312 Licht. Und irgendwoher kennen wir diesen Mund, diese weichen Lippen voll Blut und Geheimnis. Und irgendwie bekränzten wir schon einmal ein Haupt so schön und königlich. Und die Augen entzücken uns ganz. Ob unsere Mutter so einher blickte, als wir in ihrem Leibe saßen und von ihr zehrten,- ob unserVater uns so ansah, als wir das erstemal zu toll waren,- ob Frauen uns so ansahen, als wir sie liebten oder haßten, als wir sie verließen oder verlassen wurden,- oder ob wir selbst so ausschauen, wenn wir nichts mehr begehren und wenn wir wissen, daß Glück ein albernes Wort ist. Das alles läßt sich nicht genau sagen. Aber das Zeichen an der Stirne, das sahen wir noch nie,- diesen kleinen Hügel, diese kleine Brustwarze, diesen großen Edelstein, das Urna. Nein, das ist von einer anderen Welt. Und ist der ganze Leib nicht auch von einer anderen Welt? Er ist ja gar nicht schön! Er ist grausam. Nein, er ist schon nicht mehr grausam. Er vergeht,- er ist ein Trug,- er verbrennt, ver- flammt. Wir sind verfangen, wie Verliebte. Wir brennen auch,- wir sehen ihn nicht mehr. Alles wächst, wächst,- schon sind wir an der letzten Grenze. Nur noch eine tote Fahne im leeren Raum der Jahrtausende. Die Welt ein verlassener Steinbruch bei Nacht. Es war keine Figur,- war ein dunkler Brunnen, war eine Sekunde Schlaf, war ein Stern, ein Regenbogen. Wir können uns nicht mehr halten, uns nicht mehr bewahren. Ach, wir wollen nicht mehr an uns halten. Irgendwo ist noch ein ferner Duft einer Blüte, der Gruß eines Leibes, dann ist Licht und Dunkel Eins. Das Lächeln verschwindet. Der Tod wächst über das Leben hinaus. Noch ist die Stille ein lautes Donnern. Aber dann wissen wir nichts mehr. Die Flamme ist ausgelöscht. Und irgendwo stehen wir nach Jahrtausenden als eine Kwannon in Holz — ohne Arme — stehen sogar im dunkelsten Gelaß in einem Tempel oder bei einem Händler in Nara. Dann kommt ein gräßlicher Mann aus Europa und photographiert uns, und sagt, es sei eine Figur aus dem achten Jahrhundert, aber die Füße seien ergänzt. Aber es ist der Sinn der Kwannon Allen gerecht zu werden und nahe zu sein, wer auch kommen mag und wer es auch sei. Überall zu sein und zu erscheinen als Bild und als Wesen und als Hinweis. Alle dürfen sie berühren und sie hinnehmen — dies himmlische Freudenmädchen —- und ihren Trost finden in ihr oder die Lüste der Schönheit stillen. Es kommt nicht mehr auf sie an, sondern auf die Menschen, deren Seelen noch nicht gebunden sind an Gott.