Die Kulisse. 33 Mein Denken bewegt sich im Gegensatz. Ich wollte gerade 20. VI. sagen, daß alles Denken sich im Gegensätze bewegt, finde aber, daß es noch eine andere Möglichkeit gibt: das Durchdringen. Ein Ansatz zum Höchsten liegt in jedem Menschen. Die Frage ist nur, ob man zu diesem Funken noch durchdringen kann, ohne die ihn einengenden und erstickenden Wände abzutragen. Soziologisch betrachtet, ist der Mensch ein Krustengebilde. Zer stört man die Kruste, zerstört man vielleicht auch den Kern. * Nietzsche griff die Kirche an und ließ den Staat auf sich beruhen. Das war ein ungeheurer Mißgriff. Schließlich war er eben doch ein preußischer Pastorensohn, der seine royalistischen Vornamen nicht ohne Sinn und Bedeutung trug. Er selber sagt es, „Ecce homo“, gleich auf den ersten Seiten. Bei so viel Finesse im Detail geht in den Prinzipien von Deutschland eine verwirrende Wirkung aus. Man muß sich hüten, die Anzahl der geistigen Devastateure zu vermehren. Vierzigstündiges Gebet zu Goethe um die Gnade der Liebkosung aller kleinen Dinge. * Ich habe über die Pamphletisten nachgedacht. Sie sind uner- 21. VI. sättliche Wesen. Ob sie die Seele angreifen (wie Voltaire), die Frau (wie Strindberg) oder den Geist (wie Nietzsche): immer ist die Unersättlichkeit ihr Merkmal. Ihr Prototyp ist der viel geschmähte Marquis de Sade (den ich in Heidelberg las und der mir jetzt wieder einfällt). Er begeht seine Pamphlete, auch faktisch. Dazu bedarf es nahezu der Berufung. Der Pamphletist schmäht und verschmäht zugleich. Das Ver schmähen gibt ihm seine Stärke. Er ist verliebt in das Außer ordentliche und zwar bis zum Aberglaube, bis zur Absurdität. Allen Geist verwendet er auf die Exaltierung seiner Passion. Wo das Ideal einem solchen Liebhaber gegenüber versagt, dort Ball, Die Flucht aus der Zeit. 3