Theodor Däußfer - Simuftanität 119 heute simultanistisch nennen mögen, gehen wahrscheinlich auf Delaunay zurück. Das erste Bild, das sich »Simultane Visionen« nannte, ist von Umberto Boccioni, der somit das Wort zuerst in dieser Auf* fassung gebraucht hat. Es sollte eine Feier der Geschwindigkeit, des modernen Großstadtbetriebes, einen neuen Fieberzustand, erwecht durch die wissenschaftlichen Errungenschaften, zusammenfassend be* zeichnen, Simuftanität, heißt es bald darauf in einem Futuristenmani* fest, ist die Bedingung, unter der die verschiedenen Elemente, die den Dynamismus ausmachen, in Erscheinung treten, Marinetti schrieb darauf eine Abhandlung über Simuftanität in der Dichtung, Wir brechen ab, Richard Wagners Ideal vom Zusammengehen von gesungenem Drama, Orchester und Plastik bedeutet den entscheidenden Schritt im Sinne der Simuftanität, Der Futurist Luigi Russolo sieht in der Musik überhaupt ein Prinzip der Simuftanität, das er ganz er* schließen will. Möglicherweise wird ein bewegter Stil zuletzt in der Baukunst durchbrechen: damit hat's auch keine Eile, Im Gegenteil, lassen wir die klassizistische Richtung ruhig Oberhand gewinnen: vor allem tut Gesundung, Beruhigung not. Freilich, etwas wie Kantenbarodc hängt längst in der Luft: was wird man dereinst noch in Eisenbeton gießen! Die Phantastik mag kommen, aber erst wenn sie, weil ihr Stil bereits vorhanden, selbstverständlich emporraketen und sich abstrakt verblät* tern kann. Ein gotisches Element mag immer bei uns zugegen sein, oft hält man aber für gotisch, was viel eher barock ist. Jeder sollte sich selbst darin einer Prüfung unterziehen: am besten nimmt man Bücher von Gurlitt, von Wölfflin oder Riegl vor. Eine Klärung ist da sehr rat* sam: gegen Barock besteht vielfach ein hergebrachter oder auch ge* dankenloser Widerwille, der unberechtigt ist. Leider sind gerade die Jüngsten in diesem Vorurteil befangen. Selbstredend sind Bezeichnungen wie gotisch und barock auch hier nur vorläufige Hilfsausdrücke. Der neue Stil ist zwar im Keimen, aber noch nicht da,- wir können daher bloß annähernd mit geläufigen Worten kennzeichnen, was wir meinen. So gleicht man den Eltern, die schon vor der Geburt des erwarteten Kindes streiten, welchen