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weithinausschweifendsten unserer modernen
Dichter, Paul Sdieerbart, schwärmte, und daß
wir einander ganz barocke, gar nicht philister
hafte Briefe schrieben.
Ich malte ungefähr 20 solcher Bilder und die
wenigen Freunde, die sie bisher sahen, waren
sehr erstaunt, vermochten sich aber zu diesen
monströsen Ausbrüchen noch nicht klar zu
stellen. Nur so viel, man wollte abwarten!
Und ich war um eine Hoffnung ärmer! Denn
als der neue Rausch vergangen war, mußte ich
mir selbst sagen, daß dieses System unmög^
lieh die Basis zu einer dauernden Weiterarbeit
abgeben könne.
Bei meiner Arbeit war ich wieder an einen
Wendepunkt gekommen. Aller Formen- und
Farbenexperimente war ich überdrüssig und griff
nun zu dem vollkommensten Gegensatz meiner
Arbeitsweise, indem ich mich an die flächige und
harmonische Kompositions weise der jungen fran
zösischen und deutschen Künstler hielt, die von
Gauguin ihren Ausgang genommen haben. Ich
verzichtete auf alle Originalität, ich wehrte mich
sogar mit aller Kraft dagegen. Alles was ich
anstrebte war, schlicht und in aller Demut der
Kunst zu dienen.
Bei einem Besuch in München lernte ich, wie
gerufen, den Benediktinerpater Willibrord Ver^
kade kennen, welcher ein persönlicher Freund
Gauguins und seines Kreises gewesen war.
Dieser moderne Maler im geistlichen Gewand interessierte sich warm und auf die liebenswürdigste
Art für meine Produktion und schickte mir auch zu meiner Unterstützung eine Kiste mit Studien
der Denis, Bonnard, Serusier, Filiger u. a., dem Kreise Angehöriger nach Zwickledt. So kam ich
in dieses mir eigentlich fremde Fahrwasser und unterwarf mich willig der Suggestion, im Grunde
aus bloßer Lust am Gegensatz.
Eines Tages geschah es, daß mir war, als hätte ich mich dadurch in eine Zwangslage begeben,
und in einem Nu warf ich alles so schön Aufgebaute um und geriet in einen moralischen Katzen
jammer, dem leider auch ein physischer folgte, denn ich bekam eine langwierige Darmkrankheit.
Um diese Sorge von mir abzuschütteln und um Hypochondieren zu entgehen, machte ich im
Herbst 1907 eine Reise, die mich bis Bosnien und Dalmatien brachte.
Beim Zurückkommen erkannte ich dann mit wahrem Entsetzen, daß mein seit einiger Zeit
kränkelnder Vater raschen Schrittes dem unabwendbaren Tod entgegenging. Er starb am2.Novem-
ber 1907. Den Eindruck dieses Verlustes habe ich bis heute noch nicht überwunden. Ich muß
jede Erinnerung daran mit Gewalt unterdrücken. Meine äußere Lage wurde damals noch ver
schlimmert durch die neuerliche schwere Erkrankung meiner Frau, die zu ihrer Genesung verreisen
mußte. Ich blieb also ganz allein in Zwickledt und meine trübselige Einsicht verscheuchte jeden
Funken von Arbeitslust. In jenen schweren Tagen verkohlte gewissermaßen der größte Teil meiner
Die Erzeugung des Homunculus