56 Die Kulisse. 24. X. Ob ein Baum wohl rascher blühen würde, wenn man ihn geißelte? Ob man mit diesem Verfahren vertrocknete Zweige wieder beleben könnte? * Er ist demütiger Gast in Auswurfvarietes, Wo Teufelinnen stampfen, blumig tätowiert. Ihr Zackenspieß lockt ihn in süße Höllenstürze, geblendet und geprellt, doch immer fasziniert. * Was nützt es mir, daß ich mich fallen lasse? Ich werde ja doch nicht so sehr den Kopf verlieren, daß ich nicht fallend die Fallgesetze studiere. 26. X. Der vollendete Psychologe vermag mit ein und demselben Thema, je nachdem er die Akzente verteilt, zu erschrecken oder zu beruhigen. Je größer der Psychologe, desto geringfügiger die ausschlaggebende Nuance. Sie kann in einem Tonfall, in einer kaum wahrnehmbaren Begleitgeste liegen. Dies ist ein Einwand gegen die Psychologie. Sie ist immer willkürlich und charakteri siert nicht den Gegenstand, sondern den proteischen Charakter dessen, der den Gegenstand vorträgt. Der Psychologe ist immer ein Sophist. Ich erkannte dies schon früh, wenn ich als Kind irgendein Erlebnis erzählte. Ich wußte im Voraus den Eindruck, den ich in diesem und in jenem Falle, bei dieser und jener Nuance erzielen werde: Mitleid, Staunen, Neugier oder Abscheu, je nachdem. Ich spielte mit großem Vergnügen dies Instrument. Das Resultat aber war merkwürdigerweise, daß mir mein Publi kum verächtlich wurde. * Das Theater lebt von derselben Sophistik. Die klassischen Dramaturgen fordern, daß jede Figur müsse Recht behalten,