117 dagegen in der unwirklichen Welt des Tages geschieht, ist voller grober Tücken und vergänglich. Sophie handelte darum in dieser Welt streng und entschieden. Sie verlor sich nie in den Fallen der Unwirklichkeit. Die Welt der Erinnerung und des Traumes ist die wirkliche Welt. Sie ist der Kunst verwandt, die am Rande der irdischen Unwirklichkeit geformt wird. [Ab bildung 19] So schloss sich der Kreis In den Jahren 1908 bis 1910 unternahm ich die ersten Versuche, die ererb ten Kunstformen, die ererbten Vorurteile zu überwinden. Dies war eine qual volle Zeit. Ich lebte einsam, zwischen Weggis und Greppen, in der Schweiz, am Fusse des Rigi. Im Winter sah ich monatelang keinen Menschen. Ich las, zeichnete und schaute aus dem Fenster meines kleinen Zimmers in die von Schneewolken verhangenen Berge. Es war eine abstrakte Landschaft, die mich dort umgab. Ich hatte Müsse zum philosophieren. Im Dezember 1915 be gegnete ich in Zürich Sophie Taeuber, die sich schon damals von der tradi tionellen Kunst befreit hatte. Wir unterdrückten in unseren Arbeiten zunächst das Spielerische, Geschmackvolle. Auch das Persönliche empfanden wir als lästig und unnütz, da es ja in einer starren, leblosen Welt gewachsen war. Wir suchten nach neuen Materialen, die nicht durch eine Tradition belastet waren. Einzeln und gemeinsam stickten, woben, malten, klebten wir nun geometrische, statische Bilder. Unpersönliche, strenge Bauten aus Flächen und Farben entstanden. Jeder Zufall wurde ausgeschaltet. Keine Flecken, keine Risse, keine Fasern, keine Ungenauigkeiten sollte die Klarheit unserer Arbeit stören. Für unsere Papierbilder wurde sogar die Schere, mit der wir zuerst diese Arbeiten ausschnitten, verworfen, da sie zu leicht das Leben der Hand verriet. Wir bedienten uns fortan der Papierschneidemaschine. In den gemeinsamen, grossen Stickereien, Webereien, Malereien, Klebearbeiten versuchten wir uns demütig dem reinen Glanz der Wirklichkeit zu nähern. Ich möchte diese Arbeiten die Kunst der Stille nennen. Sie wendet sich von der Aussenwelt der Stille, dem inneren Sein, der Wirklichkeit zu. Aus Rech tecken und Quadraten errichteten wir dem tiefsten Leid und der höchsten Freude Strahlenbauten. Unsere Arbeiten sollten die Welt vereinfachen, ver wandeln, verschönern. Unsere Kunst jedoch störte die Herrschaften in ihren überladenen Narrenställen nicht, woselbst sie sich ausgiebig an ihren Origi nalölgemälden weideten. Zu verschiedenen Zeiten unseres Lebens haben Sophie Taeuber und ich gemeinsam Arbeiten geschaffen. Zuerst in Zürich in den Jahren 1917 bis 1919, in Strassburg ig2Ö bis 1928, mit Theo van Does-