179 von dynamischer Ausdruckskraft. Eine baltische Künstlerin Edita Walterowna zur Muehlen zeigt sich als Zeichnerin von visionärer Lebendigkeit. In ihren dekorativen stark farbigen Bildern verspürt man ostasiatische Einflüsse. Nach der Auflösung der zeichnerischen Grundlagen durch den Impressionismus und der zerstörenden Gewaltherr» schalt der Futuristen zeigen diese Künstler einen starken Willen zur Formbildung und Erneuerung im neuartigen primitiv-strengen Zusammenfügen der Bildfläche. Willy Ganske. (Berliner Lokalanzeiger 8. IV. 21.) Es stimmt hoffnungsvoll, daß es in allen Ländern die jüngeren, vorwärtsweisenden Kräfte sind,, welche die Ma schinerie des internationalen Kunstverkehrs langsam wieder in Gang setzen. Draußen grollt noch immer das Gewitter,- aber es scheint doch, daß sich in den höheren atmosphä rischen Schichten allmählich eine reinere europäische Luft bildet. Endlich können wir nun auch einen immer voll ständigeren Überblick über die Ausdrucksformen gewinnen, in denen bei den verschiedenen Nationen die Ideen und Vorstellungen der modernen Entwicklung Gestalt ange nommen haben. Der Weg, den die Italiener dabei gingen, führt von der wildesten Formzertrümmerung zu strengem Neuaufbau. Der Futurismus hatte die Wirrheit und Zerrissenheit der Zivilisationswelt dadurch überwinden wollen, daß er sie selbst schmerzvoll hinausschrie. Was er an Prophetie ge leistet hat, indem er Krieg, Gewaltherrschaft und Umsturz aus dumpfem Gefühl weissagte, wird ihm unvergessen bleiben. Aber die Formlosigkeit und Verschwommenheit seiner Mittel mußte ihn in eine Sackgasse bringen, aus der kein Weg weiter führte. Nun hat der Rückschlag eingesetzt. Es ist, als wenn die alte formbildende Kraft des antiken Bodens wieder frisch und zeugungsfähig geworden wäre. Alles, was diese Künstler treiben, die sich um die in Rom erscheinende Zeitschrift »Valori plastici« gruppieren, ist auf ein neues Zusammenfassen, auf ein sorgsames Fügen von Linien und Flächen, von zeichnerischen und malerischen Elementen gestellt. Das italienische Wort »plastico« hat eine andere Be deutung als unser »plastisch«. Die Parole der Künstler gruppe lautet »BildendeWerte« (nichtbildhauerische). Aber »bildende« doch auch in dem Sinne, daß damit zugleich eine strenge Bindung gemeint ist. Das merkwürdige und Fesselnde dabei ist die Art, wie sich mit diesen formalen Prinzipien nun der geistige Gehalt der neuen Kunstsehn sucht, ihr Hang zur Ergründung der mystischen Zusammen hänge hinter denErscheinungen verbindet. Doppelt fesselnd, weil die wiedererwachte Freude an straffer, klarer und ein facher Komposition die italienischen Maler unversehens dazu brachte, zu ihrer Quattrocento-Kunst diplomatische Beziehungen anzuknüpfen, ja noch weiter zurückzuschauen und gelegentlich auch die sichere Ruhe der antiken Malerei wieder zu beschwören. Das Übergleiten in die neue Anschauung verkörpert sinnfällig Carlo Carra, der aus dem Kreise der Futu risten kommt. Kubistische Anregungen von Frankreich her brachten ihn, wie seinen Kameraden Giorgi de Chirico, dazu, Wirklichkeitseindrücke auf mathematische Grund formeln zurückzuführen. Das ergab bei beiden einen oft kühlen Schematismus. Bei Carra scheint es nur ein Durch gangsstadium zu sein, das er in Landschaftsbildern von stiller Übersichtlichkeit der Ordnung und einer seltsam magischen Farbe schon wieder überwunden hat. Chirico nahm davon seinen Weg zu geheimnisvollen konstruktiven Deutungen von Figuren und Gruppen, die mit den ingenieurhaften Träumereien von Archipenko verwandt sind, aber durch eine schwere, satte Farbe einen persönlichen Klang erhalten. Man darf solche maschinellen Auflösungen menschlicher Gestalten, wie etwa bei dem Bilde mit der gewiß ver blüffenden Unterschrift »Hektor und Andromache«, nicht nach ihrem thematisch-literarischen Inhalt fragen: sie wollen nur ein Mit- und Gegeneinander von Linien und Farben, von Werten und Klängen geben. Das große Gemälde des »Verlorenen Sohnes« zeigt dann, wie eben die Gruppe des Hektorbildes nun gleichsam eine Wirklichkeitshaut über geworfen hat. Hier ist Chirico ganz nach der Frührenais sance orientiert. Freier und eindrucksvoller folgt er den alten Meistern in der Darstellung des lehrenden Merkur, wo Helligkeiten und farbige Flächen mit ungewöhnlichem Geschmack verteilt sind. Eine wertvolle Bekanntschaft ist Georgi Morandi. Seine Stilleben zumal, die die Synthese des Cezanne mit dem vereinfachenden Gerüst der modern-italienischen Kompo sitionsart verschmelzen, sind von außerordentlicher Zart heit und Delikatesse der mit höchst kultiviertem Feingefühl gestuften und gegeneinander abgewogenen Farbwerte. Es ist kostbar, wie er ganz leise rosa und graue Töne auf einander zu stimmen weiß, wie er ein Bild ganz Ton in Ton entwirft. Stärker in die Farbe geht Francalancia, dessen Gebirgsbild reichen Klang ausströmt, und dessen heller Morgenblick über Assissi ungemein anmutig wirkt —• nun allerdings schon fast in der Art des frühen 19. Jahr hunderts. Der Bildhauer der Gruppe ist Martini, der mit einigen Gipsabgüssen von Werken sehr inniger Empfin dung vertreten ist. Man denkt mitunter an Barlach, aber es ist natürlich nur eine Zeitverwandtschaft. Schließlich hat sich den Italienern eine in Rom angesiedelte Baltin, Fräulein von zur Mühlen angeschlossen, die eine Reihe sehr feiner Zeichnungen und farbig belebter Bilder aus stellt — Werke, in denen sich ein von Japan befruchtetes Sehen mit einer beschwingten musikalischen Rhytmik eigen artig verbindet. Max Osborn. (Vossische Zeitung 7. IV. 21.) Auch in Italien wird die jungeKünstlerschaft noch immer von Gruppentendenzen getrieben,- es herrscht auch dort ein sehr buntes Durcheinander: Kubismus, Futurismus, durchkreuzt von expressionistischen, naturalistischen und primitiven Strömungen. Selbst der Wille zum reinen, klassischen Stil bricht sich Bahn. Die Künstlergruppe, die jetzt im Kronprinzenpalais Obdach gefunden, schart sich um die Zeitschrift »Valori Plastici«, nach der sie sich auch benannt hat. Diese Künstler haben, im Gegensatz zu den