231 4 nach Formeln zu suchen, um die Künstler, von denen geredet werden soll, in das Gewebe einer billigen Systematik einzuzwängen. Es handelt sich um eine Kunst, ältestem Kulturboden entwachsen. Wien besitzt eine der frühesten Opernbühnen,- venetianische Tonkünstler haben im Dienste des Hofes Kirchenkonzerte und Oratorien gegeben, Neapolitaner ihre leichten Singspiele, Gluck seine Opern. Noch stehen die Häuser, in denen Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert gelebt haben. Die älteren dieser Generation kannten Brukner und Brahms,- die jüngeren sind mit dem Erlebnis Gustav Mahlers aufgewachsen. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts war, wie in den endlosen Künsten eine Zeit äußerer Stagnation, in der sich aber Bedeutsames vorbereitete. Doch es fehlte an einem Halt gegen den Widerstand einer bequemen Mittelmäßigkeit, an einer führenden Gestalt. Das entscheidende Ereignis, einer neuen, sich allmählich vorbereitenden musikalischen Bewegung Form und Führung zu geben, war die Berufung Gustav Mahlers zum Direktor der Wiener Oper im Jahre 1897. Nicht daß Mahler selbst als Komponist richtunggebend gewesen wäre,- damals hatten nur die wenigsten eine Ahnung von der Bedeutung dieses Musikers, der seine dritte Sinfonie beendet hatte, und die große Wandlung der vierten durchlebte — aber seine Art an ein Musik- werk heranzugehen, es innerlich sich ganz zu eigen zu machen und mit dem Feuer seiner Leiden schaft zu durchglühen, war so neu, [so elementar, daß alle jungen Musiker in ihm ihren Leitstern sahen. Er brachte Bewegung in das konservative Getriebe der Stadt, er interessierte für alles Neue, und seine Persönlichkeit hatte etwas so Bindendes, daß die verschieden artigsten Musiker sich zusammen schlossen und die Vereinigung schaf fender Tonkünstler gründeten, die 1904 und 1905 zum erstenmal kon sequent für die neue Bewegung eintrat. Damals ging noch der Streit um Richard Strauß, um Max Reger,- begann der Streit um GustavMahler und Arnold Schönberg. Einem späteren Chronisten wird das leidenschaftliche Interesse Mah lers für Schönberg bei der völligen Disparatheit ihres Stiles kaum ver ständlich sein. Es war eben kein Gemeinschaftsgefühl, das die beiden zu einander führte, sondern das Gefühl beider, in dem anderen einer starken Persönlichkeit zu begegnen, deren Wirken, was immer sie tue, geachtet und respektiert werden müsse. Mahler hatte nie direkte Schüler, aber um Alexander von Zemlinsky Egon Schiele Aquarellierte Zeichnung