102 Das Wort und das Bild. Schwung unseres Zirkels, von dessen Teilnehmern einer den an dern stets durch Verschärfung der Forderungen und der Akzente zu überbieten suchte. Mag man immer lächeln: die Sprache wird uns unseren Eifer einmal danken, auch wenn ihm keine direkt sichtbare Folge beschieden sein sollte. Wir haben das Wort mit Kräften und Energien geladen, die uns den evangelischen Be griff des ,Wortes' (logos) als eines magischen Komplexbildes wieder entdecken ließen. Mit der Preisgabe des Satzes dem Worte zuliebe begann re solut der Kreis um Marinetti mit den „parole in libertä“. Sie nahmen das Wort aus dem gedankenlos und automatisch ihm zuerteilten Satzrahmen (dem Weltbilde) heraus, nährten die aus gezehrte Großstadtvokabel mit Licht und Luft, gaben ihr Wärme, Bewegung und ihre ursprünglich unbekümmerte Freiheit wieder. Wir andern gingen noch einen Schritt weiter. Wir suchten der isolierten Vokabel die Fülle einer Beschwörung, die Glut eines Gestirns zu verleihen. Und seltsam: die magisch erfüllte Vokabel beschwor und gebar einen neuen Satz, der von keinerlei kon ventionellem Sinn bedingt und gebunden war. An hundert Ge danken zugleich anstreifend, ohne sie namhaft zu machen, ließ dieser Satz das urtümlich spielende, aber versunkene, irrationale Wesen des Hörers erklingen; weckte und bestärkte er die un tersten Schichten der Erinnerung. Unsere Versuche streiften Ge biete der Philosophie und des Lebens, von denen sich unsere ach so vernünftige, altkluge Umgebung kaum etwas träumen ließ. * 20. VI. In unserer Astronomie darf der Name des Arthur Rimbaud nicht fehlen. Wir sind Rimbaudisten, ohne es zu wissen und zu wollen. Er ist der Patron unserer vielfachen Posen und senti mentalen Ausflüchte; der Stern der modernen ästhetischen Deso lation. Rimbaud zerfällt in zwei Teile. Er ist ein Poet und ein