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aus dem die Gracchen und Catilinas, die sich an Laternen
pfosten hochziehen, blecherne Stimmen schmettern. Schon
sieht man die befreiten Sträflinge und die Kriegsgefangenen,
die sich mit deutschen Soldaten photographieren lassen —
dann ein Schuft oder das beginnende Gehämmer eines
Maschinengewehrs und die Menge ist verschwunden. Es
ist keine Hyperbel, wenn man sagt, sie fliehen schneller
als der Wind. Das staut, ballt und klebt wieder zusammen,
sobald sich der Nachklang der Schüsse verliert. Unter
allen Umständen ist das Leben nicht soviel wert als die
Neugierde, die Liebknecht sehen und hören will, wie er
von der Estrade des alten Schlosses die rote Fahne
schwenkt und spricht. Die ersten acht Tage sind ein
glücklicher Traum. Es ist klar, man sieht es den Bürgern
an, daß ihre Rolle ausgespielt ist und ihre weltgeschicht
liche Mission ein Ende gefunden hat, daß die Freiheiten,
die ihre Lebensauffassung gab, nur Vorwände zum rück
sichtslosen Vorgehen des Stärkeren gegen den Schwächeren
gewesen sind. Die Offiziere sind verschwunden, sie wagen
sich nicht mehr auf die Strafe, wo sie sonst säbelklirrend
ihre Wattebrust spazieren führten. Die Studenten (un
menschliches Gesindel) haben sich in ihre Lehrhüiten ver
krochen, die Welt stürzt ein: — nein: Wissen ist keine
Macht. Macht ist das Herz, Macht ist der Aufschwung,
Macht ist die Sehnsucht nach Befreiung. Unvergeßlich bleibt
die erste Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im
Zirkus Busch am 10. November, in der verkündet wird, daß
sich die beiden Teile der Sozialdemokratie geeinigt haben.
Ein dicker Mann schreit dies in das Chaos hinein, ein
großes Gesicht, an dem unten ein Fleischwulsi hängt: der
Genosse Ebert, der noch vom alten Regime zum Reichs
kanzler ernannt worden war. Richard Müller redet und
Barth, die beide nach Berlin Handgranaten geschafft haben.
Oberleutnant Walz, dem man nicht ansehen kann, wie er
denkt, wird hier, noch sehr gelobt. Der Hauptmann Beer
felde, der eine Zeit Schußhaft hinter sich hat, kommt nicht
zu Wort — man sieht eine hohe, phrasenreiche teutonische
Stirn. Dann Liebknecht. Liebknecht ist Prophet, Liebknecht
denkt und spricht nur Revolution, er ist der unermüdliche
Agitator für die Rechte des Volkes, seine Stimme tönt
aus einem tiefen Keller, seine Geste warnt: „Ich bin dazu
berufen, Wasser in den Wein ihrer Freude zu gießen.
„Sehen Sie sich Ihre Führer an!“ Ist denn nicht alles einig,
gibt es mehr als eine Revolution, hat man denn noch
etwas zu fürchten, jeßt, wo die Fürsten und Offiziere ver
jagt sind? Nebenan schreit jemand: „Die Schpartakischte
plane e Putschi“ Liebknecht-Spartakus, der Sklaven
befreier, das große Herz, der ganze Mann, die einzige