135
Beim Essen nahm Rodin eine Olive zwischen
Daumen und Zeigefinger: »Davon lebten die
Griechen! Von einem Stück schwarzen Brotes,
einem Ziegenkäse und dem Wasser aus dem
nächsten Bach. Wie glücklich waren die Griechen
in ihrer Armut und welche Wunder haben sie
uns hinterlassen .... Ich glaube, ich habe end
lich entdeckt, woraus alle diese Meisterwerke
gemacht wurden. Das Geheimnis der Griechen,
es liegt in ihrer Liebe zur Natur .... Natur!
Wenn ich sie, auf denKnieenvor ihr, beobach
tete, habe ich immer meine schönsten Stücke ge
macht. Man hat mir oft vorgeworfen, meinem
„Homme qui marche" keinen Kopf gegeben zu
haben,- aber läuft man etwa mit dem Kopf?«
Renoir: »Haben Sie das Russische Ballet ge
sehen?«
Rodin: »Welche Tänzer, diese Russen . . . .
Ich ließ einen von ihnen Modell stehen, auf einer
Säule .... ein Bein zurückgebogen, die Arme
vorgestreckt. Ich wollte eine Gottheit machen,
die auf fliegen will. Aber an diesem Tage hatte
ich die Gedanken anderswo, ich träumte von
den Griechen .... Und, nach und nach, verfiel
ich in Schlaf, den Tonklumpen in der Hand.
Plötzlich fahre ich auf: Mein Modell hatte seine
Pose verlassen \ ... . ohne weiteres verlassen!
Wo ist die Zeit, da der Künstler noch Rechte
hatte! Irgendjemand erzählte mir die Geschichte
des antiken Bildhauers, der einen von den Hun
den zerfleischten Aktäon machen wollte, und
auf sein Modell eine Meute ausgehungerter
Hunde losließ« ....
»Und der Papst?« unterbrach Renoir »Sind
Sie zufrieden gewesen mit ihm? Man sagte mir,
daß er sehr gut gesessen habe«.
Rodin schüttelte den Kopf: »Dieser Papst
versteht nichts von der Kunst. Ich wollte ein
kleines Stüde von seinem Ohr erwischen. Aber
mein Modell hatte die Stellung eingenommen,
die es für die vorteilhafteste hielt,- es war un
möglich, etwas von diesem verteufelten Ohr zu
sehen. Wohl versuchte ich, meinen Platz zu
wechseln, aber in dem Maße, wie ich schwenkte,
rutschte auch er herum .... Wie weit sind wir
weg von Franz I. der dem Tizian die Pinsel
aufhob.«
(Aus dem bei Cres, Paris, demnächst erscheinenden Buche
von A. Vollard »Renoir«.)
RUSSLAND
Eine Ausstellung russischer Kunst in
Hannover
Wer in diesen Tagen die schönen Räume der
Galerie von Garvens betrat, war geblendet von
den glühenden Farbenklängen, die ihm von den
Wänden entgegenflammten. Robuste Gesund®
heit, überströmendes Lebensgefühl, erdhafte
Freude und ein Schwelgen in ungebrochenen
Farben gab dem Schauenden die Gewißheit,
der Kunst eines jungen, unverbrauchten Volkes
gegenüberzustehen. Der Hauptsaal wurde von
drei großen Gemälden von Kandinsky bestimmt.
Die Improvisation Nr. 10 vom Jahre 1919, breit
hingebaut, aus gelbem Zentrum heraus ent®
wickelt, das rechts von einem vegetativ auf®
schießenden, in dünnen Verästelungen wieder
niedersinkenden Grün umarmt, links von kräf®
tigen, violett®roten Akkorden in zentrifugalem
Rhythmus eingekreist wird, ist von sinnlicher
Schönheit erfüllt, eine Melodie des Wachsens
und Kreisens und trotz aller Abstraktion gleich®
sam das Lied der Erde. Daneben die bewegtere,
nervöse Musik der Improvisation 21, weniger
sinnlich, weiter dem Irdischen entrückt, ein blasser
Violettgrund, den zuckende und züngelnde Linien
klingend durchpflügen. Dazu die erste Fassung
des »Bildes mit weißer Form« von 1913, dra®
matischer und wuchtiger als die andern, noch
geschlossener und überzeugender, und unver®
geßlich trotz ihrer vollkommenen Gegenstands®
losigkeit,- daneben ein kleines Aquarell von 1915
ganz zart und leicht beschwingt, in manchen Par®
tien an Aquarelle von Klee gemahnend, von
subtilen Farbklängen durchwirkt und trotz aller
Leichtigkeit voll göttlichen Feuers, wie Mozart®
sehe Musik. Schon angesichts dieser Beispiele