180 jungen Holländern, die wir vor kurzem in denselben Räumen sahen, mehr eigenes Gepräge, mehr Mut zur Selbständigkeit, sind aber keineswegs vom Epigonentum freizusprechen. Das Schwanken zwischen gewundenem Stil und formstrenger Primitivität, die Kultur der reinen Farbe, die Auflösung der Wirklichkeit in geometrische Formen, das Schwelgen in Abstraktionen, das Zurück- fallenindie sonst peinlich vermiedene Konvention: es fehlt nichts, was sich im bunten Teppich der modernen Kunst kreuzt und verknüpft. Als Führer der Gruppe gilt Carlo Carrä, ein starker Kolorist, der sich aus dem Futurismus herausgewunden hat, aber das Primitive allzu absichtlich betont. Er ist fast hilflos in seiner Einseitigkeit und grotesken Verbissenheit, die er hoffentlich einmal überwindet, um mit den ihm ge gebenen Mitteln etwas ganz anderes zu erreichen. Gei stiger gibt sich de Chirico, der langsam von der grotesken Gliederpuppe in menschliche Atmosphären zurückgefunden hat. Ein seltsamer Übergang. Chirico, durchaus fähig, den Raum farbig zu gestalten, hätte sich die geometrischen Mätzchen, die er sehr ernsthaft »metaphysisch« nennt, sparen können,- denn notwendig waren sie für seine Ent wicklung kaum. Er weiß auch ohne gezirkelte Gewalt samkeit zu fesseln/ seine letzten Bildnisse, die leise an Meister der Frührenaissance erinnern, sind von einer ruhigen abgeklärten Bestimmtheit. Sie reichen in der Farbe allerdings nicht an die Bilder der »metaphysischen« Periode heran. Giorgio Morandi ist vielleicht einer der inter essantesten Köpfe der Gruppe,- seine auf bestimmte Töne <grau, rosa) eingestellten Landschaften erscheinen, trotz dieser Abstraktion, impressionistisch. Aber bei einfachsten Gegenständen, Zylindern, Kegeln und anderen geome trischen Figuren, bringt es Morandi zu klangvollen Farben symphonien,- von seinen Stilleben, die ähnlich geschaffen sind, geht ein geheimnisvoller Reiz aus,- denn Farbe und Form sind hier mit der Delikatesse des wissenden, nicht einseitig begabten Schönheitssuchers behandelt. Aus der Stadt des heiligen Franziskus stammt der ganz autodi daktisch gebildete Ricardo Francalancia. Er ist noch gegenstandstreu, versenkt sich mit Inbrunst in die um- brische Landschaft, erschaut sein göttliches Assisi wie das Paradies. Eine eigenartige Begabung, die glücklicherweise auf keine Richtung eingeschworen ist. Komplizierter ist die Baltin Zur-Mühlen, die seit mehr als zehn Jahren in Italien lebt und nicht zufällig in die Gruppe hineinge kommen ist. Eine begeisterte Künderin südlicher Land schaft, anfangs impressionistisch, doch mit gutem Raum gefühl, geschmackvoll und zielsicher in der Farbe, dann, neueingestellt, wie nach einem großen inneren Erlebnis: Betonung der Linie und zarte, fast schüchterne Heraus arbeitung des Charakteristischen. Das kecke Drauflos stürmen ist der beschaulichen Andacht gewichen. Der Bildhauer Martini zeigt einige Plastiken, die sehr für seine Begabung und sein Wollen sprechen. In dem herben Bildnis seiner Mutter zeigt sich das am florentinisdhen Ideal ge schulte Können,- bei dem Jünglingskopf sucht der Künstler von der Tradition loszukommen und sein eigenes plasti sches Sehnen zu verwirklichen. Die Jungfrau von Or leans ist ganz auf Spannung des Nerv hin gearbeitet. Sonst ist Martini, im Gegensatz zu seinen malenden Gruppen genossen, kein Mann des Experiments, sondern ein Pla stiker, der fest in der Vergangenheit wurzelt, sich aber den Kopf für eigene Ideen frisch gehalten hat. Hugo Kubsch. <Deutsche Tageszeitung 8. IV. 21.) DADA VOR GERICHT Der Architekt, Schriftsteller und Führer der Dadaisten, Johannes Baader, der sich »Oberdada« nennt, hatte sich vor der Strafkammer des Landgerichts II unter Vorsitz des Landgerichtsrats Oertel wegen Beleidigung der Angehö rigen der Reichswehr zu verantworten. Mit ihm der Kunst händler Dr. Otto Burchard, der Kunstmaler George Groß, der Schriftsteller Herzfelde und der Kunstmaler Rudolf Schlichter. Im Juli und August hatten die »Dadaisten« im Hause Lützowufer 13 eine Ausstellung unter dem Titel »Erste Internationale Dadamesse« veranstaltet. Auf dieser waren auch folgendes zu sehen: An der Decke des Ausstellungs raumes hing ein ausgestopfter feldgrauer Soldat mit Offi ziersachselstücken und der Maske eines Schweinekopfes unter der Feldmütze. An der Wand stand ein aus schwar zem Leinen ausgestopfter Frauenrumpf ohne Arme und Beine, an dessen Brust waren ein verrostetes Messer und eine verbrochene Gabel angenäht. An der einen Schulter auch eine elektrische Klingel, auf der anderen ein Spiritus kocher. Am Hinterteil des Frauenkörpers befand sich ein Eisernes Kreuz. Ferner lag eine Mappe »Gott mit uns« aus, die Karikaturen von Militärs enthielt. Diese Mappe war im Malik-Verlag erschienen, dessen Inhaber der der Angeklagte Herzfelde ist, während die Bilder vom Angeklagten Groß stammen. Zu der schwebenden Puppe in der Ausstellung war folgende Anmerkung gegeben: Um dieses Kunstwerk zu begreifen, exerziere man täglich zwölf Stunden mit vollgepacktem Affen und feldmarsch mäßig ausgerüstet auf dem Tempelhofer Feld. Bei Beginn der Sitzung erklärte der Oberdada Baader, der Dadaismus habe es sich zur Aufgabe gemacht, kulturell schädlichen Sedimentbildungen entgegenzuwirken. Dies geschehe am besten durch den Humor, denn dieser fehle uns Deutschen am meisten. Der Zeuge Hauptmann Matthäi, der die Ausstellung besucht hat, hat den Eindruck gewonnen, daß die Aus stellung eine systematische Hetze gegen die Offiziere und Mannschaften des Heeres darstellte, Die Zeichnungen von George Groß in den Mappen enthielten nach seiner Über zeugung beinahe auf jedem Blatt in der Darstellung von Majoren, Offizieren und Unteroffizieren so infame und verabscheuungswürdige Verunglimpfungen, wie er sie noch nicht gesehen habe. Auf jedem Blatt standen drei Inschriften in deutscher, englischer und französischer Sprache,- zwei Ausländer, die mit ihm zugleich die Blätter besichtigten, hätten sich über die ganze Sache sehr gefreut. Die Angeklagten Groß und Herzfelde