335 wesentlichen morphologische Methode, können jene letzten, für die Kultur-und Geistesgeschichte der Menschheit wirklich bedeutsamen, ja entscheidenden fachmännischen Resultate gewonnen werden, die das letzte Ziel jeder wahren Wissenschaft sein sollen. Neben den völlig neuen Ergebnissen dieses Buches, das ja auch nur als der Bodensatz einer dreißigjährigen Forscher^ und Lehrtätigkeit möglich war, erscheinen die bisherigen Ergebnisse so untergeordnet, so ganz nur fleißige, wenn auch unerläßliche Kcmplikationen, daß die Notwendigkeit dieser neuen Methode jedem Ein sichtigen zur Überzeugung werden muß. Freilich aber ist es mit der Methode allein nicht getan, um zu solchen Resultaten zu gelangen, die mehr als Wissenschaft, schon eine Weltanschauung darstellen, nicht ersessen, nicht zusammengelesen, sondern durch langjährige Arbeit erlebt werden müssen. Während solche historische Arbeiten in die scheinbaren Widersprüche und Rätselhaftigkeiten eines Spezialgebietes Klarheit zu bringen suchen, ist es der systematischen Forschung Vorbehalten, zum Wesen der künstlerischen Erscheinungen vorzudringen. Als Grundlage und Rückgrat der Forschungsarbeit am Institute hat deshalb Strzygowski ebenfalls auf Grund jahrelanger Erfahrung und der mit seinen Schülern durchgeführten Seminarübungen die oben genannten fünf Kategorien aufgestellt, deren Anwendung einerseits die erschöpfende Behandlung jeden Stoffes ohne Ver nachlässigung einer wichtigen Qualität garantieren, andererseits das notwendige Gerüst ver gleichender Arbeiten bilden. Denn nur so können letzte Resultate gefunden und vollgültige Wesensbestimmungen aufgestellt werden, die ja doch meist darin gipfeln, daß ein Kunstwerk mehr durch seine Gestalt, das andere mehr durch seine Form, das dritte durch seinen Inhalt hervorragt und die schließlich — so banal dieser letzte Schluß erscheinen mag — mit zwingender Logik jener künstlerischen Schöpfung oder jenem Komplexe solcher einen höchsten Rang zuer kennen müssen, die alle Qualitäten im höchsten Maße erfüllt. Allein dies ist — das sei ausdrücklich betont — nicht der Zweck dieses Systems und seiner Anwendung,- fern stehen uns solche aka demische, den künstlichen Genuß beeinträchtigende letzte Urteile, nur ihre logische Möglichkeit war zu erwähnen. Die fünf Qualitäten waren durchaus nicht neu, vielmehr alte Begriffe, mit denen die Philosophie und besonders die Ästhetik seit langem operieren. Was daran fehlte, war jedoch die reinliche Scheidung und Formulierung der einzelnen Qualitäten, durch die ihre folgen richtige Anwendung erst gewährleistet wird, und zweitens ihre systematische Zusammenfassung, die allein die Vernachlässigung der einen oder anderen Kategorie verhindert. Die individuell willkürliche und daher sich fortwährend widersprechende, sowie die nur teilweise Anwendung dieser Gesichtspunkte war die schwache Seite der bisherigen Kunstwissenschaft. Es gab Jahr= zehnte des »Gegenstands« und Jahrzehnte der Formprobleme <die mit Fragen der »Gestalt« konstant verwechselt werden) und wir scheinen heute in einem Zeitalter des »Inhalts« zu stehen, kurz eine Qualität löst die andere in der Überwertung ab —- eine Einseitigkeit, die wir wohl der autonomen Kunst, keinesfalls aber der Kunstforschung zugestehen dürfen. Die Konsolidierung und saubere Ausgrenzung der genannten Qualitäten ist freilich schwieriger als es scheint und bildet nach wie vor eine Hauptarbeit des Wiener Instituts, die häufig im Vereine mit den besten Kräften der Literatur^ und Musikwissenschaft betrieben wird. Es scheint übrigens, bei läufig gesagt, daß gerade auch den beiden letztgenannten Wissenschaften diese Methode besonders zusagt <vergl. L. Potpeschnigg Planmäßige W esensforschung in der Dichtkunst, Neue Jahrbücher 1917, II. Abt., XL. Bd., bei Teubner in Leipzig). Es braucht kaum gesagt zu werden, daß das Institut unter der Leitung einer Persönlichkeit wie Strzygowski nicht ein für alle Male seine feste Gestaltung gefunden hat, an der zähe festgehalten wird. Die oben gegebene Einteilung ist die ursprüngliche, die bei der nächsten Neuaufstellung auch eine neue Gestaltung mit Berücksichtigung der inzwischen neu gewonnenen, grundlegenden Faktoren erfahren dürfte. Die Kunst der nordischen Völker, sowie die Kunstgeographie — ein Fach, das H. Glück mit Vorliebe pflegt —■ werden darin ihre besonderen Abteilungen bekommen müssen. Ernst Diez.