324 Man haftet an der Oberfläche der Dinge, wenn man die entscheidende Ursache für die Nachgiebigkeit der birmanischen Bevölkerung — oder heben wir aus ihr besser gleich die Birmanen und die Shan heraus als die* jenigen Stämme, die hier das Niveau der Kultur bezeichnen — im Buddhismus sieht. Beide Völker haben schon in der Zeit Marco Polos und noch früher recht wohl verstanden, die Waffen zu führen und um den Besitz von Land und Kultheiligtümern ohne Rücksicht auf Stammes* und Religionsgemeinschaft harte Kämpfe auszufechten/ ja selbst das, was wir heute imperialistische Politik zu nennen gewohnt sind, war jenen Jahr* hunderten nicht fremd, wenn auch solche Versuche meist in den Anfängen stecken blieben. Eigenbrödelei und nationaler Dünkel hemmten einen kräftigen Aufstieg, und dieselben Eigenschaften sind es, die den Birmanen auch heute, nachdem ihm die britische Oberherrschaft die Sorge um Krieg und Frieden abgenommen hat, im wirtschaftlichen Wettbewerb mit den großen Kulturnationen im Osten und Westen, den Chinesen und Indern, ins Hintertreffen geraten läßt. Urteilskraft und weitsichtiges Dispositionstalent sind nicht die starke Seite des Birmanen, der gerne den Dingen ihren Lauf läßt und, so lange es geht, den Hauptteil an Arbeit und Ver* antwortung den energischen und geschäftsklugen Frauen zuschiebt, die man mit Fug und Recht als das »Rück* grat des Landes« bezeichnet hat. All das tut jedoch den Sympathien keinen Abbruch, die man dem Birmanen wegen seiner liebenswürdigen menschlichen Eigenschaften entgegenbringt. Der Engländer, der alles in allem sich doch stets gegen den Inder kühl bis ans Herz abschließt und recht wohl weiß, warum er den Europäer in Indien als Halbgott respektiert zu sehen wünscht, bewegt sich im kastenfreien Birma viel ungezwungener,- er tritt als Beamter wie als Reisender den Eingeborenen persönlich näher, und in Büchern, in denen landes* kundige Briten ihre Erfahrungen und Erlebnisse schildern, gibt sich das verständnisvolle Mitempfinden mit den Freuden und Leiden des harmlos fröhlichen Volkes und die Wertschätzung des Birmanen alten Stiles als »Gentleman« frank und frei zu erkennen. Dem Leser schlägt ein herzlicher Unterton entgegen, wie ihn die ganze große Literatur über das vorderindische Dreieck nur höchst selten hervorquellen läßt. Aber auch die nüchtern rechnende Regierungsbehörde sucht den Birmanen vor den Gefahren, die ihm als dem wirt* schaftlich minder Gewandten drohen, zu schützen und ihm vor allem die Scholle seines Landes, deren Bebauung ihm der liebste Lebensberuf ist, zu sichern, indem sie Ansiedlungsbeschränkungen für die chinesischen und indischen Einwanderer aufrecht erhält. Diese Vorliebe für Birma kann uns gewiß nicht Wunder nehmen, wenn wir den großen Abstand ermessen, der den brahmanischen Hindu und den buddhistischen Birmanen in seiner sozialen und religiösen Grund* anschauung trennt. Die Erhabenheit über jeden Zwang der Kaste — für die Lösung von diesen Fesseln greift nach allerneuesten Berichten in dem Indien der Nachkriegszeit vom Himalaya bis zur Tamilbevölkerung Südindiens und Ceylons eine ungeheure Bewegung um sich! — gönnte dem Birmanen von jeher eine ganz andere individuelle Freiheit und schuf insbesondere der Frauenwelt eine Möglichkeit zur Auswertung vor* trefflicher Charakteranlagen, wie sie Indern und Muhammedanern unter dem Druck gesellschaftlicher und religiöser Vorschriften nie und nirgends geboten war. Die lehrreichen Parallelen, die man hierzu bei tibetobirmanischen Stämmen abseits hoher Zivilisationsstufen findet, stellen wiederum ein Warnungs* Zeichen auf, diesen Vorsprung in der Einschätzung der Frau einseitig zu Gunsten des Buddhismus zu buchen. Nicht als ob dessen Verdienste geflissentlich verkürzt werden sollten! Sie sind ja handgreiflich für jeden, der in Birma — und im eng verwandten Siam ist es nicht viel anders — Berührung mit dem Volke sucht und sein Alltagsleben oder seine Feste beobachtet. Naive Fröhlichkeit ist es, die hier alles durchzieht sogar die Trauerfeiern. Man hat es verstanden, den pessimistischen Grundzug des Buddhismus, den man überhaupt in Europa erheblich zu überschätzen geneigt ist, in die äußerste Ecke zu drücken und seinen Gleichmut gegen» über Armut und Tod in heitere Lebensfreude umzustimmen. Welche Kluft scheidet den Tempeldienst der fanatischen Orthodoxie indischer Vishnu» und Siva=Gemeinden von den rührend einfachen Riten, auf die sich der Buddhakult in den birmanischen Sanktuarien beschränkt! Dort markerschütternde Musik von Hörnern und anderen Lärminstrumenten, pomphaft aufgeputzte Götter» bilder, die zumeist eher Furcht und Schrecken, als Vertrauen und Liebe einzuflößen geeignet erscheinen, und feindlich»scheues Fernhalten aller Nicht*Hindu vom Innern des Heiligtums und von den Kulthandlungen —- hier das nervenberuhigende, Hoheit und Demut paarende Buddhabild, dem stille Andächtige mit Blumen» gaben und ruhigen Gebeten huldigen, ohne an irgendeinem Fremden, der die einfachsten Gebote des Taktes beobachtet, Ärgernis zu nehmen.