f 85 liehen auf Rot, Grün und Gelb aufgebaut ist, zu einem ein zigen Ton sensationeller Grellheit zusammenklingt, sind im Deutschland, ein „Wintermärehen" die einzelnen Farben mit geradezu reporterhafter Geschäftsmäßigkeit neben einandergesetzt. Um so packender wirkt dann im Gegen satz dazu die kranke Lasterhaftigkeit der Mischtöne in den Bildern aus Dirnen» und Säufermilieu. Gegen diese Ge nialität der Farbbehandlung, die auch in den Aquarellen zum Ausdruck kommt, fällt die Graphik erheblich ab. Grosz bedient sich hier des Infantilismus, d. h. er über nimmt die primitive Zeichenart verderbter Großstadtkinder und bildet sie zu einem raffinierten Stil um. {Primitivität, bewußt geübt, wird immer Raffiniertheit.) Aber dieser Stil wirkt, auf Groszsche Stoffe angewendet, dürr und — ganz literarisch. Da sieht man zum Beispiel ein Haus mit drei Stockwerken: im ersten Stock eine Prügelei, im zweiten eine Dirnenszene, im dritten ein Erhängter. Das ist schon nicht mehr ein — wie auch immer gegebenes — künst lerisches Erlebnis, sondern Klügelei. Das Elend des Lebens wird registriert, nicht mehr gestaltet. Wer von der bildenden Kunst in erster Linie „Schön heit" im klassizistischen Sinne verlangt, wird diesen Ma lereien und Zeichnungen eines Scheußlichkeitsfanatikers wutschnaubend den Rücken kehren. Der Vorurteilslose aber wird erkennen, daß hier um eine neue Zeit, um eine neue Kultur gerungen wird mit einer Leidenschaftlichkeit, wie sie vielleicht nur die ganz großen Satiriker aller Zeiten entflammt hat. Damit tritt Grosz an erster Stelle in den Kreis der jüngsten Generation, der Bühne und Kunst ausstellung wieder zur „moralischen Anstalt" wurden, in denen sie der Menge ihre ethischen Imperative ins Gesicht schleudern. Aber ihre Schreie verhallen ungehört, und bald wird diese Kunst der großen ethischen Gebärde <wie heute schon die des ihr verwandten Sturm und Drang) nur noch „Material" sein, das in den Stuben der Gelehrten zu neuem „Material" verarbeitet wird, bis wieder einige Bi bliotheken gefüllt und als Bollwerke gegen Frühling und Sonne errichtet werden können. Über alle die Bücher aber, die von der Kunst unserer Zeit erzählen und ihrem viel zu großen Wollen, sollte man das schmerzliche Wort der Tochter Indras setzen, das wie ein Leitmotiv der Klage Strindbergs „Traumspiel" durchzieht: „Es ist schade um die Menschen." (Otto A(fredPafitzsch.J ^ i| • % „Der Tag" Berlin 19. Mai 1920... Berliner Spuk. Es ist begreiflich, daß Münchens Bodenstand und eingewanderte Verliebtheit gegen das berlinische Wesen, wie es ihnen erscheint, opponieren. Auch München hat sein Paradies verloren — die Zeit, da bescheidene Neuerung pietätvoll aus der Kultur der Vergangenheit erwuchs, ist dahin. Moderne Großstadt zu sein — das war eigentlich immer nur ein neues Pracht kleid,. das die alte Monarchie angezogen, eine Rolle, die sie wie eine begabte Dilettantin nur gelernt, aber nicht mit organischem Leben erfüllt hatte. Die Wirtin lebte vom Fremdenverkehr, aber eigentlich wurde sie von ihm gestört/ in ihrem Willkommen überwog die individuelle Sympathie, das Geldinteresse. So blieb das eigentliche München doch die kleine Residenz von einst, und heute noch geistern die merkwürdigen Wittelsbacher, die ihm sein Gepräge gegeben, über der wogenden Unbestimmt- heit revolutionärer Errungenschaften. Deutsches Alt bürgertum im ersten Schimmer südlicher Schönheit — ein festes Sein und alles Werden aufgeklebt, Freiheit in der Enge, farbige Entfaltung im Gartenwinkel. Das ist Münchens Zauber für hoffende Künstler und Geistes arbeiter, ermüdete Kultursucher immer wieder. Das prägt den Gegensatz zu Berlin, macht ungerecht, weil unhistorisch gegen Berlin. Man atmet hier befreit von der Hetze des Werdens auf — das Münchener Lebenstempo wird von der Arbeits peitsche nicht erreicht, deren Züchtigung der Berliner für immer erträgt und sogar als Daseinszweck empfindet. Hier wurzelt das Wachstum tiefer,- Pietät und Erinne rung machen dankbarer, stiller, bescheidener im mensch lichen Vergleich, und das Wesen des behutsameren Urteils, des freieren, liebevolleren Verkehrs sieht in der Gliederung der Stadt sein Gleichnis. Licht und übersichtlich bleiben % • * • die Straßenzüge, die geschmückten Plätze, die geschwun genen Brücken über der schnellen, grünen Isar. Der Zu wachs zeigt sich so wenig deutlich wie das Signum sozialer Not. Mütterchen Altstadt schmiegt sich noch immer ge sichert an die lieben, modernen Enkel. Wer das Weich bild Münchens verläßt, sieht die mächtige Hochebene, von den Alpen umsäumt. Das ist etwas. Die Asso ziationen, die solcher Blick gibt, stellen den Menschen auf eine Warte, nicht unter ein Joch. Man weiß hier oder vielmehr, man hat es gehört, man ahnt und glaubt es, daß in Berlin alles anders ist. Man sieht nur die Kehrseite, weil diese sich gleißend, mit herausforderndem Anspruch dem Süden zuwendet. Hetze und Streben, vorschnelles Urteil, Werden als Feind des Seins, atemloses Tempo, rücksichtslose Konkurrenz. Der berlinische Mensch kann kein zutreffendes Bild seiner • • • * , . • J • # ^ . ' ' *, S ^ • • * — \ ^ ^ • • • . « Heimat nach München tragen. Er verschleiert, auf prak tische Werte eingeschworen, die Idee seiner historischen Entwicklung. Ein Fanatiker der Gegenwart drängt sich den dankbaren Erben der Vergangenheit auf. Nach seiner Gebärde wird sein Wesen beurteilt, nach den Blättern die Wurzel. Man hat sich hier so lange gewöhnt, den Berliner als Emporkömmling aufzufassen, daß man auch Berlin nur noch als Emporkömmling sieht. Immer wieder sucht man ihm das Herrschaftsrecht über deutsche Kultur macht abzusprechen, weil man seine Kulturmacht nicht kennt oder vergessen hat, sie aufzusuchen. Was weiß man in München von Zauber und Kraft, von erziehe rischem und künstlerischem Wert des Preußentums? Viel hat der nimmersatte Markt davon verschlungen, aber ein ragender Rest wird immer bleiben. Auf ihm baut sich der tiefer und reiner blickende, der hoffende, der gesunde Berliner an. Es wäre schon lange ein Gebot der Zeit, für diese entscheidende Herzkammer Berlins in München Sehkraft