323 Ableitung oder sichtbare Verstrebung. Ihren Gipfel erreicht diese abstrakte Komponente der Baugesinnung in dem Zellenwerk der Decken und Gesimse. Kubische Körper bauen sich in streng gewinkelten Flächen übereinander, an sich abstrakte Kristallgebilde und durch die durchs gehende Spiegelverkleidung ins Irrationale gehoben. Kubistisch-kristallinisch auch die Umran^ düng der Springbrunnen in den Hallen, geometrisch-überorganisch auch das unendlich wieder* holende Muster des Gitterwerks der Glaswände. Und doch ist all diese Abstraktion, all diese Übergesetzlichkeit kaum fühlbar, der Mikrokosmos einer üppigen Natur überspinnt das Anorganische. Hier sind es Blumensträuße, dort Sträucher mit Vögeln, die in lebensvollster Darstellung die Panneaux füllen, oder die ganze Blütenpracht von Rosen, Nelken, Tulpen und Violen ist über die Decke gebreitet. Und doch immer wieder der Kampf des Abstrakten mit dem Organischen. So naturwahr die Einzelheit, so geregelt das Ganze,- Symmetrie und Gegenständigkeit bannen die Naturerscheinungen in die Fläche, arabeske Führungen mischen sich unter das Vegetative. Anderseits wieder erhält der geometrische Flächen zierrat der Bogenstirnen und Laibungen durch Rundführungen und Verknotungen den Charakter eines vegetabilen Gerankes. Und selbst dort, wo sich das Organische zur Darstellung der mensch lichen Figur verdichtet, wo das persische Naturempfinden selbst europäischer Modellierung und landschaftlicher Vertiefung Aufnahme gestattete, findet sich daneben die kubistische Aufteilung der Figuren, kantige Bindung der Gliedmassen, überpersönliche Gesetzmäßigkeit statt individuelle Illusion. Kaum irgendwo ist das Nebeneinander zweier so verschiedener künstlerischer Geistig keiten so zu einer Einheit verschmolzen, wie hier in diesen persisch=türkischen Palästen und Moscheen,- aber beide Richtungen haben dabei ihre Reinheit eingebüßt, das Naturempfinden wurde zum Ornament, die einfache anorganische Gesetzmäßigkeit zur wuchernden Spekulation. Der Wechsel des Lebens schafft das Nebeneinander der Extreme und gebiert aus deren Durchdringung ein Neues, Wandelbares. Wo liegt das Gültige? — Ist es das Beharren im Glauben, das Festhalten an überpersönlichen Gesetzen, das sich Bescheiden im Makrokosmos, oder ist es der ewige Wandel, das sich Erneuern, das persönlich liebevolle Eindringen in die Welt der kleinen Schönheiten, oder die objektive Reflex xion des Verstandes? Ist es Schicksal, dem wir unterworfen sind, oder Kausalität, nach der wir Kleinen die Dinge ordnen? Wir suchen Asien, weil wir dort die großen Gesetze ahnen, und doch ringt in uns das Persönliche nach Ausdruck. Aber auch in Asien gilt die Frage: Beharrung oder Wandlung? — Der Mensch ist an die Natur gebunden,- ob er in ihr die ewig bleibenden Gesetze fühlt oder Wandel und Erneuerung erkennen will, gilt gleich: Es sind nur Formen des Lebens und Erlebens: Asien oder Europa, Alägös oder Ararat. Geisterfeste im buddhistischen Birma Völkerkundliche Notizen aus Oberbirma Nr. VIII) Von L. SCHERMAN, München Die Abrundung des britisch*indischen Kolonialbesitzes nach Osten zu ist den Engländern mit Verhältnis* mäßig leichter Mühe gelungen, und seitdem im Jahre 1885 mit der Absetzung des jämmerlich unfähigen birmanischen Herrschers diesem politischen Bau der Schlußstein eingefügt wurde und das ganze Birma sich an das große indische Kaiserreich anlehnte, hat die indochinesische Grenzzone der britischen Verwaltung keine besonders schwierigen Probleme zu lösen gegeben, Vorübergehende Rivalitäten mit Frankreich um Siams und der angrenzenden französischen Sphäre willen, Strafexpeditionen, die etliche hundert englische und nicht viel mehr indische Soldaten aufboten, um unruhige Bergstämme an den Flanken Birmas zur Raison zu bringen — das alles waren Maßnahmen, die gegenüber der Tatkraft, mit der man das Verhalten der muhammedanischen Nachbarn im Nordwesten zu verfolgen gezwungen war, herzlich wenig bedeuteten.