# 77 Verwendung von Kirdientonarten und hohlen Quintschlüssen. Die weitausholende, bis nach China- greifende Exotik, in der ihm auch der verwandte aber technisch geschicktere Mily Ba* lakirew nicht gleichkommt. Auf diesen Mous* sorgsky baut sich nun, freilich (typisch genug!) mit dem Umweg über Paris und Debussy, die ganze neue russische Musik auf. Erwähnenswert alsBereicherer der Harmonik und Einführer der Ganztonskala in die rus* sische Musik\ ist der 1861 geborene Wladimir Rebikow, den seine Bestrebungen um das Ge* samtkunstwerk zu dem eigentümlichen Resultat der Meloplastiques führten. Die Lieder, in denen der Text durch Mimik und andeutende Gesten im Einklang mit der Musik ausgedriidct werden soll, bedeuten wohl nicht Viel mehr als ein gelungenes Experiment, das schließlich nur der Pantomime ins Handwerk pfuscht. Sergei Rachmanninow, dessen vielgetanztes Prelude in 'Cis-moll seinen Komponisten in Deutschland berühmt machte, geht harmonisch weiter. Da gibt es schon gewagte Quintketten. Kühne enharmonische Umdeutungen, spitze Bindung entlegenster Akkorde. Die Musik wird intertonal. Lind wie gern ist Rachmanninow melancholisch! Lind wie wundervoll kitschig zu weilen ! Ich denke nur an die sprühende, geile, orientalische Serenade in B. Dagegen kann der soignierte Rimsky-Korsakow mit seinen orien talischen Märchen-Suiten nicht heran! O köst* liches Harem. Deine Augenbrauen, o Herrin, sind wie die Mondsichel im Monat Ramadan. Tanze, o Herrin! Sieh, wie die Nacht sich er* buntet! Hör", schon klingen die Guitarren . . . Plötzlich war Scrjäbine da. Und er, 1872 geboren, trug die Sehnsucht nach dem letzten befreienden Klang. Prometheus schwang er die Fackel. Seine Kultur ist die feinste, franzö sischste,- sie quälte ihn und trieb ihn zugleich. Und so schrieb er, rastlos zwischen zerrissenen Konzertabenden seine ersten Walzer Preludes, Etüden,- lauter melancholische brillante und sehn= süchtige Salonmusik. Auf einmal kommt die Wandlung. Blitzhalt stellt sich vor ihm sein innerer Mensch, droht ihm, siegt. Die Har- monik bekommt jene „Bizarrerie", über die sich die Kritiker des gesamten Kontinents moquieren. Die Pariser Glätte schwindet: Die Form wird eckig, alles aufs äußerste beschränkt. Nun ent* steht jene konzentrierte, aphoristische Klavier musik, die Poemes, Danses, Preludes, Masques. Scrjäbine schreit. Er packt Lichtstrahlen, ein paar Klänge, formt sie: Der „Prometheus*' steht da. Das Experiment des Rebikow vergeistigt sich. Scrjäbine stellt Farben neben die Musik, die mit ihr klingen, sich bewegen, uns aufwühlen. Für jeden Klang hat er eine besondere Licht wirkung. (Deren Tabelle Sabanejew aufstellte.) Mystische Quarten-* und Ganztonakkorde bilden die Harmonie dieses exaltierten Werks. Solche •4 Aufschreie und Dämmerungen schuf keiner nach oder vor ihm. Es gibt nichts Eigentümlicheres als diese schwüle, sinnliche, flammende und sirenenhaft verschleierte Musik. Maßlose Kraft, ursteinige Felsblöcke türmt Prometheus. Zi* sehend entleuchtet sein Feuer. Scrjäbine geht weiter zu seinem Poeme d'Ekstase, zu seinen letzten Klavierstücken und Sonaten. Die LIr* % kraft, den Fanatismus des Russen, eint er mit unerschöpflicher harmonischer Phantasie. Kein Wunder, daß seine überragende Persönlichkeit alle Jungrussen mit sich riß. (Zu den wenigen Ausnahmen zählt der kürzlich verstorbene ge* niale E. B. Onegin.) Nach seinem Tode 1915 kamen nur noch wenige in Betracht. Für Deutsch* land nur sein akademischer Zeitgenosse Gla* zounow, der Stärkstes in der Bearbeitung sla* Wischer, ungarischer und exotischer Populär* Melodien schuf. Als Klavierist endlich der erwähnte Saba* nejew, der unermüdlich für Scrjäbine warb und sehr von ihm abhing. Der jüngstenDebussy*Nachfolge zuzurechnen ist der Lyriker Mjaskowsky, der weiter in die Zukunft weist, als man heute vermutet. Seine „Skizzen" auf Texte von Iwanow zeigen, bei mangelnder Kraft, eine subtile, lyrische Fas* sungsgabe. Ganz tief ist die Mystik in dem einen Gesang: Das Tal ein Tempel. Hier rauschen Vorhänge auf von versunkensten Städten,- blau tönen tiefe Tempelglocken über zitternden Betern. Auch bei ihm starke Nei* % gung zum Exotischen,- nach Indien und China,