohnte nicht in seinem eignen Haus. Wo also? Und wer war er? Ich weiß es nicht, aber er erschien mir, einst bei sinkender Nacht voll Schnee und Wind, auf dem Kopfe eine Kappe und unter dem Arme eine Pendeluhr. Die erste Ahnung von etwas Schönem, die mich nach und nach zur Erkenntnis einer höheren Schönheit und endlich zu der einer unendlich vollkommeneren Schöpfung führen sollte, vermittelte mir bis zu meinem fünften Jahr, ein Hafen voll klarer Luft, die eine von stolzen Bergen beherrschte Küste badete. Am Abhang lag eine Hütte, die das Paradies hieß und Monsieur Fourcade gehörte, einem Apotheker, der in der Umgegend Kräuter sammelte um Likör zu brauen. Glück durchströmte mich, wenn ich — selbst aus weiter Ferne — dieses Paradieses gedachte, denn mich deuchte, daß dort meine Seele Gott begegne und daß diese Begegnung sich in lichter Klarheit vollziehe. Ich habe niemals die Orte meiner ersten Kindheit Wiedersehen wollen, denn ihr Andenken — von der Zeit nicht verwischt — steht in einem solchen Glanze vor mir, daß ich entschlossen bin, zu warten, bis der Tod sie mir in ihrer glorreichen Wirklichkeit zurückgibt. Mein Leben in Tournay dauerte 6 Jahre und 6 Monate. Nach Ablauf der ersten Hälfte dieser Zeit verließen wir mein Geburtshaus, das Monsieur Cazabat gehörte und zogen zu Monsieur Mailhou, einem Gerichtsschreiber. Späterhin im Frühjahr 1875 verließ mein Vater, der Registratur sekretär war, Tournay mit uns.