72 Die Kulisse. ihm mit einem aus Neugier und Mitleid gemischten Interesse den Menschen vermuten, der bis zur völligen Unkenntlichkeit, bis zur völligen Unwiederbringlichkeit, bis zum Verderben von Qualen entstellt ist. Es ist ein hart Ding, eine ewige Verdammnis glauben zu müssen. Glaubt man nämlich an eine unendliche Ver letzlichkeit des Guten und Schönen, so kann man mit jedem Atemzug, mit jeder entfallenden Geste töten, lügen, rauben und ehebrechen, und die Wahrscheinlichkeit, daß man der Böse in Person ist, hat mancherlei für sich, selbst wenn man als Ausbund der Frömmigkeit gälte. Eine sorgfältige Selbstbetrachtung und mehr noch, ein auch nur mäßiges Wissen um die Zerbrechliche keit menschlicher Träume, legen den Wunsch nahe, das letzte Gericht möchte mit äußerster Schonung und Milde gehandhabt werden. * 23. XI. „Melanchthon“ von Ellinger, 1902, enthält interessante Dinge über die Humanisten und die Reformation. Zum Beispiel: ,Die allgemeine Abkehr von den humanistischen Idealen, der Verfall der Universitäten, das Treiben mancher Prädikanten mußte in ihnen (den Humanisten allgemein) die Vorstellung erwecken: daß die reformatorische Lehre, von der sie eine Bekämpfung der Barbarei erwartet hatten, die geistige Finsternis nur noch ver stärkte; der alte Widerwille, den diese Geistesaristokraten den ,stinkenden Kutten' (es sind wohl die bildungsfeindlichen Fran ziskaner gemeint) entgegengebracht hatten, wandte sich ganz naturgemäß gegen die neuen Verächter der Wissenschaft und legte die Frage nahe, ob der Gewaltherrschaft dieser Leute gegen über nicht die früheren kirchlichen Zustände vorzuziehen seien'. 1523 erscheint Melanchthons „Nutzen der Beredsamkeit“ 1524 Erasmus’ Buch „Vom freien Willen“ 1525 Luthers „Vom unfreien Willen“ 1526 Erasmus scharfe Gegenschrift „Verteidigungsschild“.