14 stich. Der ungehemmte Strich der Zeichnung ließ sich so gewisser- maßen auf die Platte übertragen. Uns will heute scheinen, daß Dürer in der Verwendung der Technik höchst erfolgreich war. Die Werke, die in ihr entstanden, scheinen uns zu seinen erregendsten und leiden- schaftlichsten zu gehören; da ist, neben dem bekanntesten Blatt, der Kanone, jener Christus am Oelberg, bei dem man nach Wölfflins Worten gleichsam den Wind durch die mitleidend gewundenen Aeste des Baumes ziehen hört, oder jener auf nächtlichem Himmelsgrund mit wildbewegten Gewändern schwebende Engel, der das Schweißtuch Christi wie eine Fahne schwingt, und schließlich die Entführung auf dem Einhorn mit dem unheimlich weißen Wolkenballon, die dröhnend zu widerhallen scheint vom dumpfen Hufschlag des höllischen Tieres. Doch Dürer war anderer Ansicht; er hat die Versuche nicht weiter- geführt. War er erschrocken über die eigene Kühnheit? Schien dem Meister des Kupferstichs die Wirkung zu wenig fein? Vielleicht haben doch eher technische Gründe mitgespielt. Die Eisenplatten rosteten leicht, späte Drucke zeigen deutliche Rostflecken; auch erlaubten wohl die Platten keine hohe Zahl von Abdrucken. Noch schneller ist Dürer, und wohl aus ähnlichen Gründen, von der Technik der kalten Nadel wieder abgekommen, mit der er im Jahr 1512 drei Versuche gemacht hat. Das Verfahren, bei dem die Kupferplatte mit der scharfen Schneidenadel geritzt wird, war nicht neu, schon der sogenannte Hausbuchmeister hat es im 15. Jahrhundert angewandt, aber auch hier ist Dürer gleich auf ersten Anhieb zu bedeutenden Resultaten gelangt. Neben einem kleinen Schmerzensmann, der als Versuch gelten darf, entstanden zwei große Blätter, eine heilige Familie und ein Hieronymus in der Einöde, die in ihrer samtigen, ıonigen Feinheit ins malerische 17. Jahrhundert zu weisen scheinen. „Als ob Rembrandt eine ausgedruckte Dürerplatte übergangen hätte‘, so hat Max Friedländer den Eindruck, den diese Blätter machen, formuliert. Doch auch diese Spur hat Dürer nicht weiter verfolgt; er kehrte zu den überlieferten Techniken zurück, deren Ausdrucksmög- lichkeiten er mit Meisterschaft beherrschte und erweiterte. Lassen wir die Stationen, die der Weg zu dieser Meisterschaft be- rührte, kurz an uns vorüberziehen: Dürer, als Sohn eines aus Ungarn zugewanderten Goldschmiedes 1471 in Nürnberg geboren, kommt als 15jähriger nach einer beim Vater an- gefangenen Goldschmiedlehre in die Werkstatt des Malers Michael Wohlgemut. Dort verbringt er seine Lehrzeit, um dann die für den