H. M. DAVRINGHAUSEN KA- RAMASOFF. Neun Steinzeich nungen. München. 1920. Goltzverlag. <120 Exemplare, davon Nr. 1—20 als Vorzugsdrucke.) Es kann keine Rede davon sein, die Karamasoffs zu illustrieren. Zu tief ist das Erlebnis Karamasoff jedem, der sich ihm hingeben konnte, ins Herz geschrie« ben, als daß Bildwerke Vertiefung oder Ergänzung bewirken könnten. Hier kann es sich also niemals um allgemein« gültige, künstlerische Interpretationen handeln, sondern um den subjektiven Ausdrude eines sehr empfindsamen Ge« mütes, das gedrängt wird, sich von dem Drucke eines tiefen Erlebnisses durch Formulierung zu befreien. Es ist also vorerst Davringhausen, den wir sehen, es ist die, es sei im vorhinein gesagt, außerordentlich und erstaunlich unlite« rarische gelungene Lösung einer sehr verpflichtenden Schuld, der wir hier in erster Linie begegnen. Davringhausen hat sich vom rein Äußerlichen des russi« sehen Milieus stark emanzipiert,- er ist der Klippe des Illustrativen geschickt ausgewichen und hat die ganze Kraft des Ausdruckes auf das rein Schicksal« hafte und Tragische der Gestalten und Situationen beschränkt. Die lebhafte Handlung ist vermieden, das Kontinu« um der Erzählung auf die latenten Momente zurückgeführt, die alles ver« gangene und zukünftige Geschehen in sich enthalten. Alles Dargestellte dient dieser Aufgabe und auch das Nebensächliche ist voller Hinweis und voller Bedeutung. Hervorge« hoben sei das Blatt mit der Darstellung des Schlaf« zimmers des alten Karamasoff. Das Zimmer ist leer, durch die geöffnete Tür dringt der grelle Mond und bescheint einen in der Mitte des kahlen Raumes stehenden Stuhl an dem noch die ganze Person« lichkeit des Ermordeten zu haften scheint, Auf diesem Stuhl saß der Alte in fieberhafter Er« Wartung Gruschenkas. Nun steht er verlassen und der unselige Greis liegt irgendwo in der Stille dieses unheimlichen Raumes, den Lüsten seines gierigen Lebens auf immer entzogen. Die auf die einfachsten Verhältnisse zurückgehende Wirkung dieses Blattes ist außerordentlich, sie ist wie auch bei den übrigen Blättern vornehmlich auf die besonders gesteigerte metaphysische Ausdruckskraft des Raumes gegründet. Dieses Hervortreten des Raumes in dem alles Fort« schreitende und Gewesene zum Zustand erstarrt, Bildnis Frau M. <Cemälde) <Aus der Herbst-Ausstellung 1921, Hans Goltz) legt vielleicht manchem die Versuchung nahe, dem Künstler Mangel an Temperament vorzuwerfen. Es schlöße indes dieser Tadel eine Identifizierung von Temperament und Handlung in sich, die als Beweis sehr oberflächlicher Betrachtungsweise dienen müßte. In den Karamasoffs ist alles Geschehen Ausfluß eines unerbittlich vorgeschriebenen Schicksals, es ist, banal gesprochen, die Seele Rußlands, die unaufhaltbare Energie der »rasenden Troika«, die sich hier in den drei äußerlich ungleichen und doch im Wesen so ver« wandten Brüdern individualisiert und auswirkt, Es ist daher Davringhausen wohl im Recht, wenn er, der Aktion ausweichend, das Zuständliche, das in sich Abbild des Gewesenen und,Werdenden birgt, in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellt, wenn er die Kraft des Geschicks, das zwischen Gewirktem und noch zu Wirkendem einen Augenblick wie der Pendel« Schwung verweilt, in bildhaften Ausdruck zwingt. Guido Kaschnitz. 27ü