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O wie schön ist sie. Ater ist sie nicht zu schön und zu gewaltig? Geraten die Herzen nicht in
große Verwirrung? Ist allzu tiefe Schönheit nicht ein Verhängnis, das tötet, das blendet, das
rettungslos verzehrt? Daß wir ganz verfallen und ganz zerfallen? Ja, wenn sie leibhaftig wäre,
dann wären alle verwirrt vom Glück, dann würden sie zu rasch laufen und zu plötzlich begehren,-
sie würden einander verraten und sich gegenseitig steinigen.
Aber sie weiß es. Wie könnte sie selbst auch fehl gehen und fehl greifen, .die doch erlöst ist
und die Welt durchlebt hat. Deshalb blieb sie nur Bild. Ist nur Traum. Deshalb bleibt sie still
in der Tiefe der Ahnung, strömt lautlos durch das Blut, steigt nur manchmal herauf in die Bliche
der Menschen, wenn
sie in uferlose Weite
schauen. Siehe, da
ist sie.
Oder sie entgleitet
den liebkosenden
Händen eines ganz
Inbrünstigen. Ver
wehrt sich nicht sei
nem Lächeln und sei
nem Begehr und der
Glut seines Glau=
bens.Läßtihngewäh^
ren, sich ein Bild zu
machen, darin er alles
abtut, was ihn fesselte
undwas ihn beglückte.
O sie ist gnädig und
sehr gütig. Und dann
begreift sie wohl, daß
den Schwachen und
denen, die mit dem
Leben eilen, solch
ein Anblick wohltut.
Dann mahnt sie oder
besänftigt oder ver=
führt wohl auch ein
wenig.
So steht sie an
vielen Orten, denn
nur wenige wissen,
Kwannon^Statue (Teilstück)
daß sie ja überall ist,-
an vielen Orten in
schwerem Stein oder
in funkelnder Bronze
oder im warmen
Holz. Da ließ sie sich
fesseln, aber nicht zu
nahe und nicht zu
heiß; ganz frei von
den roten Träumen
des Blutes, von der
Verwirrung des
Atems und des DuL
tes. Ist nur ein Lä^=
ch ein.
Aber sie tut gerne,
was die Menschen
möchten und gewährt
ihnen den Anblick,
der sie entzückt und
zu Gott hinüber
schmeichelt. Ihr Leib
ist Holz, aus der Er=
de Jahr um Jahr ge=
wachsen,- ihre Haut
ist ein Geriesel der
Masern, der alten
Züge und Ringe all
der Ströme, die aus
der Erdezum Himmel
stiegen, verwesten
und verbrannten und verwitterten,- harte Asche wurden. Und ihr Leib trägt unsere Züge,- trägt
unsere Kostbarkeit und unsere Fehler, unser Gewand und unser Gesicht. Wie mütterlich
ist dieser Schoß, wie sanft und sommerlich die Falten. Wie fließt die süße Rundung
der Lenden über in den Schatten der Schenkel. Und selbst das Gewand vergißt nicht,
sich zu bauschen und zu falten, wie wir es für schön und recht halten. Und wie die
Schultern sich entfalten, gleich Flügel aus der straffen Kühle der Brust. Und der Hals
ist nicht zu starr und steil, nein, er läßt das Antlitz ganz nahe, wie einen goldenen
Vollmond,- läßt das Haupt herniederblicken mit seiner tiefen Schwere von Weisheit und