196 Dada-Almanach. Nehmen Sie Dada ernst oder nicht, — es spielt nicht die geringste Rolle. Dada nimmt Sie ernst Das ist das Tragische. Der Bürger ist ver wirrt. Das Ich des Bürgers und geistige Rebellionen in seinem Götzenstaat waren ja schon immer die spaßhaftesten Kapitel in der Welt. In dieses Banalitätsgerümpel peitscht heute wiederum Dada ohne irgendein pathetisches Gänse füßchen. Schimpfen Sie, soviel Sie wollen,- Sie schaden der Affaire nämlich gar nicht, höchstens Ihrer Person, Ihrer Laufbahn, der Schiebung christlicher oder jüdischer Macher. Wer lacht, sich freut, platzt, den Profit einzieht: Dada. Der große Unbekannte, der bei Ullstein, Goethe oder Rathenau gleich gerne verkehrt. An allen Erdpolen, in allen Cafes, in allen Werkstätten, in der nobelsten Pressenotiz, in allen Laboratorien, in allen Appellen, in allen Reptil-Zentren, in jeder Zigarettenmarke lauert Dada. Andererseits hat diese ganze Bewegung nicht den schwächlichsten Ehrgeiz. Art nouveau <nach dem fixen, talentierten Tristan Tzara, der Schweizer Kritikern damals ihr »künstlerisches« Hand werk so unsagbar schwer machte) oder abstrakte Kunst. Doch das sind sehr alte Sachen, meint Richard Huelsenbeck. Dieser: Deutscher, Berliner, er geht weiter als die labilen Manifeste seines romanischen Kollegen, der immerhin in der rapiden Gleichzeitigkeit seiner kochenden Sensationen die schöne Geste wahren will. Für die Deutschen ist das »nur« Simultanität, seit Jahren von Italien her bekannt, und in nuce undadaistisch. Literatur, Kunst mit reichlicher Lichtreklame, lediglich bürgerliche Dinge, Flickwerk aus Hornbrille und feierlichen Gefühlen, eine Lehrbegabung für modern auffriesierte Idylle. Die deutschen Dadaisten, die den Wert <ohne Befähigungsnachweis) des Sinnlosen, des Zwecklosen, der pfuscherischen Korruption, die Müdigkeit und die kümmerlichen Abwehrreaktionen einer mystisch ekstatischen Kunst, von ein paar ehrlichen Kerlen Ex pressionismus genannt, theoretisch und praktisch tiefboh render erkannt haben, spotten auf das verrottete Halb dunkel der Romanen,- sie sind radikaler, revolutionärer, dabei unspekulativ wie einTelephonbuch und ein Aeroplan. Hinter dem Bluff der Kultur, eines zauberkünstlerischen Intellektualismus, der Reclambändchen, kirchlicher Exzesse, philosophischer Terminologie, Stoffwertung, Weltgefühl, ethischer Notbehelfe, Herzschwärmerei, hinter Dynastien, Menschenboykott, Bahnverkehr, Arbeiterräten, hinter dem menschlichen Verbesserungsstreben steht die absolut sach lich ernsthafte Skepsis des Dadaisten, der jedes Denksystem als müssig belanglose, private Impulsäußerung ansieht, der nur die praktische Hingabe an das Leben anerkennt und es ohne Programm im vollsten Umkreise zu genießen sucht. Des Dadaisten Philosophie, er wird sich natürlich sträuben von einer solchen zu reden, gipfelt in einem universalen Relativismus, in einem gelassenen ursprünglichen Nihi lismus. Er bietet in seiner dämonischen Ironie der Welt keine Angriffsflächen, wohl aber die eitle, logische, über empirische Welt ihm. Richard Huelsenbeck sagt in dem mit feiner Geistakrobatik zusammengestellten Dada-Almanach (Erich Reiß Verlag Berlin): »Dada ist kein Axiom, Dada ist ein Geisteszustand, der unabhängig von Schulen und Theorien ist, der die Persönlichkeit selbst angeht, ohne sie zu vergewaltigen. Die Frage: Was ist Dada? ist undada istisch und schülerhaft in demselben Sinne wie es die Frage vor einem Kunstwerk oder einem Phänomen des Lebens wäre.... Dadaist ist man, wenn man lebt. Lebensfrohe Realität, tänzerische Lebenstüchtigkeit prägt sich gleicher weise in den weiteren Artikeln des dadabunten Almanachs aus: bei Francis Picabia, Hans Arp (Künstler übrigens für deren Imperium andere starke Aufnahmefähigkeit ver rieten), Walter Mehring, Hans Baumann, Raoul Hausmann und anderen. Die Großmannssucht und schmutzige Phrase einer ganzen Weltepoche wird zu Grabe getragen, die mechanistische, atomistische, dynamische Wirklichkeit, ohne »schöpferisch erlebten« Durchbruch, ohne Widerstand und Hemmung wird in der Relativität aller Beziehungen und Konflikte als nackte, gegebene Manifestation selbstver ständlich hingenommen. Der Dadaismus ist bei alledem fabelhaft tolerant. Sie können weiter Fußball spielen, Sie können weiterhin Antiquitäten beschnüffeln oder buddhi stische Klöster errichten, Sie können nach wie vor jede Ex pansion pflegen,- denn Dada haßt den billigen Doktrina rismus jeder Form. — Nehmen Sie Dada ernst, bevor jeder Zeitungsschmock und jedes Stubenmädchen ihre humorvolle Bilanz daraus gezogen haben, dann ist die Sache schon längst vergessen, und aus der Verwesung heraus wird Sie der geniale Berliner Zeichner George Groß mißtönerisch belächeln. Ein kluger, tüchtiger Kopf Otto Flake schrieb ein seltsames Ideenbuch von enormer Geschwindigkeits zunahme »Ja und Nein«, Roman, ein Buch der Operationen, der Bindungen von Straffheit und Erregbarkeit. Ohne Dada nachzeichnend zu erläutern, wird von Dada in der histo rischen Physiognomie fortwährend erzählt. Ein ernsthaftes Werk der Desillusionierung Die Dadaisten be haupten, unsere Zeit sei dadareif. Man wird ihnen glauben. Rudolf Utzinger. Eingelaufene Bücher, die in späteren Heften des »Ararat« besprochen werden: E. v. Sydow: Die Kultur der Dekadenz. Sybillenverlag, Dresden 1921. Ernst Württenberger: Zeichnung, Holzschnitt und Illu stration. Benno Schwabe, Basel. A. Efross u. J.Tugendhold: DieKunst Marc Chagalls. Kiepenheuer, Potsdam 1921. F. M. Huebner: Die neue Malerei in Holland. Klink- hardt SD Biermann, Leipzig. Junge Kunst, Klinkhardt 'S) Biermann, Leipzig. 5. Serie: Heinrich Campendonk, von G. Biermann,- Emmy R o e d e r, von A. Kuhn,- Oskar Moll, von H. Braune Krickau; Maria Uh den, von O. M. Graf,- George Grosz, von W.Wolfradt,- Marie Laurencin, von H. v. Wedderkop,- Max Unold, vonW.Hausen- stein,- Erich Waske, von J. Kirchner. Oskar Jespers: Bezette Stad. Siengaal, Amsterdam 1921. Marcello F a b r i: l'inconnu sur les villes, roman des foules modernes. Povolozky SD Co., Paris 1921. M. A. Aldanov: Sainte Helene, Petite ile (Traduit d. manuscrit russe parM. Hirschwald). PovolozkySDCo., Paris 1921.