247 J BLIND LESBIERINNEN Tag um Tag stirbt — ich bin? Wo geht meine Zeit denn hin? Traum versank, Nacht ist Spiel, Schlaf das Gut, Tod das Ziel. Erde, Stern klingt nur so, Ort ist Ort, wer weiß wo? Albert Ehrenstein. DER MILDE HERBST VON ANNO 45 Ich Uralter kann’s erzählen, wie der Herbst durch jenes Jahr Wie ein Strom rann und ein Spiegel hundert Abendröten war. An Obstbäumen lehnten Leitern, knackten unter Eil und Fleiß, und die Kinder schmausten immer, und die Kranken lachten leis. Auf dem Boden rochs nach Äpfeln, in den Kellern feucht nach Wein, und wer eine Sense ansah, dem fiel doch der Tod nicht ein. War ein Herbst so lang wie jeder; Sonne sinkt und Stunde schlägt; doch an jedes Leben, schien uns, war ein Kleines zugelegt. Max Mell. MELANCHOLIE DES ABENDS — Der Wald, der sich verstorben breitet — Und Schatten sind um ihn, wie Hecken. Das Wild kommt zitternd aus Verstecken, Indes ein Bach ganz leise gleitet Und Farnen folgt und alten Steinen Und silbern glänzt aus Laubgewinden. Man hört ihn bald in schwarzen Schlünden — Vielleicht, daß auch schon Sterne scheinen. Der dunkle Plan scheint ohne Massen, Verstreute Dörfer, Sumpf und Weiher, Und etwas täuscht dir vor ein Feuer. Ein kalter Glanz huscht über Straßen. Am Himmel ahnet man Bewegung, Ein Heer von wilden Vögeln wandern Nach jenen Ländern, schönen, andern. Es steigt und sinkt des Rohres Regung. Georg Trakl. Wenn abends Heimkehr endlos durch die Gassen geht, Erhebt ihr euch von eurem täglichen Gerät. Zwei süße Näherinnen, noch vom Radgesang umspült, Jetzt wandelt ihr, von Wind und Müdigkeit gekühlt. Entfacht daheim, ihr Kinder, euren Samowar, Und löst das leichte luftverspielte Haar! Wie ruht der kleine Mond- und Lampenkreis Auf Wand und Boden eures Zimmers weiß! Nun gebt den Glanz der langen Glieder frei, Umschlingt euch langsam, haltet euch ihr Zwei, Und zu des Himmels nachtverebbtem Strahl Schweb’ eurer Küsse schwärmerische Zahl! Für andere zieht nach Arbeits Fluch und Pein Ein Abend blaß und aller Armut ein. Wenn alle an zerwalkten Tischen stehn, Euch ist bereitet Schönheit und Vergehn. Nun geht im Haus der biedere Verräter um, Die Nachbarinnen sind euch höhnisch stumm. Doch ist auf jeder Lippe Tod und Rache da, (Oh der verruchten Küsse angeklagte Kette!) Schlaft ein, Schlaft ein in eurem Bette! Dem tausendfachen Geist der Liebe seid ihr nah. Franz Werfel. ELEGIE Am braunen Ufer weideten die Lämmer. Geschultert den Stab und alternd, Zog unter Bäumen Der Hirte. Oh siehe, — inmitten von Wolkengebirgen Die Blume des Mondes! Wir sahen den Flößen nach, den Schiffern, Mit Abenteuer am Steuer gelagert, — Und andere schliefen schon. Wenn je dich Bitte erreicht, So bleibe im Arm mir, Bleib mir am dämmernden Herzen, Geliebte Muse! Denn ach, beglückender kommst du, Doch seltener immer. Löse noch einmal mit Küssen Den dienenden Mund. Laß mich nicht! Laß verklingen mich nicht! Hochzeitlich spielet der Knabe die Flöte. Wenn kalt der Schatten Herabsinkt, Wirft er sie fort. Otto Zoff.