317 Der Ararat Zwischen Ararat und Alägös. Natur, Mensch und Kunst Von Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien Die trostlose Ebene Armeniens lag hinter uns. Nun saßen wir in den Weingärten des Bischofs bei Etschmiadsin und genossen in Mengen die Trauben, deren er vierzig Arten zog. Vor uns das Tor Persiens, die weite, fruchtbare Ebene Erivans und über ihr in der Ferne, wie eine mächtige Pyramide der Ararat, die schneeige Spitze in den charakteristischen fluoreszierenden Farben des Abendhimmels dieser Landschaften. Die Grenze zweier Kulturbereiche wurde, wie selten sonst, fühlbar. Hinter uns das Hochland, dessen graue, lavaübergossene, baumlose Fläche mit den armseligen Dörfern wir durchquert hatten, beherrscht von dem breitgelagerten Alägös, dessen erloschenen Krater die schneebringenden Nebel des nahenden Hochlandwinters umlagern. — Hier unten tausendfältige Frucht in den üppigen Gärten und Feldern, vor uns die Stadt, Erivan mit Park, Gärten, Alleen und Wasserläufen, der Orient mit der Märchenhaftigkeit der Oase. Ein unge heuerer Kontrast in diesen beiden Landschaftsbildern, und ein ungeheuerer Kontrast im gegen= wärtigen und historischen Leben dieser Sphären. Dort in dem ärmlichen Hochland mächtige Ruinen erstorbener Städte und Burgen, alte, in den ersten Jahrhunderten des Christentums entstandene Kathedralen und die Basaltdenkmäler mit den Keilschriften der Urzeiten. Dauer und Beharrung scheinen diese festgefügten Monumente zu sprechen, der Wechsel der Jahrtausende kaum merkbar, immer in denselben strengen Formen sich auslebend. Durch die steilen Ränder abgeschlossen von den reichen Landschaften des Südens und Nordens und in das rauhe Klima der Höhenzone emporgehoben, wird das Geschick Armeniens in zweifacher Richtung bestimmt: Höchst gesteigerte Eigenlebigkeit und Selbständigkeit, die den Drang nach Freiheit und dem Festhalten am Überkommenen auslösen, auf der einen Seite —