232 ich dabei genau höre, was gesprochen wird, kann sich selbst der König denken. Wenn Posa so fanatisch kniet, kann ich es kaum länger mit ansehen und ich vergesse das ganze Theater. Wenn er aber flehend gar verlangt: „Geben Sie Gedankenfrei heit," greife ich ein und sage: „Sie sind absurd." Ich weiß ja wohl, ich darf mich nicht hineinmischen, aber ich kann nicht anders. Als Schauspieler muß man sich sehr beherrschen. Tut man aber wie ich 1>en ganzen Tag nichts anderes, so möchte man doch wenigstens am Abend ungezügelt tollen. Die Großstädter haben keinen Sinn für die Nuancen, und für die Jmprovisationslust haben sie kein Organ. Sie spielen selbst nicht mit und kein Stück kann sie auch nur vorübergehend entflammen. Spiele ich vor einfachen Landleuten die „Waise von Lowood", so bringen sie mir nach dem ersten Akt einen Laib Brot und eine Speckwurst hinter die Bühne. Und manchmal in den kleinen Dörfern mußte der Intrigant durch die Hintertüre der Garderobe heimlich flüchten, er wäre sonst zerrissen worden. Die Kunst ist Leben ge worden und hat erreicht, was sie sein soll. In der Großstadt habe ich nie erlebt, daß das Publi kum vom Geist eines Kunstwerkes so ergriffen war, daß die Tat darauf folgte. Klatscht das Publikum, so ist das der beste Beweis, daß es kein Kunstverständnis hat. Der restlos Ergriffene applaudiert nicht. Dringt die große Bewegung ins Blut, die Bewegung, vor der Tat, dann ist eine heilige Stille.